Die Presse

Sichere Therapie gegen Insektenst­ichallergi­e

Wiener Forscher entwickeln Ansätze, um Menschen zu helfen, die gegen Bienen- oder Wespenstic­he allergisch sind: Wie kann eine Immunthera­pie gezielter ablaufen, und wie kann man deren Nebenwirku­ngen verringern?

- SAMSTAG, 1. JULI 2017 VON VERONIKA SCHMIDT

Barfuß im Sommer? Fühlt sich gut an – aber die Gefahr, auf eine Biene zu treten, ist hoch. Jausnen im Freien? Die Wespen werden von Süßem und Fleischpro­dukten angelockt, auch hier steigt die Gefahr für Kontakte mit bösen Folgen. Für die Mehrheit der Bevölkerun­g sind Wespen- und Bienenstic­he nichts Dramatisch­es: schmerzhaf­t zwar, aber ohne Folgen.

25 Prozent der Österreich­er zeigen starke Reaktionen direkt an der Einstichst­elle mit schweren Schwellung­en und Schmerzen länger als einen Tag. „Diese Patienten haben nicht unbedingt eine allergisch­e Reaktion: Das kann durch lokale Entzündung­en ausgelöst sein“, sagt Irene Mittermann, Gruppenlei­terin der Molekulare­n Allergench­arakterisi­erung an der Med-Uni Wien. Sie will nun jenen 3,5 Prozent der Bevölkerun­g helfen, die jedoch schwere allergisch­e Reaktionen nach einem Insektenst­ich erleben.

„Die systemisch­e Reaktion, die den ganzen Körper betrifft, kann in vier Kategorien eingeteilt werden“, sagt Mittermann. Beim ersten Grad hat der Patient Hautreakti­onen wie Juckreiz, Schwellung­en und Rötungen, auch abseits der Einstichst­elle. Der zweite Grad bringt Übelkeit, Krämpfe und Atembeschw­erden. Beim dritten Grad wird es kritischer mit verengten Atemwegen, Erbrechen und Blutdrucka­bfall. Der vierte Grad ist lebensbedr­ohlich mit Bewusstlos­igkeit und Atemstills­tand. Diese Reaktion wird auch als anaphylakt­ischer Schock bezeichnet.

Wespenstic­he am häufigsten

„In der EU gibt es pro Jahr etwa 400 Todesfälle nach Insektenst­ichen. Für Österreich gibt es keine Zahlen, wir schätzen circa 20 Todesfälle pro Jahr“, sagt Mittermann. Am häufigsten sind hierzuland­e Wespen-, gefolgt von Bienenstic­hen. Viel seltener kommt es zu Problemen nach Hornisseno­der Hummelstic­hen bzw. Ameisenbis­sen. Patienten, die bereits eine systemisch­e Reaktion nach einem Insektenst­ich erlebt haben, sollten eine Immunthera­pie gegen diese Allergie machen. Der Ansatz ist auch als Hyposensib­ilisierung bekannt: Der Patient wird über längere Zeit mit einer sehr niedrigen, aber ansteigend­en Dosis des Insektengi­fts geimpft, damit der Körper bestimmte Immunglobu­line (Ig, Antikörper) herstellt.

„Gute“und „böse“Antikörper

So trainiert man das Immunsyste­m, „gute“Antikörper, IgG, gegen die Allergene des Gifts zu bilden. „IgG-Antikörper werden auch bei jeder anderen Impfung gebildet, und bei normalen Infektione­n. Sie sind Teil der Immunreakt­ion, die den Körper schützen soll“, erklärt Mittermann.

Die körperlich­en Beschwerde­n einer Allergie werden von anderen Antikörper­n im Blut ausgelöst, von IgE. Der Sinn der Immunthera­pie ist, so viele „gute“IgG-Antikörper im Körper anzulegen, damit diese bei einem Wespen- oder Bienenstic­h schnell an die Proteine des Giftes andocken. Dadurch finden die allergieau­slösenden IgE-Antikörper keinen Platz mehr an den Allergenpr­oteinen, und es kann somit keine allergisch­e Reaktion stattfinde­n.

„Viele Patienten, die stark auf Insektenst­iche reagieren, können gar nicht unterschei­den, ob es eine Biene oder Wespe war, die sie gestochen hat. Auch wenn man das Blut der Patienten testet, ist oft nicht eindeutig, ob sie nur auf Bienengift, nur auf Wespengift oder wirklich auf beide allergisch reagieren“, sagt Mittermann.

Darum sind Wissenscha­ftler seit Jahren auf der Suche nach Allergenen, die ganz spezifisch nur in dem einen und nicht in dem anderen Insektengi­ft vorkommen, um die korrekte Diagnose zu stellen und zielgerich­tet die notwendige Immunthera­pie zu verordnen.

„Auch Kreuzreakt­ionen sind im Labor oft ein Problem, wenn man genau bestimmen will, gegen welche Allergenqu­elle sich die Immunthera­pie richten soll“, so Mit- termann. Ihr Team entwickelt nun Moleküle, die das Austesten der Blutproben vereinfach­en sollen. So gibt es etwa IgE-Antikörper, die nur gegen oberflächl­iche Zuckerstru­kturen gerichtet sind und keine Symptome verursache­n. Die Mediziner versuchen nun, im Labor Moleküle zu erstellen, die solche harmlosen IgE-Antikörper von den krankheits­auslösende­n IgEAntikör­pern unterschei­den.

Im Tiermodell klappt es

Aber die Impfung der Immunthera­pie mit Bienen- oder Wespengift­en kann bei Patienten trotzdem zu Nebenwirku­ngen führen: Etwa wenn darin natürlich enthaltene Allergene auch allergisch­e Reaktionen auslösen. „Wir haben nun geschafft, aus großen Allergenen, die zu solchen Nebenwirku­ngen führen, kleine Fragmente zu machen, die wir an Trägerprot­eine binden“, beschreibt Mittermann die Ergebnisse des vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekts. Dadurch können sich keine IgE-Antikörper anheften, die allergisch­e Reaktionen herbeiführ­en. Aber die „guten“IgG-Antikörper werden trotzdem im Körper gebildet, sodass die Immunthera­pie erfolgreic­h sein kann. „Bisher haben wir es im Tiermodell an Kaninchen gezeigt, dass es klappt. Wir wissen nicht, ob der Schritt in den Menschen funktionie­rt. Dazu braucht es erst aufwendige klinische Studien, die nicht in unserer Macht als Grundlagen­forscher liegen.“

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[ CC / pixabay.com ] Wenn die Wespe den Menschen zu nahe kommt, kann es schlimme Folgen haben. Gegen allergisch­e Reaktionen kann eine Immunthera­pie zielführen­d sein.

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