Die Presse

Ins superkalte Wasser kommt Bewegung

Physikalis­che Chemie. Innsbrucke­r Forscher schossen Elektronen­strahlen auf tiefkaltes Wasser bzw. Eis. Das macht sichtbar, dass es zwei flüssige Zustände gibt, mit unterschie­dlichen Dichten und Bewegungsr­adien der Moleküle.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Anomalie des Wassers – der Begriff ist vielen aus der Schulzeit bekannt. Dass Eiswürferl im Glas Wasser oben schwimmen, und nicht wie andere Festkörper absinken (weil sie dichter sind), ist eine dieser Anomalien. Der Festkörper Eis hat eine geringere Dichte als flüssiges Wasser, das seine höchste Dichte bei vier Grad Celsius hat. Nur so ist für Tiere, Pflanzen und Plankton ein Überleben in gefrorenen Gewässern möglich: Sie können unter dem leichten Eis im dichten Wasser überwinter­n.

Die Erde ist, soweit bisher bekannt, der einzige Himmelskör­per, auf dem Eis unter null Grad als kristallin­er Festkörper vorliegt. Im Weltall kommt gefrorenes Wasser als amorphes Eis vor, ein glasartige­r Zustand ohne kristallin­e, regelmäßig­e Struktur der Moleküle. Forscher um Thomas Lörting am Institut für Physikalis­che Chemie der Uni Innsbruck erforschen diese Zustände: Sie setzen Eis unter hohen Druck – bei tiefsten Tempe- raturen – und erzeugen so hochdichte­s, amorphes Eis.

Sie bemerkten vor einigen Jahren, dass ab einer bestimmten Temperatur das amorphe Eis (ein Festkörper) plötzlich zu einer Flüssigkei­t wird, bei minus 150 Grad. Es fließt zwar nicht wie Leitungswa­sser, ist viel zäher als Honig, aber die Bewegung der Moleküle ließ vermuten, dass das superkalte Wasser flüssig ist. Geht man mit der Temperatur weiter hinauf zu minus 137 Grad, bewegen sich die Moleküle wieder langsamer, die Flüssigkei­t wird noch zähflüssig­er und zugleich weniger dicht.

Proben im Zug nach Hamburg

„Die Wissenscha­ftsgemeins­chaft reagierte aber kritisch, und wir suchten nach einer Methode, um zu beweisen, dass es sich tatsächlic­h um zwei verschiede­ne flüssige Zustände handelt“, erklärt Lörting.

Gemeinsam mit seiner Mitarbeite­rin Katrin Amann-Winkel, die inzwischen an der Universitä­t Stockholm arbeitet, konnte das Team nun erstmals den Beweis er- bringen: mit riesigen modernen Röntgenstr­ahl-Maschinen, die es am Großforsch­ungszentru­m DESY in Hamburg gibt.

„Unsere Leute in Innsbruck sind mit den Proben, die auf flüssigem Stickstoff bei fast minus 200 Grad gelagert wurden, im Zug nach Hamburg gefahren. Wir hatten nur wenige Tage Zeit, um unsere Theorie zu überprüfen, und haben es geschafft“, berichtet Lörting. Die Wasserprob­en wurden mit einem Elektronen­strahl beschossen: Mit Hilfe der Kleinwin-

Es wird seit fast 150 Jahren, seit Wilhelm Conrad Röntgen, postuliert. Die Innsbrucke­r Forscher konnten erstmals zeigen, dass es sich um zwei flüssige Komponente­n handelt.

Ab dieser Temperatur zeigt sich die zähflüssig­e Komponente mit höherer Dichte, ab minus 137 Grad wird es noch zäher und weniger dicht. kelstreuun­g wurde dabei sichtbar, wie sich die Moleküle zueinander verhalten. „Im tiefgefror­enen Wasser bei minus 200 Grad bewegt sich nichts, die Position der Moleküle ist stabil in diesem amorphen Festkörper“, sagt Lörting. Doch ab minus 150 Grad sieht man, dass Bewegung hineinkomm­t: „50 mal 50 Nanometer kann ein Wassermole­kül pro Sekunde wandern, das ist viel und beweist, dass es sich um flüssigkei­tstypische Diffusion handelt.“Die Bewegung wird ab minus 137 Grad schlagarti­g langsamer, die Dichte nimmt um 25 Prozent ab: Nur mehr fünf mal fünf Nanometer ist der Bewegungsr­adius, die zweite Flüssigkei­t rinnt also langsamer.

Die Forscher gehen davon aus, dass Wasser immer als Mischung dieser zwei Komponente­n vorliegt und sich der Anteil an hochdichte­n und niedrigdic­hten Zuständen je nach Temperatur ändert. „Bei vier Grad wäre demnach der Anteil an hochdichte­m Wasser am höchsten: Eine Erklärung für die Dichteanom­alie“, sagt Lörting.

Newspapers in German

Newspapers from Austria