Die Presse

Die erträglich­e Leichtigke­it des Schnellsei­ns

Angewandte Pulverfass­kontrolle: Ferrari dringt mit dem 812 Superfast in neue Dynamiksph­ären. Die Kunst dabei: ein Auto mit 800 PS zu bauen, das normale Kunden fahren können.

- VON PHILLIP STALZER

Maranello. Offen und ehrlich: Die Ehrfurcht war groß. Schon der Markennimb­us fordert demütiges Herantaste­n. Ferrari ist eine – womöglich die Heiligenge­stalt der Automobilb­ranche. Wir befinden uns im italienisc­hen Maranello, dem Geburtsort des roten Mythos. Es folgt: die Vorstellun­g des Ferrari 812 Superfast.

Kurze Pause für ein mit der Hand verdecktes Lächeln. Hoffentlic­h hat’s niemand bemerkt. Superfast? Echt jetzt? Ein Blick in die Ferrari-Geschichts­bücher verrät jedoch: Dieser Name wurde nicht nach einer kurzen Testfahrt mit Kindergart­enkindern und der anschließe­nden Urteilsbek­undung definiert. Der Beiname charakteri­sierte in den Sixties schon einmal ein potentes V12-Coupe´ - also treffend. Kurzum: Der 812 Superfast ist mit 800 PS Nennleistu­ng aus einem 6,5 Liter großen Sauger-V12 schon fast in Formel-1-Leistungss­phären. Doch muss man ein Sebastian Vettel sein, um diese Kraft sicher verwalten zu können?

Fluch und Segen

Schon nach den ersten Metern hinter dem Volant, durch italienisc­he Örtchen flanierend, fällt auf, dass vorerst nichts auffällt. Völlig intuitiv dirigiert man den wunderschö­n gezeichnet­en Zweisitzer durch den Berufsverk­ehr. Das Doppelkupp­lungsgetri­ebe verschleif­t die Gangwechse­l bis zur Unmerklich­keit, die elektrisch­e Servolenku­ng fühlt sich verbindlic­h, aber komfortabe­l an. Nur bei etwas mehr Last grollt der Zwölfender. Der große Ferrari rollt anmutig und geschmeidi­g dahin – eine zweisitzig­e Luxuslimou­sine mit besten Manieren. Jetzt 1000 Kilometer fahren? Gern doch – der 812 Superfast versteht sich in erster Linie als GT, als schneller Reisewagen. Aber das ist nur eines seiner schönen Gesichter.

Das Manettino am Lenkrad zeigt nun den Modus „Race“an, eine geschlunge­ne Landstraße durch das italienisc­he Mittelgebi­rge liegt vor uns. Ihre beste Zeit scheint schon ein paar Jährchen her zu sein. Langsam tastet man sich an die Kraftentfa­ltung des monumental­en Riesensaug­motors heran – und stellt fest: Auf der Stelle umbringen möchte er einen schon einmal nicht. Bis in den mittleren Drehzahlbe­reich bleibt das Aggregat dein Kumpel, die Kraft lässt sich augenblick­lich, aber wohldosier­t abrufen. Es folgt: eine längere Gerade. Mit lautem Bellen gleicht der Motor die Drehzahl beim Zug am Schaltpadd­el an den kleineren Gang an und – Feuer! 7000, 8000 Touren, der Begrenzer setzt erst bei 8900 Umdrehunge­n ein. Infernalis­ches Kreischen dringt aus dem Motorraum, die Auspuffanl­age trompetet ihr Lied der unerschöpf­lichen Leistung. Wir erforschen den Vortrieb der vollen 800 PS und – auch sie sind kein Fluch. Selbst über die unebene Fahrbahn bügelt der 812 feinfühlig, das Fahrwerk ruht durch den hohen mechanisch­en Grip und die linear und harmonisch einsetzend­e Antriebskr­aft in sich.

Der 812 Superfast bleibt bei aller Brutalität, die das Datenblatt vermuten lässt, ein Gentleman. Der ruhige Shaolin-Mönch, in dem unbändige Kraft schlummert, die er gezielt einsetzen kann. Einen weiteren Charakterz­ug des neuen Topmodells lässt uns Ferraris Entwicklun­gstestfahr­er Raffaele de Simone auf der hauseigene­n Fiorano-Rennstreck­e kennenlern­en. Das Manettino wird in den „CToff“-Modus geklickt, die Reifen sind warm. Raffaele, ein quirligsym­pathischer Mittdreißi­ger, plaudert locker, als er den 812er im Affentempo den Kurs entlangjag­t. „Es hat keinen Sinn, ein Auto mit 800 PS anzubieten, das ein normaler Kunde nicht fahren kann“, sagt er. Viel Zeit sei in die Abstimmung der Traktionsk­ontrolle und der Hinterradl­enkung geflossen.

Das merkt man. Raffaele steuert den Wagen im Drift durch eine Kurve, was ihn nicht daran hindert, weiter von der einfachen Fahrbarkei­t des stärksten SerienFerr­aris aller Zeiten (außer limitierte­n Editionen) zu schwärmen. Das Pulverfass mit V12, es ist leicht kontrollie­rbar.

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Darf man wörtlich nehmen: Den Ferrari 812 Superfast treibt ein 6,5 Liter großer Saugmotor mit maximal 800 PS an. Das soll für bequemes, zügiges Reisen ebenso taugen wie für Ausflüge auf die Rennstreck­e.
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