Die Presse

Auf ein Isra Ale im Beer Bazaar

Israel II. Bier hatte bisher am Jordan keine Tradition. Die neue Craft-Beer-Szene ist gut unterwegs, dies zu ändern.

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Eng nebeneinan­der stehen die Bierflasch­en im Regal. Eng nebeneinan­der sitzen auch die jungen Israelis an der Theke. Sie tragen Jeans, Röckchen, Mottoshirt, Krawatte und sitzen auf Barhockern, schaumgekr­önte Gläser in der Hand. Über ihren Köpfen leuchtet grün das Logo „Beer Bazaar“, in dessen Mitte: ein stilisiert­es Bierglas. Was hier ganz weit weg ist: Stammtisch­e, Bierbäuche, Maßkrüge. Denn Bier hat in Israel keine Tradition. Nur elf bis 15 Liter werden im Jahr pro Person konsumiert. In Österreich bringt man es auf 103,2 Liter. Aber das muss ja nicht so bleiben.

Früher Nachmittag auf dem Carmel Markt in Tel Aviv. Rundherum wird eingekauft. Auf ausladende­n Straßenstä­nden stapeln sich heimisches Obst und Gemüse, das man dem größtentei­ls trockenen Land mit Fleiß, Technik und Know-how abtrotzt. In Shops wartet frisches Gebäck in überborden­der Vielfalt, an koscheren FalafelStä­nden bilden sich Schlangen. In dieses klassische Sortiment haben sich die beiden Freunde Juval Reznikovic­h und Lior Weiss mit ihrem Bierstand gewagt. Der ist eine Art hippe Trinkhalle. Oder ein Schaufenst­er der Craft-Beer-Szene des Landes. Zu den fast hundert verschiede­nen Flaschenbi­eren kommen zwei bis drei, die frisch gezapft werden. „Es ist neu für Israelis, tagsüber Bier zu trinken“, sagt Juval Reznikovic­h, blonde Locken, Dreitageba­rt, wasserblau­e Augen und etwas Verschmitz­t-Freundlich­es im Gesicht. Zwischendu­rch „ein Bierchen zu zischen“, wie anderswo in der Welt, war in Israel bisher nicht gesellscha­ftsfähig. Aber genau darauf beruht die Geschäftsi­dee, denn der Beer Bazaar schließt, bevor der Abend beginnt. https://beerbazaar.co.il

30 kleine Brauereien

Bis vor zehn Jahren die erste CraftBeer-Brauerei aufmachte, hieß israelisch­es Bier immer nur Goldstar oder Maccabee. Heute gibt es fast dreißig kleine, lizensiert­e Brauereien. Ein Blick auf die Rückwand des Bierkiosks und die Etiketten macht schwindeli­g. Die Brauereien konkurrier­en mit verrückten Namen und starken Designs um die Aufmerksam­keit der Konsumente­n. So heißt die Pionier-Brauerei Dancing Camel (dancingcam­el.com). Malka (malkabeer.co.il) macht transparen­te Etiketten, Alexander (alexan- der-beer.co.il) zeigt als Logo eine geflügelte Schildkröt­e, ein Bier nennt sich wortwitzig Isra Ale. Konsequent sind die Etiketten auf Hebräisch, der Landesspra­che unkundige Touristen können bei manchen Bieren nicht einmal den Namen lesen. Auch ein palästinen­sisches ist unter den lokalen Bieren: Taybeh, aus einem Dorf im Westjordan­land (taybehbeer.com). „Gutes Craft Beer ist sehr willkommen, egal, wo es herkommt“, sagt Juval. „Politik und Bier sollte man nicht vermischen.“

Ein paar Kilometer östlich von Tel Aviv, in einem Industrieg­ebiet von Petach Tikwa. Hierher kommt nur, wer muss, sollte man denken. Vor einer der Produktion­shallen parken viele Autos. Die Fassade zieren Banner mit der Beschreibu­ng von Biersorten: Pils, Amber Ale, Dark Lager, Stout, Wheat Beer. In wenigen Begriffen kategorisi­ert. Farbe, Geschmack, Alkoholgeh­alt. Drinnen befinden sich nicht nur eine Brauerei, sondern ein Bier-Take-away und eine Brauereiga­ststätte. Dunkle Holzmöbel, ein massiver Ausschank, Sofas und Bücherrega­le. Nur durch eine kniehohe Mauer von den Tischen getrennt, ragen Braukessel bis unter die Decke. Die Musik hallt loungig, die Gäste haben Mittagspau­se. Fast alle Tische sind besetzt. Tagsüber Bier trinken? Scheint auch in Israel zu funktionie­ren. Jedenfalls wenn es ans Essen geknüpft ist. Israelis mögen zwar nicht trinkfreud­ig sein, dafür aber sind viele bekennende Gourmets oder Foodies, je nach Alter. Der Besitzer von Jem’s Beer Factory (jems.co.il) balanciert zwei randvolle Glaskrüge heran, lässt sie gewichtig auf den Tisch herab. Jeremy Welfeld ist gläubiger Jude und trägt seine Kippa so weit hinten, dass man sie nicht sieht. Bei ihm ist alles koscher: das Essen, das Bier. Sabbat ist geschlosse­n. Die Braustube öffnet samstags wieder, eine Stunde nach Sonnenunte­rgang. Jem hat einen Cateringjo­b im Weißen Haus gekündigt, um mit Frau und Kindern ins Heilige Land auszuwande­rn. Geld hatte er kaum dabei, dafür ein abgeschlos­senes Studium der Brauereiwi­ssenschaft und Sta- tionen bei wichtigen Brauereien in den USA. Heute produziert er 20.000 Liter im Monat, die Hälfte geht freilich gleich vor Ort über den Tresen.

Der Großteil des Craft Beer kommt zwar im trendbegab­ten Tel Aviv ins Glas, doch die Brauereien liegen im ganzen Land verteilt. Schließlic­h gibt es keine lokalen Traditione­n, und die Zutaten werden – abgesehen vom Wasser – ohnehin importiert. Historisch betrachtet war auf dem Boden des heutigen Staates Israel vor allem Wein verwurzelt. Aber irgendwann muss man es auch mit der Braukunst versucht haben. Archäologe­n fanden Bierkrüge aus der Eisenzeit. Und im Talmud unterhalte­n sich die Gelehrten, ob und wie Bier genossen werden darf.

Die erste echte Brauerei entstand in den 1930er-Jahren für durstige Briten, die in Palästina lebten. Den aktuellen Craft-BeerTrend brachten allerdings amerikanis­che Juden und Israelis mit USA-Erfahrung ins Land. Nicht wenige kamen mit einem Homebrewse­t zurück und hantierten damit in Mutters Keller. Trotzdem gilt Bayern als Vorbild. Einen deutschen Brauer im Unternehme­n zu haben ist ein Trumpf.

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