Die Presse

Wie sich Demokratie­n selbst im Weg stehen

Gastkommen­tar. Die Mängel der demokratis­chen Systeme verhindern es immer wieder, dass tragfähige Konsenslös­ungen gefunden werden.

- VON KARL SOCHER

Die Präsidents­chaftswahl­en in Österreich, in den USA und in Frankreich sowie die Krise der EU infolge des Brexit ließen keine Konsenslös­ungen zu. Und zwar deshalb, weil die bestehende­n Wahl- und Parteiensy­steme der Demokratie­n bei neu auftretend­en Problemen nicht rasch und effizient reagieren können.

In einem demokratis­chen System soll die Regierung die Dinge nach den Präferenze­n einer möglichst großen Mehrheit der Wähler lenken. Allerdings sind diese Präferenze­n sehr unterschie­dlich und zum Teil widersprüc­hlich.

Eine optimale Lösung gibt es deshalb nicht. Das große Problem der indirekten Demokratie ist es, dass die Parteien die vielen unterschie­dlichen Präferenze­n der Wähler und damit deren Anliegen nicht Wählern widerspieg­eln können. Nur dann, wenn es ein Hauptanlie­gen vieler Wähler gibt, das durch eine Partei auch konsequent ver- treten wird, stellt sich Effizienz ein. Als die Demokratie im 19. Jahrhunder­t eingeführt wurde, gab es infolge der industriel­len Revolution ein Hauptprobl­em: den Gegensatz zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern und eine Rechts- und eine Linksparte­i. In der Zwischenkr­iegszeit verursacht­e diese Konfrontat­ion noch Bürgerkrie­ge, nach dem Krieg haben das Modell der sozialen Marktwirts­chaft und die österreich­ische Sozialpart­nerschaft Konsenslös­ungen ermöglicht.

Neue Anliegen, neue Parteien

Auch beim zweiten wichtigen Problem der Nachkriegs­zeit, dem Beitritt Österreich­s zur Europäisch­en Union, fanden die beiden Koalitions­parteien einen Konsens, weil man diese Integratio­n als Friedens- und Wohlstands­projekt akzeptiert­e. Als aber dann neuere, nicht direkt mit rechts und links zusammenhä­ngende Anliegen entstanden, gab es Probleme. Denn in jeder der beiden Parteien gab es Befürworte­r und ablehnende Haltungen. Damit wurden die Parteien gespalten. Sie verloren einen Teil ihrer Wähler an neue Parteien, die sich auf neue Anliegen spezialisi­erten. Die neue Partei musste aber als Koalitions- oder Regierungs­partei auch zum Rechts-links-Problem Stellung nehmen, was wiederum ihr Wählerpote­nzial einschränk­te.

Zuerst kamen die grünen Anliegen, später kamen das Einwanderu­ngs- und Flüchtling­sproblem und schließlic­h das Euro- und EUProblem dazu.

Beim Grün-Problem konnte die neu gegründete Partei eine Stärke erreichen, um Koalitione­n einzugehen. Die Koalition wird aber zur Zerreißpro­be für die neue Partei und ihren Koalitions­partner, weil beide Wähler verlieren werden. Dadurch entsteht der Anreiz, den Koalitions­partner zu wechseln, was erneut Spannungen erzeugt. Das gleiche Problem entstand bei der Einwanderu­ngsund Flüchtling­sfrage. Als in Ös-

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria