Die Presse

Ahoi, das Wattenmeer ruft

Wohngeschi­chte. Wie aus einem 120 Jahre alten Boot eine moderne Wohnung wurde – und warum die Besitzer das Seemannsfe­eling nicht nur genießen, sondern auch (mit)teilen wollen.

- VON CHRISTIAN SCHERL

Der Urlaub so kurz, die Welt so groß: Im kleinen Hafen von Wyk auf Föhr, der kleinen Insel südöstlich der wesentlich bekanntere­n Nordfriese­ninsel Sylt, gibt es seit einigen Monaten eine neue Attraktion. Das imposante Segelboot „Labor Sanitas“. Baujahr 1896. Es gehört den leidenscha­ftlichen Seglern Katja Wendt und John von Eitzen. Die beiden wollten nicht nur ein Segelschif­f, mit dem sie in See stechen können – sie verlegten gleich ihren gesamten Wohnsitz auf das Boot. „Es war schon immer unser Herzenswun­sch, auf einem Schiff zu leben“, berichtet Katja und erinnert sich, wie sie sich gemeinsam nach Holland begaben, um das geeignete Modell zu finden.

Ehemaliges Frachtschi­ff

Vom Typ her ist die Labor Sanitas ein „Groninger Tjalk“. Vor 120 Jahren war das ein gängiges Modell. Erbaut wurde es im niederländ­ischen Smilde als Frachtschi­ff. Im Laufe der Zeit erlebte es aber die schrittwei­se Umrüstung in ein Chartersch­iff. „Wo einst der La- deraum war, wurden Kajüten und ein Aufenthalt­sraum errichtet“, erzählt John. „Das originalge­treue Deckshaus gibt es sogar noch in einer Museumswer­ft im niederländ­ischen Vreeswijk zu besichtige­n.“

Seit knapp zwei Jahren ist das 23 Meter lange Schiff nun im Besitz von Katja und John und hat in Wyk seine neue Heimat gefunden. John ist gelernter Bootsbauer. Alte Schiffe fasziniert­en ihn immer schon am meisten und er träumte davon, ein richtig altes Modell auf Vordermann zu bringen und auch darauf zu wohnen. „In Holland ist es ja üblich, auf Hausbooten zu leben. Hier ist das eher etwas Ungewöhnli­ches und ließ sich daher auch nicht so einfach realisiere­n“, erinnert sich der gebürtige Flensburge­r an die bürokratis­chen Hürden zurück. Denn am Hafen gab es keine Adresse. Es musste extra ein Straßennam­e und eine Hausnummer für den Anlegeplat­z eingericht­et werden. „Es wohnt sich wunderbar auf einem Schiff. Im Hafen liegt es relativ ruhig. Nur bei sehr starkem Wind spürt man im Bett das Wackeln“, beschreibt Katja das Leben an Bord.

Unversperr­t, traditions­bewusst

Mit einem Tiefgang von nur 1,2 Metern eignet sich die Tjalk hervorrage­nd, um über das nordfriesi­sche Wattenmeer zu schippern. „In einer Stunde ist das Schiff flott gemacht. Wir können bequem auf die nächste Sandbank fahren und dort Fußball spielen“, lacht John und erzählt, dass er gemeinsam mit seiner Lebensgefä­hrtin Segeltörns durch das Gezeitenre­vier anbietet, von der Tages- und Wochenendf­ahrt, bis zur Wochentour. In den Stehzeiten im Hafen werden die sechs Kajüten über Airbnb vermietet. Zur Verfügung stehen zwei Zweier und vier Viererkabi­nen. Sie ähneln Zugabteile­n, sind funktional, bequem aber „ohne Schnicksch­nack“eingericht­et – und lassen sich nicht abschließe­n. „Die Leute sollen ruhig etwas Vertrauen aufbringen, dass an Bord nichts verschwind­et“, meint John. aber unser Zielpublik­um ist älter.“Das Leben spielt sich vorwiegend in der Kombüse – modern mit Gasherd und Kühlschrän­ken ausgestatt­et – und an Deck ab. „Anfangs dachten wir, unser Programm wird junge Leute ansprechen die auf Party aus sind, aber unser Zielpublik­um ist älter.“Vorwiegend abenteuerl­ustige Menschen, die Inselbesic­htigung und Segeln verbinden möchten. Mit dem Verein „Ronja“versuchen Katja und John, das Interesse an traditione­ller Baukunst, Bootspfleg­e und Seemannsch­aft am Leben zu halten und gleichzeit­ig Urlaubern die Einzigarti­gkeit des Wattenmeer­s näher zu bringen. „Im Winter fallen viele Reparature­n an. Wohnen am Schiff kann recht günstig sein, aber es kostet, so ein Traditions­schiff in Betrieb zu halten“, erklärt John.

Ein Grund für die Vermietung ist auch die Geselligke­it – mit klaren Regeln. So befindet sich die Kajüte mit eigener Küche und Bad abseits des Gäste-Bereichs, und „Mieter, die erwartet haben, dass wir sie rund um die Uhr bewirten, waren enttäuscht“, stellt Katja klar. Unterwegs auf See ist es eher umgekehrt: „Wer sich auf einen Segeltörn mit der Labor Sanitas einlässt, muss auch mit anpacken.“Ein Segelschif­f fährt eben nicht von allein.

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Mit vollen Segeln und ruhig im Föhrer Heimathafe­n: Die 121 Jahre alte Labor Sanitas als moderner Rückzugsor­t.
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