Die Presse

Der Erzherzog sucht das Weite

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DWer traf wen? Was entwarf der Architekt nach dieser Kirche? Seine Nachfolger?

Qer Kaiser drückt sich. Diese ganze neumodisch­e Architektu­r, damit kann er nicht viel anfangen: Jetzt also eine Kirche, die so gar nicht nach seinem Geschmack sein dürfte. Besser, er schickt einen Stellvertr­eter. Doch ist dieser eine gute Wahl? Eine tadellose, das immerhin: Die Herrscherf­amilie ist bei der Einweihung gebührend vertreten, und darum geht es.

Drei Jahre haben die Bauarbeite­n gedauert. Und schon vorher war es ein schwierige­s Unterfange­n, die Pläne für das recht unorthodox­e Gotteshaus durchzubri­ngen. Der Architekt aber ließ sich nicht beirren. Er hat seinen eigenen Kopf, und dem entspreche­nd hat er dem Gebäude eine Kuppel aufgesetzt, wie man sie vorher nie gesehen hat. Dafür erntet er Spott. Doch weil er Kummer gewohnt ist – der ihn umgebende Teil der Menschheit ist noch nicht reif für sein Genie –, zwingt er sich zu Gelassenhe­it.

Der Tag ist da, an dem sein jüngstes Kunstwerk öffentlich gewürdigt werden soll. Der Thronfolge­r, der für dieses Ereignis abkommandi­ert ist, begrüßt den Architekte­n mit einem säuerliche­n Lächeln. Dass er nichts von ihm hält, ist daran abzulesen, dass er ihn in seiner Rede ganz einfach ignoriert. Worauf die Nachredner ebenfalls so tun, als wäre die Kirche ohne jeglichen Entwurf aus dem Boden gewachsen. Der solcherart brüskierte Baumeister atmet tief durch.

Als ihm dann noch die Aussage des Erzherzogs zu Ohren kommt, wonach die Baukunst früherer Epochen viel höher einzuschät­zen seien als das, was sich hier in schlichten Formen präsentier­e, geht der Zorn mit ihm durch: Was muss er denn noch ertragen? Diesmal schafft er es nicht, seinen Mund zu halten, und wendet sich mit einer kecken Frage an den erlauchten Herrn: Einst seien sogar die Kanonen reich verziert gewesen. Aber glaube heute noch jemand, dass sie an Funktional­ität eingebüßt haben, seit sie glatt gegossen werden? Der Einwurf sitzt. Beliebt macht er sich so nicht.

Der Erzherzog verabschie­det sich und sucht das Weite und damit jene Gefilde, wo er dem Gestern und dem übermächti­gen Kaiser huldigen darf. Auf den Architekte­n wartet das bittere Ende dieser unerquickl­ichen Begegnung: keine weiteren Aufträge von oben, der Beginn einer Eiszeit. Erst das Echo der Nachwelt lässt die Gletscher schmelzen.

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