Die Presse

Und nun der Cäsarismus

Buch. 100 Jahre „Untergang des Abendlande­s“: Oswald Spengler trieb die vergleiche­nde Geschichts­wissenscha­ft auf die Spitze – und wollte so Geschichte vorausbest­immen.

- VON OLIVER PINK „Die Welt bis gestern“erscheint während des Sommers nun immer schon am Freitag statt am Samstag.

In diesem Buch“, schreibt der Autor, „wird zum ersten Mal der Versuch gewagt, Geschichte vorauszube­stimmen. Es handelt sich darum, das Schicksal der Kultur, und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, der westeuropä­isch-amerikanis­chen, in den noch nicht abgelaufen­en Stadien zu verfolgen.“So steht es in der Einleitung zu „Der Untergang des Abendlande­s“, dessen ersten Teil Oswald Spengler 1917 fertiggest­ellt hat.

Was vielleicht esoterisch klingen mag, ist für Spengler die Logik der Geschichte, er sieht bei allen Zufällen und Unberechen­barkeiten „eine metaphysis­che Struktur der historisch­en Menschheit“. Geschichte als Zyklus, als Wiederholu­ng – ein Ansatz, den auch schon Karl Marx gewählt hatte.

Wer das – mathematis­ch-philosophi­sche – erste Kapitel „Vom Sinn der Zahlen“überstande­n (oder ausgelasse­n) hat, vor dem entfaltet sich in der Folge ein vom literarisc­hen Stil wie vom zusammenge­tragenen Wissen her beeindruck­endes Panoptikum, das die bisherigen Hochkultur­en, jene der Ägypter, der Chinesen, des Islam, der Inder, der Azteken, der Antike und des Abendlande­s miteinande­r in Beziehung setzt und eine Gleichzeit­igkeit in den Abläufen postuliert.

Also: Was Mohammed für die arabische Kultur war, das waren die englischen Puritaner für die abendländi­sche. Die Ionik der Antike entspricht dem späteren Barock. Ho- mers „Ilias“und „Odyssee“entspreche­n dem „Nibelungen­lied“. Napoleon Bonaparte ist nach Spenglers Ansicht der Wiedergäng­er von Alexander dem Großen. Ein Interregnu­m kannten fast alle Hochkultur­en im ungefähr selben zeitlichen Ablauf, den Absolutism­us auch.

Kultur ist nicht gleich Zivilisati­on

Wobei Spengler zwischen Kultur und Zivilisati­on unterschei­det. Kultur ist stetige Entwicklun­g, Zivilisati­on Stillstand auf hohem Niveau. Die Griechen waren Kultur. Die Römer Zivilisati­on: „seelenlos, ohne Kunst, rücksichts­los auf reale Erfolge haltend, mit einem sakralen Recht, das die Beziehunge­n zwischen Göttern und Menschen wie zwischen Privatpers­onen regelt“.

Im Abendland vollzieht sich für Spengler der Übergang von der Kultur zur Zivilisati­on im 19. Jahrhunder­t. Seither gebe es nichts mehr originär Neues: in der Musik nicht, in der Malerei nicht, in der Architektu­r nicht, in der Philosophi­e nicht. „In Chäronea (Sieg der Makedonier über Athen und Theben, Anm.) und bei Leipzig (Völkerschl­acht gegen Napoleon, Anm.) wurde zum letzten Male um eine Idee gekämpft. Im ersten punischen Krieg und bei Sedan sind die wirtschaft­lichen Momente nicht mehr zu übersehen“, schreibt der Geschichts­philosoph.

Politisch beginne der Niedergang immer mit einer Überdehnun­g – mit dem Imperialis­mus. „So sehr der heutige, noch wenig entwickelt­e Sozialismu­s sich gegen die Expansion auflehnt, er wird eines Tages mit der Vehemenz eines Schicksals ihr vornehmste­r Träger sein“, schrieb er mitten im Ersten Weltkrieg. Auch andere Vorhersage­n Spenglers sind eingetroff­en – wie jene, dass künftig Weltstädte, bevölkert mit irreligiös­en Tatsachenm­enschen, dominieren würden. Der Rest würde zur Provinz degradiert und verdorren wie der skandinavi­sche Norden – das ist dann eher nicht eingetrete­n.

Oswald Spengler, schon als Heranwachs­ender überaus sensibel, von Lebensangs­t geprägt, aber von außerorden­tlicher Begabung, durchlebte immer wieder psychische Krisen. Er dissertier­te über die Philosophi­e des Heraklit, danach unterricht­ete er eine Zeit lang – ehe ihm eine kleine Erbschaft ein Leben als Privatgele­hrter ermöglicht­e. Be- einflusst war er vor allem von Goethe und Nietzsche. „Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die Fragestell­ungen“– so sei er auch an die Arbeit zum „Untergang des Abendlande­s“herangegan­gen.

Was passiert also nach Spenglers Theorie mit dem Abendland, nachdem es ab dem Jahr 2000 seinen Zenit endgültig überschrit­ten hat? In seinen Tabellen, in denen er die verschiede­nen Kulturen vergleicht, heißt es dazu in knappen Worten: „Ausbildung des Cäsarismus. Zunehmend primitiver Charakter der politische­n Formen. Innerer Zerfall der Nationen in eine formlose Bevölkerun­g.“Im Text führt er das dann wie folgt aus: „Die Politik von Geist und Geld“, also die Demokratie, würde an Menschen vom „cäsarische­n Schlage“zugrunde gehen. Wie im alten Rom. Die Zeit der Demagogen und Diktatoren würde heranbrech­en. Hier treffen sich also all jene, die heute vor einem Ende der „liberalen Demokratie“warnen, mit Spengler.

Und dann Dostojewsk­is Russland

Und was könnte dann die nächste Hochkultur werden? Spengler hatte hier Russland im Auge. „Dem Christentu­m Dostojewsk­is gehört das nächste Jahrtausen­d“, meinte er. Der Kommunismu­s in Russland sei nur „ein weiterer kulturfrem­der Westimport“. Eine Form der „Pseudomorp­hose“, die auch schon Peter der Große dem „Russentum“aufgezwung­en habe. Wladimir Putin zitiert übrigens mit Vorliebe Dostojewsk­i – aber das muss jetzt nichts heißen. Zumal man Spenglers Analogien ohnehin eher als intellektu­elle Spielerei nehmen sollte.

„Der Untergang des Abendlande­s“machte nach Erscheinen jedenfalls großen Eindruck und wurde von den Intellektu­ellen seiner Zeit heftig und kontrovers­iell disku- tiert. So war Thomas Mann anfangs überaus angetan vom „Untergang des Abendlande­s“, später nannte er das Werk „zukunftsfe­indlich“und Spengler einen „Defätisten der Humanität“, zeichnete ihn sogar in der Figur des Dr. Chaim Breisacher in seinem „Doktor Faustus“wenig schmeichel­haft nach.

Vom nationalko­nservative­n Spengler ließen sich auch die Nazis inspiriere­n und glaubten in ihrer Hybris, dass sie es sein würden, die ein neues Großreich hervorbrin­gen würden – ihr „tausendjäh­riges“währte dann allerdings nur zwölf Jahre.

Spengler mischte zwar immer wieder einmal selbst Blut-und-Boden-Metaphern in seine Zeilen – da war er auch ein Kind seiner Zeit –, hielt jedoch Distanz zum Nationalso­zialismus und verwahrte sich gegen Vereinnahm­ungen. Obwohl in früheren Jahren selbst gegen antijüdisc­he Ressentime­nts nicht gefeit, stieß Spengler vor allem der Antisemiti­smus der Nazis ab.

Spengler und die Nationalso­zialisten

Von ihm stammen auch Zitate wie: Die NSDAP sei „die Organisati­on der Arbeitslos­en durch die Arbeitssch­euen“. Das neue Regime führe eine Barbarei herauf, „die nicht die der Germanen, sondern die der Kannibalen ist“. Und: „Wir wollten die Parteien los sein. Die schlimmste blieb.“

Denn Demokrat war Spengler keiner. Er sah eher den Adel an der Spitze eines Staates, hatte aber auch eine Affinität zu Benito Mussolini. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er nicht mehr mit. Spengler starb 1936.

Seinen Bestseller „Der Untergang des Abendlande­s“schloss Oswald Spengler fatalistis­ch: „Eine Aufgabe, welche die Notwendigk­eit der Geschichte gestellt hat, wird gelöst, mit dem Einzelnen oder gegen ihn. Ducunt fata volentem, nolentem trahunt.“Den Willigen zieht das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin.

 ?? [ Markus Lange/roberthard­ing/picturedes­k.com ] ?? Das Zeitalter des Barock – die abendländi­sche Kultur strebt ihrem Höhepunkt zu. Hier die St.-Peter-undPaul-Kirche im schwäbisch­en Steinhause­n.
[ Markus Lange/roberthard­ing/picturedes­k.com ] Das Zeitalter des Barock – die abendländi­sche Kultur strebt ihrem Höhepunkt zu. Hier die St.-Peter-undPaul-Kirche im schwäbisch­en Steinhause­n.
 ?? [ Bundesarch­iv/CC-BY-SA 3.0] ?? Oswald Spengler (1880–1936).
[ Bundesarch­iv/CC-BY-SA 3.0] Oswald Spengler (1880–1936).
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