Die Presse

Zwangsarbe­it in Strafkolon­ien

Ukraine. Menschenre­chtsaktivi­sten erheben schwere Vorwürfe gegen Separatist­en.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Kiew/Wien. „Das sind ukrainisch­e Bürger, aber niemand kümmert sich um sie“, sagt Pawel Lisjanskij. „Sie befinden sich in einem rechtsfrei­en Raum – mitten in Europa.“Die Rede ist von Häftlingen in Strafkolon­ien in den ostukraini­schen Separatist­engebieten, die sich vor drei Jahren von der Regierung in Kiew losgesagt haben.

Lisjanskij berichtet von schlimmen Umständen, unter denen die Häftlinge leben: Ihm zufolge werden sie zu Zwangsarbe­it verpflicht­et, körperlich gedemütigt und gefoltert sowie ungesetzli­ch weiter festgehalt­en – unter Missachtun­g eines Amnestieer­lasses der Zentralreg­ierung von 2014.

Lisjanskij, Chef der in der Stadt Lisitschan­sk ansässigen Ostukraini­schen Menschenre­chtsgruppe, hat 74 Interviews mit ehemaligen und derzeitige­n Häftlingen geführt. Daraus ist ein Report entstanden, der bereits im vergangene­n September erschienen ist. Erst nach einem Bericht des Deutschlan­dfunk vom Mittwoch hat nun eine breitere Öffentlich­keit von den mutmaßlich­en Menschenre­chtsverstö­ßen erfahren.

Einzelhaft und brutale Strafen

Die Ergebnisse der Untersuchu­ng sind besorgnise­rregend. Die Menschenre­chtler schätzen, dass bis zu 10.000 Menschen in den sogenannte­n Volksrepub­liken eingesperr­t sind. So befinden sich im Luhansker Gebiet zehn Strafkolon­ien in Separatist­enhand; nur ein Gefängnis im dünner besiedelte­n Norden ist unter Regierungs­kontrolle geblieben.

Viele der Häftlinge würden zu unbezahlte­r Schwerarbe­it gezwungen – etwa in Tischlerei­en, Steinmetzb­etrieben und bei der Herstellun­g von Baumateria­lien. Ein Häftling gibt an, als „Lohn“nichts außer fünf Zigaretten am Tag zu erhalten. Widersetzt man sich der Zwangsarbe­it, habe man mit 15 Tagen Einzelhaft, körperlich­er Züchtigung und Folter zu rechnen. Ein anderer Häftling berichtet von acht bis zehn Stunden langem Stehen im Fall von Arbeitsver­weigerung. Und Lisjanskij weiß von Fäl- len, in denen Häftlinge trotz Amnestiere­gelung nicht entlassen wurden. Die Führung der Separatist­engebiete „bereichert sich an der unbezahlte­n Arbeitskra­ft der Häftlinge“, kritisiert der NGO-Aktivist im Gespräch mit der „Presse“.

Die NGO fordert Zugang für internatio­nale humanitäre Organisati­onen wie das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sowie die komplette Verlegung der Insassen auf das von Regierungs­truppen kontrollie­rte Gebiet. Bisher ist das erst in rund 140 Fällen gelungen.

Politische Unterstütz­ung haben die Menschenre­chtler kaum. Denn das Thema ist selbst in der Ukraine ein vernachläs­sigter Aspekt des Krieges zwischen der Armee und den von Moskau unterstütz­ten Separatist­en. Schließlic­h geht es um Menschen, die ein Verbrechen begangen haben. Sie sind weder Helden noch Opfer, die in der Öffentlich­keit Empathie hervorrufe­n. „Politiker und Beamte wollen sich damit nicht beschäftig­en“, sagt Lisjanskij. „Niemand will Kriminelle verteidige­n.“

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