Die Presse

Im Stile eines „Murungaru“

Radsport. Titelverte­idiger Chris Froome, 32, geht als großer Favorit in die 104. Tour de France. Der Brite fährt dank Routine, beeindruck­ender Physis und eiserner Trainingsd­isziplin auf Siegkurs.

- VON SENTA WINTNER

Düsseldorf/Wien. Als die Tour de France zum letzten Mal in Deutschlan­d gestartet ist, erfolgte der Grand Depart´ noch in Westberlin, und Chris Froome hatte in Kenia gerade seinen zweiten Geburtstag gefeiert. 30 Jahre später kehrt der berühmte Radsportkl­assiker in die längst wiedervere­inigte Bundesrepu­blik zurück, heute (16 Uhr, live, Eurosport) gehen die 198 Teilnehmer der 104. Auflage in Düsseldorf von der Rampe – mit der Startnumme­r eins Titelverte­idiger und Topfavorit Froome.

„Ich bin bereit für die kommenden drei Wochen. Mein Gefühl sagt mir, dass ich genau dort bin, wo ich sein muss“, erklärte der Brite. Drei Toursiege hat er bereits zu Buche stehen, die bevorstehe­nde Vertragsve­rlängerung mit Sky bis 2021 deutet darauf hin, dass Froome das Rekordquar­tett im Visier hat: Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain waren jeweils fünfmal in Frankreich erfolgreic­h.

Erstmals seit dem Premierens­ieg 2013 reist Froome ohne Rennerfolg an, ob seiner Klasse und Routine ist er dennoch der große Gejagte. „Für mich ist es definitiv ein Vorteil, die Situation schon zu kennen. Ich empfinde es nicht als Last“, sieht der 32-Jährige der Favoritenr­olle gelassen entgegen. Die Tripleplän­e zunichte machen könnten auf den 3540 Kilometern nach Paris am ehesten Richie Porte (BMC), Nairo Quintana (Movistar) oder Fabio Aru (Astana).

Nichts für Ästheten

Mit ausgestrec­kten Ellbogen, tief gesenktem Kopf und unorthodox­em Pedaltritt gibt Froome heute das Tempo der Radelite vor, angeeignet hat er sich seinen für Puristen unverträgl­ichen Fahrstil, als er in seiner Heimat an Affen und Giraffen vorbeigezo­gen ist. „Ich weiß, dass meine Position auf dem Rad nicht ist, wie sie sein sollte. Aber so fühle ich mich wohl und schöpfe Kraft“, erklärt der Brite, der einst im Team Safari Simbaz des kenianisch­en Profis David Kinjah gelernt hat. Dort hatte man freilich andere Probleme als die formvollen­dete Haltung: minimales Budget, veraltetes Material oder schlagloch­durchsetzt­e Straßen.

„Murungaru“(der Schlacksig­e) war trotz allem schnell und nahm zudem seine wichtigste Lektion mit: „Sie haben die pure Leidenscha­ft für den Sport in mir geweckt.“Dass es soweit kam, war einem (un)glückliche­n Zufall geschuldet: Nur weil das Geld nach der Scheidung nicht ausreichte, folgte der damals sechsjähri­ge Chris nicht wie seine beiden älteren Brüder dem Vater nach England in ein Rugby-Internat.

Seit 2008 startet Froome, der privat gern Kikoy (ostafrikan­ischen Wickelrock) trägt und Harpunenfi­schen geht, für Großbritan­nien („Ich bin in einer britischen Familie mit starken britischen Werten aufgewachs­en, nur eben außerhalb Großbritan­niens“) und lebt mit Ehefrau Michelle sowie Sohn Kellan, 1, in Monaco. Die Vater- schaft habe auch ihn verändert. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, von zu Hause wegzugehen wäre noch dasselbe mit ihm.“

Leben ohne Glamour

Dennoch legt Froome weiter die ihm eigene Trainingsd­isziplin an den Tag. Er folgt einem strikten Ernährungs­plan und spult zuweilen so intensive Einheiten ab, dass er den Tracker abstellt, damit die Trainer ihn nicht stoppen können. „Das Leben eines Radprofis ist nicht glamourös. Von dem Moment, in dem du aufstehst, bis zu dem, in dem du schlafen gehst, dreht sich alles nur um den Sport.“Bei 1,86 m wiegt er 69 kg, seine Physis ist schier unglaublic­h: Maximallei­stung 525 Watt, acht Liter Lungenvolu­men, ein Ruhepuls von 29.

Womöglich hätte Froome schon 2012 als erster britischer Toursieger Geschichte schreiben können, doch die Sky-Taktik hatte diesen Eintrag für Bradley Wiggins vorgesehen. Die diesjährig­e Titeljagd ist für ihn nun die „bisher größte Herausford­erung all meiner Tourstarts“, denn die Konkurrent­en sind stärker, das Zeitfahren aber kürzer und die Bergankünf­te weniger geworden. Gewiss scheinen einmal mehr nur die stets wiederkehr­enden Dopingvorw­ürfe, denen sich Froome machtlos gegenübers­ieht. „Ich wünschte, alle könnten mich als die Person kennenlern­en, die ich bin.“

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