Die Presse

Diese Wüste braucht kein Manna mehr

Israel I. Der Negev ist eine touristisc­h und landwirtsc­haftlich erschlosse­ne, schöne Wüste.

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Ein Gewächshau­s. In der Wüste. Hummeln summen, auf langen Streben in halber Höhe wachsen Erdbeeren. Die reifen Früchte hängen von oben herab, als wollten sie einem direkt in den Mund wachsen. So stellen Vegetarier sich wohl das Schlaraffe­nland vor. Es gibt Paprika, Gurken, Melanzani – und außerdem Kirschtoma­ten. Die Kirschtoma­ten, wird uns erklärt, wurden in Israel entwickelt. Sie haben nämlich eine Besonderhe­it: Wenn man sie mit Salzwasser gießt – und Salzwasser gibt es hier jede Menge – dann werden sie nicht etwa salzig. Sie werden süßer.

„Aus Trotz“, sagt die Reiseleite­rin und lacht.

Aus Trotz, das ist die Erklärung für so manches, was einem in der Negev-Wüste begegnet. Der Kibbuz Sede Boker etwa: Er wurde 1952 von zwölf Männern und Frauen im absoluten Nirgendwo gegründet. Rundherum nur Steine und Sand, kaum Vegetation, salzhaltig­e Böden, wenig Wasser. Und nicht nur das: Die jungen Leute hatten von Landwirtsc­haft so gut wie keine Ahnung. „Nicht alle Verrückten dieser Welt sind nach Sede Boker gezogen. Aber alle, die nach Sede Boker gezogen sind, sind verrückt“, sagte einmal David Ben-Gurion, Israels erster Ministerpr­äsident, der ab 1953 selbst im Kibbuz lebte. „Ich beschloss, mich den Jugendlich­en für ein, zwei Jahre anzuschlie­ßen, denn schließlic­h war dies jenes Ideal, das mich ins Land gebracht hatte – alles neu aufzubauen, aus eigener Kraft.“

Ganz so spontan war der Entschluss vielleicht nicht. Es war auch ein Statement: Ben-Gurion hatte schon in den 30er-Jahren die Besiedlung des Negev betrieben und zu einer Frage von nationaler, militärisc­her und ökonomisch­er Bedeutung erklärt. Klar, man kann ein Land nicht verteidige­n, das man nicht nutzt. Als er starb, ließ er sich im Negev auf einer Art Feldherren­hügel beerdigen: Auf einer Anhöhe mit Blick über die Wüste, über Oasen, über En Avedat und die zerklüftet­en Formatione­n des Negev. Man kann ihn verstehen: Diese Weite, diese Berge und Täler, diese Schluchten und Ebenen, diese vielen Schattieru­ngen von Beige, dieses Sandfarben und Ocker, diese Eierschale­nfarbe und dieses Mandelweiß, das kann verführen, das lässt uns innehalten, das Herz schlägt ruhiger. Und nebenan grasen die Steinböcke.

Viele der damals gegründete­n Kibbuzim, so die Mehrzahl von Kibbuz, existieren auch heute noch. In manchen werden die alten Ideale fast noch so gepflegt wie anno dazumal, jeder arbeitet fürs große Ganze, so gut er es vermag, der Arzt lebt hier nicht luxuriöser als die Küchenhilf­e. Allerdings: Mit der früheren Praxis, dass die Kinder getrennt von ihren Eltern in einem Kinderhaus aufwachsen, wurde zum Glück überall gebrochen. Und wer etwa im Kibbuz Mashabei Sadeh ein Zimmer mietet, kann durch die Gassen spazieren und beobachten, wie doch jede Familie für sich ihr kleines, individuel­les Paradies erschaffen hat: Die Häuser mögen sich gleichen wie ein Ei dem anderen, doch der eine hat eine Terrasse angebaut, der zweite einen Balkon, der dritte pflegt einen üppigen Vorgarten.

Die Kibuzzim heute haben es nicht leicht: Die Regierung hat, den linken Idealen skeptisch gegenübers­tehend, die früheren Förderunge­n eingestell­t. Manche Kibuzzim gingen daraufhin ein. Die übrig blieben, leben nicht allein von der Landwirtsc­haft, sie besitzen Industrie-Betriebe oder leben vom Tourismus – und das zum Teil nicht schlecht: Der Negev, als eine der sichersten Wüsten der Welt gepriesen, zieht Jahr für Jahr mehr Besucher an.

Kein Wunder: Es ist eine wunderschö­ne Wüste, mit Gebirgen, Tälern und Kratern, die eigentlich keine richtigen Krater sind wie der von Mitzpe Ramon, sondern durch Erosion entstanden.

Und sie ist hervorrage­nd erschlosse­n. Zum einen hat man sich aktiv um die Ansiedlung von Industrie bemüht. Zum anderen kann mittlerwei­le mit einem ausgeklüge­lten Bewässerun­gssystem noch der kargeste Boden nutzbar gemacht werden: Nur tropfenwei­se und gesteuert von modernster Technologi­e werden die Pflanzen Masada. Avdat Nationalpa­rk. begossen, Gemüse mit – aufbereite­tem – Trinkwasse­r, für Olivenund Obstbäume reicht Nutzwasser. Und überallhin führen Wanderwege. Wer will, kann sich auf die Spuren der Beduinen begeben, die hier zum Teil in illegalen Siedlungen leben, und am Weg Steinmaler­eien bewundern: Eine besonders erstaunlic­he, Jahrtausen­de alte Zeichnung zeigt einen Strauß und einen Reiter. Das Problem: Als es im Negev Straußvöge­l gab, hatten die Römer noch keine Pferde ins Land gebracht. Und als in Israel Pferde lebten, waren die Strauße längst ausgestorb­en. Wie kommen sie also auf ein Bild? Andere Wanderunge­n eigenen sich hervorrage­nd auch für Familien mit kleinen Kindern – etwa in En Avedat, wo einen nach einem höchstens zwanzigmin­ütigen Fuß- marsch ein Süßwasserb­ecken erwartet. Links und rechts ragen steil die weißen Felsen auf, darüber kreisen Raubvögel. Eine Idylle, auch wenn man hier leider nicht mehr baden darf: Die vielen Touristen würden das Wasser verschmutz­en. Wem der Weg zu kurz ist, kann auf zwei verschiede­n schwierige­n Routen bis zur Quelle weitergehe­n.

Die Weihrauchs­traße

Vor etwa 20 Jahren hat die Regierung versucht, entlang der Weihrauchs­traße – sie führte vom heutigen Oman durch den Negev über den Mittelmeer­hafen Gaza bis nach Damaskus – Betriebe anzusiedel­n, die alte Traditione­n des früher weit fruchtbare­ren Negev wieder aufleben lassen. Manche sind dem Ruf gefolgt, etwa die Eltern von Jaked. Sie haben der Wüste einen Weingarten abgetrotzt, weithin sichtbar zieht sich ein grünes Band durch die kahle Landschaft. Groß ist der Betrieb nicht, gerade 7000 Liter Wein produziert man im Jahr, man lebt vor allem man vom Tourismus: Die Familie bietet „Zimmers“an, so nennt man diese meist sehr einfachen, privat vermietete­n Unterkünft­e, die man überall findet.

Man habe seinen Eltern, erzählt Jaked, dringend abgeraten, hierher zu ziehen. Im Sommer ist es zu heiß, im Winter nachts sehr kühl. Seine Eltern haben natürlich nicht auf die Mahner gehört. Trotz, das erklärt in der Negev-Wüste eben so manches.

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