„Die Geopolitik kehrt auf den Balkan zurück“
Interview. Nikola Dimitrov, Mazedoniens Außenminister, über den wachsenden Einfluss Russlands, den Namensstreit mit Griechenland, den Durst nach Gerechtigkeit in seinem Land und einen umstrittenen Wahlkampfbesuch von Sebastian Kurz.
Ihre Regierung hat sich den zügigen Beitritt Mazedoniens zur Nato und der EU zum Ziel gesetzt. Griechenland legt sich seit Jahren quer, weil es nicht akzeptiert, dass sich Ihr Land Mazedonien, also wie die griechische Nordprovinz, nennt. Wie wollen Sie die Blockade überwinden? Nikola Dimitrov: Mein erster offizieller Auslandsbesuch führte mich nach Athen. Meine Botschaft war: Unser Land hat eine zweite Chance erhalten, eine europäische Demokratie zu errichten. Überlegt euch, ob ihr diese Bemühungen unterstützt. Denn unsere Zukunft in der EU und der Nato zu blockieren macht Mazedonien nicht unbedingt konstruktiver.
Hat der griechische Außenminister, Nikos Kotzias, die Botschaft verstanden? Ich werde nie aufgeben, mit Freundlichkeit zu überzeugen. Kotzias wird uns im August besuchen. Mazedonien ist nun vorteilsfreier gegenüber seinen Nachbarn. Ich war vergangenes Wochenende in Bulgarien und handelte mit meinem Amtskollegen einen Nachbarschaftsvertrag aus, der Anfang August unterzeichnet werden soll. Wir wollen nicht mehr provozieren, sondern positive Signale aussenden.
War es ein Fehler, Griechenland mit einer riesigen Statue von Alexander dem Großen im Herzen von Skopje zu provozieren? Wir werden keine weiteren Statuen errichten. Wir haben genug. Wir brauchen keine Monumente, um stolze Mazedonier zu sein. Wir sind reifer geworden.
Halten Sie es für möglich für Mazedonien, der Nato unter einem provisorischen Namen wie Fyrom (Former Yugoslav Republic of Macedonia) beizutreten? Das ist möglich, wenn Griechenland zustimmt, auch wenn Fyrom sich ein bisschen wie Klingon aus „Star Trek“anhört. Ein solcher Kompromiss wäre eine Investition in eine spätere Lösung des Namensstreits. Wir werden unser Bestes geben, die Griechen zu überzeugen, dass dies auch in ihrem Interesse wäre. Sie wollen über eine etwaige Lösung im Namensstreit ein Referendum abhalten. Riskieren Sie damit nicht eine neuerliche Polarisierung Ihres Landes? Alle Parteien haben sich über dieses Referendum verständigt. Wir brauchen in Mazedonien einen nationalen Konsens der großen Parteien. So weit sind wir noch nicht mit der gegenwärtigen Opposition, die während ihrer Regierung den Staat in Besitz genommen hat. Wir müssen vorankommen, ohne aber das Land auseinanderzubrechen.
Welche Rolle kann die EU dabei spielen? Europa muss erkennen, dass etwas auf dem Spiel steht. Die Region ist kein sehr sicherer und glücklicher Ort. Europa kann nicht so weitermachen wie bisher und nur so tun, als ob es sich um die Erweiterung schert, und gleichzeitig Angst haben, mit den eigenen Wählern darüber zu reden. Wir müssen uns beeilen, den Job auf dem Balkan zu erledigen.
Warum? Das Konzept nach Ende der Jugo- slawien-Kriege war es, Grenzen festzulegen und die Länder an die EU heranzuführen. Doch der Beitrittsprozess hat sich dramatisch verlangsamt und nimmt sich mittlerweile wie eine Treppe ins Nirgendwo aus. Die EU-Mitgliedstaaten haben das Vertrauen verloren, dass dieser Prozess die Balkanländer wirklich verändert: Sie sehen Korruption, Niedergang der Demokratie und Unterdrückung von Medien. Das steigert die Skepsis. Und gleichzeitig kehrt die Geopolitik auf den Balkan zurück.
Was meinen Sie damit? Die Rückkehr Russlands? Es gibt Kräfte, die eine Gelegenheit sehen, die postjugoslawische Nachkriegsordnung infrage zu stellen. Und wenn auf dem Balkan etwas nicht nach Plan läuft, beginnen die Leute wieder, über Grenzen zu reden. Das Problem mit Problemen ist, dass sie sich ausbreiten. Europa muss beginnen, Probleme zu lösen.
Verleihen Einmischungen Russlands in der Region den mazedonischen Nato-Bestrebungen eine neue Dringlichkeit? Ich mag diese Entweder-oderGleichungen nicht. Die Bürger Mazedoniens müssen selbst entscheiden, ob sie der Nato beitreten wollen. Wir bemühen uns schon seit 1993 darum. 71 Prozent der Bevölkerung ist dafür.
Hat Europa zu lang weggeschaut, weil es mit eigenen Krisen beschäftigt war? Europa hatte es mit existenziellen Krisen zu tun. Aber Europa darf nicht in die Melancholiefalle tappen. Lord Robertson, der damalige Nato-Generalsekretär, hat gesagt: „Wenn du nicht zwei Pferde gleichzeitig reiten kannst, was hast du dann in einem Zirkus zu suchen?“Europa muss wieder größer denken. Wenn es eine Region gibt, in der es den Unterschied ausmachen kann, dann auf dem Balkan.
Gingen manche Regierungen in Europa zu sanft mit Ex-Premier Gruevski um? Europa muss die Dinge beim Namen nennen, wenn es Einfluss in der Region haben will. Bei großen demokratischen Verfehlungen muss Europa öffentlich „Foul!“schreien. Ich sage das auch als Au- ßenminister: Wenn wir einen Fehler machen, sagt es uns öffentlich.
Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, nahm an Wahlkampfveranstaltungen der Partei Gruevskis teil. Es wäre nicht sehr weise für mich als Außenminister, eine allzu offene Antwort zu geben. Ich kann nur sagen: Es gibt keine Dichotomie zwischen Stabilität und Demokratie. Und Mazedonien ist das beste Beispiel dafür. Wenn ein Staat keine Demokratie mit unabhängigen Institutionen ist, kann er nie stabil sein.
Ex-Premier Gruevski darf Mazedonien derzeit nicht verlassen. Was hat er zu erwarten? Es gibt einen großen Durst nach Gerechtigkeit in Mazedonien. Wir haben es mit einem offensichtlichen Unrecht zu tun: Wir kennen alle die Abhörprotokolle. Straffreiheit ist eine schreckliche Botschaft. Denn sie impliziert, dass man mit allem davonkommen kann, wenn man nur mächtig genug ist. Aber das ist nicht der Job der Regierung, das haben die Richter zu entscheiden.
Wenn Sie nicht auf Versöhnung setzen, werden Sie die Kluft in Mazedonien vertiefen. Versöhnung muss auf Prinzipien und Rechenschaftspflichten basieren. In Mazedonien wurde so viel unter den Teppich gekehrt, dass daraus ein kleiner Berg entstanden ist. Wir brauchen starke Institutionen, unabhängige Gerichte und freie Medien, um ein stabiles Land zu sein. Das ist die große Lektion für Mazedonien aus der vergangenen Staatskrise.
Nikola Dimitrov (* 30. 9. 1972 in Skopje) ist seit dem 31. Mai Außenminister Mazedoniens. Der Sozialdemokrat folgte in dieser Funktion Nikola Poposki nach. Davor hatte er beim Haager Institute for Global Justice gearbeitet. Dimitrovs Spezialgebiet sind internationale Menschenrechte. Er fungierte von 2011 bis 2006 als Mazedoniens Botschafter in den USA und von 2009 bis 2011 in den Niederlanden. Dazwischen war er Beauftragter für die Nato und vertrat Mazedonien im Namensstreit mit Athen beim Internationalen Gerichtshof.