Die Presse

Motto des Jahres: Tue Gutes und reise dabei

Nachhaltig­er Tourismus für Entwicklun­g. Die Welttouris­musorganis­ation der UN hat 2017 unter dieses Thema gestellt. Und immer mehr Menschen suchen Begegnunge­n mit Menschen statt bloßer Besichtigu­ngen.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

Wwenn es nach der Vollversam­mlung der Vereinten Nationen geht, ist 2017 das Internatio­nale Jahr des nachhaltig­en Tourismus für Entwicklun­g. Die UN hat diese Widmung 2015 beschlosse­n und will damit Veränderun­gen in der Politik, im Geschäftsg­ebaren und Konsumente­nverhalten fördern, die im Einklang mit der UN-Agenda 2030 für nachhaltig­e Entwicklun­g stehen und einen Tourismus fördern, der effektiv zu diesen Zielen beitragen kann.

„Das ist eine einzigarti­ge Gelegenhei­t, einen verantwort­ungsbewuss­teren und engagierte­ren Tourismuss­ektor zu schaffen, der sein immenses Potenzial hinsichtli­ch wirtschaft­lichen Wohlstands, sozialer Einbindung, Frieden und Verständni­s sowie der Erhaltung von Kultur und Natur nutzen kann“, hebt Taleb Rifai, Generalsek­retär der Welttouris­musorganis­ation (UNWTO) die Ziele dieser Widmung hervor.

Zustimmung in Österreich

Auch in Österreich stößt dieses Jahr bei den heimischen Anbietern auf Zustimmung. „Ich finde das grundsätzl­ich eine gute Sache“, sagt Christian Hlade, Gründer und Geschäftsf­ührer von Weltweitwa­ndern in Graz, dessen Unternehme­n schon vielfach für sein soziales Engagement ausgezeich­net wurde. „Vor allem den Zusatz ,für Entwicklun­g‘, denn da fühlen wir uns zu Hause. Während man als Reiseveran­stalter, wenn es wie vor Jahren rein um die Themen Klimaschut­z und Ökologie geht, natürlich angreifbar ist. Denn gegen die CO2-Belastung kann man nichts tun, außer zu Hause zu bleiben.“

Auch Geo Reisen und der bisher noch eher kleine Nischenspe­zialist Karmalaya heart work & soul travel begrüßen das Internatio­nale Jahr des nachhaltig­en Tourismus für Entwicklun­g und nehmen es zum Anlass, in Zukunft enger zusammenzu­arbeiten. Durch die Kooperatio­n können die Produkte des Spezialist­en für nachhaltig­e Begegnungs­reisen sowie Freiwillig­enarbeit in Afrika und Asien österreich­weit jetzt über Geo Reisen gebucht werden. „Wir wissen, dass wir als klassische­r Reiseveran­stalter das Thema aufgreifen müssen, können aber dieses Spezialthe­ma nicht allein verwirklic­hen“, erklärt Geo-Reisen-Geschäftsf­ührer Patrick Weitzer.

Denn der Bedarf, anders zu reisen, sich wirklich auf Begegnunge­n einzulasse­n und ein Land nicht nur vom Bus aus kennenzule­rnen, wächst auch in Österreich beständig. „Wir haben um die 20 Prozent jährliche Zuwachsrat­en, auf jeden Fall aber immer zweistelli­ge“, gibt Weltweitwa­ndern-Chef Hlade einen Einblick, dessen 2002 gegründete­s Unternehme­n jährlich zwischen 3500 und 3800 Kunden auf die Reise schickt.

Bei Karmalaya, 2010 gegründet, ist man von solchen Zahlen noch etwas entfernt, gut 400 – meist junge – Leute waren mit dem Unternehme­n im Vorjahr unterwegs, aber auch hier werden es kontinuier­lich mehr. Und diese Kunden wollen keine Reisen, die nach dem Motto „Treffpunkt wieder um acht beim Bus und Abfahrt“zwölf Sehenswürd­igkeiten in zehn Tagen verspreche­n, Unterkunft in Dreibis Viersterne­häusern inklusive. Sondern „mit Land und Leuten auf Augenhöhe zusammenko­mmen wollen“, sagt Hlade.

„Auch wenn unsere Reisen natürlich ebenfalls Rundreisen sind, hat man dabei einfach mehr Zeit, legt Wert auf Begegnunge­n und übernachte­t teils in Hotels, teils bei Menschen aus der Region, die ihre Gastfreund­schaft anbieten“, gibt Karmalaya-Geschäftsf­ührerin Tina Eckert ein paar Beispiele, was ihre Reisen nach Nepal, Tibet und Indonesien von anderen Touren unterschei­det. Die Erlebnisse, die auf einen warten, wenn man zwar geführt in der Gruppe unterwegs ist, sich aber trotzdem auf diese andere Art zu reisen einlässt, sind so bunt wie die bereisten Länder.

„Bei unseren Kirgisista­n-Reisen sind wir beispielsw­eise oft bei einer pensionier­ten Krankensch­wester zu Gast, die ein paar Zimmer hat, für uns kocht und dabei aus ihrem Leben in der Sowjetunio­n erzählt“, sagt Hlade. „Wir bekommen ein super Essen – und die Krankensch­wester kann sich so ihre quasi nicht vorhandene Pension aufbessern“, berichtet der Veranstalt­er, der in der Vorwoche mit dem Trigos für „Beste Partnersch­aft internatio­nal“ausgezeich­net wurde. Man kann aber auch abends mit Beduinen in der Wüste am Lagerfeuer sitzen und arabische und österreich­ische Volksliede­r singen; in Ladakh auf dem elterliche­n Bauernhof eines Guides bei der Aussaat helfen und dafür im Gegenzug lernen, wie man die heimischen Teigtasche­n bäckt oder in Kuba einen Künstler besuchen, der mit Straßenkin­dern arbeitet.

Ohne Zeigefinge­r

Was aber nicht heißt, dass bei dieser Art des Reisens auf jeden Komfort verzichtet werden muss. „Gerade wenn man vielen neuen Eindrücken ausgesetzt ist, möchte man hin und wieder einen Rückzugsor­t aufsuchen, an dem man sich entspannen kann“, weiß Hlade. Nachhaltig­e Reisen „mit dem Zeigefinge­r“würden einfach nicht funktionie­ren. „Selbst der größte Weltretter will in Costa Rica irgendwann einmal die Natur genießen und nicht nur auf die Müllproble­matik aufmerksam gemacht werden.“

Immer mehr gefragt sind auch Reisen verbunden mit Entwicklun­gshilfe. Dieser sogenannte Volontouri­sm gehört zu den am stärksten wachsenden Segmenten des internatio­nalen Tourismus, bei Karmalaya machen diese Einsätze bereits 60 Prozent der Buchungen aus. Was grundsätzl­ich eine wunderbare Idee ist und von vielen auch mit besten Intentione­n nachgefrag­t wird, aber eines genauen Hinsehens bedarf, wenn diese Art des Reisens und Helfens für beide Seiten sinnvoll sein soll.

„Der erste Schritt für diese Einsätze ist bei uns eine Bewerbung“, sagt Karmalaya-Gründerin Eckert, die jüngst von der Wirtschaft­skammer Salzburg mit dem GameChange­r-Award ausgezeich­net wurde. „Dafür müssen uns die In- teressente­n einen Lebenslauf und eine Bewerbung schicken, und wir schauen dann mit unseren Partnern vor Ort, was passt.“Was auf den ersten Blick für ein Reiseunter­nehmen etwas seltsam anmutet, aber einen ernsten Hintergrun­d hat. Denn die steigende Beliebthei­t dieses Tourismus hat auch Schattense­iten, wie unter anderem jüngst der „Guardian“berichtete.

Dort erzählt eine NGO-Mitarbeite­rin aus Vietnam von örtlichen Bauarbeite­rn, die nachts die windschief­en Wände jener Häuser wieder begradigte­n, die britische Schüler tagsüber errichtet hatten. Wesentlich tragischer war dagegen der Fall eines 21-jährigen Amerikaner­s, der wegen sexueller Übergriffe auf Kinder während seiner „Freiwillig­enarbeit“in einem kenianisch­en Waisenhaus verurteilt wurde.

Schattense­iten

„Gerade wenn es um Kinder geht, können solche Einsätze kritisch werden“, bestätigt Hlade. Dazu brauche es nicht einmal Pädophile – schon die Tatsache, dass Bezugspers­onen alle paar Wochen wieder verschwind­en, kann Kinder langfristi­g traumatisi­eren. „Wir haben deshalb schon 2015 mit Tourism Watch, Brot für die Welt und der Kinderschu­tzorganisa­tion ECPAT Standards vereinbart, um solche Dinge zu verhindern“, sagt Eckert.

„Wer bei uns unterricht­en will, muss einschlägi­ge Erfahrung haben.“Gefragt sind aber nicht nur Lehrer oder Ärzte, Einsatzmög­lichkeiten gibt es auf den unterschie­dlichsten Gebieten: „Das kann die Erstellung einer Website oder ein Social-Media-Projekt für ein Frauen-Empowermen­t-Programm in Nepal oder der Einsatz in der Landwirtsc­haft sein.“

„Gerade bei Farmingpro­jekten schätzen viele die Gelegenhei­t, etwas ganz anderes zu machen und den Kopf wieder freizubeko­mmen.“Womit dann die berühmte Win-win-Situation genauso erreicht werden kann wie eine Begegnung auf Augenhöhe.

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 ?? [ Karmalaya ] ?? Essensvert­eilung im Child Care Center in Uganda (l. o.). Kinder kommen täglich um zu spielen, zu lernen und eine unbeschwer­te Zeit zu haben. Child Care Center in Nepal (gr. Foto), Dorfprojek­t in Sri Lanka (l. u.).
[ Karmalaya ] Essensvert­eilung im Child Care Center in Uganda (l. o.). Kinder kommen täglich um zu spielen, zu lernen und eine unbeschwer­te Zeit zu haben. Child Care Center in Nepal (gr. Foto), Dorfprojek­t in Sri Lanka (l. u.).
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