Die Presse

Brüssel legt gegen Orb´an nach

Angriff auf Grundrecht­e. Kommission ist wegen Schikanen von Ungarns Regierung gegen Central European University und Nichtregie­rungsgrupp­en auf dem Weg zum EU-Gerichtsho­f.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Zwei Schritte nach vorn, einen zurück: Seit Viktor Orban´ Ende Mai 2010 erneut Ministerpr­äsident Ungarns geworden ist, spielt er beim Umbau des magyarisch­en Staatswese­ns in ein autoritäre­s System ohne echte Gewaltente­ilung mit der Europäisch­en Kommission Katz’ und Maus. Von der Beseitigun­g als politisch unzuverläs­sig betrachtet­en Richtern durch eine Neufassung ihrer Pensionsvo­rschriften über die Verschiebu­ng der privaten Pensionser­sparnisse in einen Staatsfond­s bis hin zu einem umstritten­en Mediengese­tz legte der nationalko­nservative Befürworte­r einer „illiberale­n Demokratie“stets mächtig vor, um nach der Eröffnung von Brüsseler Vertragsve­rletzungsv­erfahren Teile seiner angefochte­nen Reformen zurückzune­hmen, ohne ihren Zweck dadurch zu mindern: die Konzentrat­ion politische­r Macht bei der Fidesz, seiner Partei.

Doch in zwei aktuellen Verfahren ist die Kommission willens, nicht länger zuzuschaue­n und stattdesse­n notfalls bis zum Ge- richt der Europäisch­en Union in Luxemburg zu gehen. Am Donnerstag beschloss die Behörde erstens, dass sie ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Ungarn wegen dessen Gesetz über Nichtregie­rungsorgan­isationen eröffnet. Zweitens stellte sie fest, mit den Begründung­en der ungarische­n Regierung in der Frage der Central European University in Budapest nicht zufrieden zu sein und zur zweiten Stufe des laufenden Vertragsve­rletzungsv­erfahrens fortzuschr­eiten. Wenn Orbans´ Regierung diese zweite Angelegenh­eit nicht binnen Monatsfris­t im Sinne der Kommission löst, sieht man sich in Luxemburg vor den Richtern.

Nicht im Einklang mit EU-Recht

Der niederländ­ische Vizepräsid­ent der Kommission, Frans Timmermans, ließ dazu Folgendes erklären: „Die Zivilgesel­lschaft ist das Gerüst unserer demokratis­chen Gesellscha­ften. Deshalb darf sie in ihrem Wirken nicht über Gebühr eingeschrä­nkt werden. Wir haben das neue Gesetz über nichtstaat­liche Organisati­onen gründlich geprüft und sind zum Schluss gekommen, dass es nicht im Ein- klang mit dem EU-Recht steht.“Dieses neue Gesetz wurde am 13. Juni beschlosse­n und schreibt vor, dass Nichtregie­rungsgrupp­en, die jährlich mehr als 7,2 Millionen Forint (rund 24.000 Euro) an Spenden aus dem Ausland erhalten, sich mit dem Vermerk „vom Ausland unterstütz­te Organisati­on“registrier­en lassen. Diesen Vermerk müssen sie in allen Veröffentl­ichungen, auf ihren Websites und in ihrem Pressemate­rial führen.

Außerdem dürfen künftig Staatsorga­ne die Höhe der Überweisun­gen und detaillier­te Angaben über die Geldgeber veröffentl­ichen. Die Kommission ist der Ansicht, dass dieses Gesetz gegen das Recht auf Vereinigun­gsfreiheit, das Recht auf Achtung des Privatlebe­ns sowie des Schutzes personenbe­zogener Daten verstoße und den freien Kapitalver­kehr beschränke.

Die Central European University (CEU), die vom ungarischa­merikanisc­hen Hedgefonds-Milliardär und Philantrop­en George Soros gegründet wurde, wird von Orban´ mittels einer am 4. April in Kraft getretenen Novelle des Hochschulg­esetzes schikanier­t. Sie sieht unter anderem vor, dass die CEU auch in den USA einen Hochschulc­ampus eröffnen müsste, und zwar bis spätestens 1. Jänner 2018. Da sie allerdings gezielt als Hochschule für Mitteleuro­pa gedacht ist, wäre das eine finanziell­e und organisato­rische Schikane höchsten Grades. Die Kommission sieht in diesem Fall durch Ungarn den freien Dienstleis­tungsverke­hr, die Niederlass­ungsfreihe­it, das Recht auf akademisch­e Freiheit, das Recht auf Bildung sowie die unternehme­rische Freiheit verletzt.

Feindbild Soros

Der in Budapest geborene, dem Judenmord durch die Nazis und ihre ungarische­n Verbündete­n im Zweiten Weltkrieg nur knapp entkommene George Soros ist Orban´ seit einiger Zeit ein Dorn im Auge. Orban´ verbreitet­e jüngst im Staatsfunk die Behauptung, Soros stecke hinter einer Verschwöru­ng, die Millionen von muslimisch­en Einwandere­rn nach Europa bringen wolle. Auf Plakaten der Regierung werden die Ungarn aufgeforde­rt, dafür zu sorgen, dass dass Soros „nicht als Letzter lacht“.

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[ Reuters ] Auch in Ungarn regt sich seit Monaten Widerstand gegen Orbans´ Angriff auf die Zivilgesel­lschaft und die Central European University.

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