Und nun der Cäsarismus
Buch. 100 Jahre „Untergang des Abendlandes“: Oswald Spengler trieb die vergleichende Geschichtswissenschaft auf die Spitze – und wollte so Geschichte vorausbestimmen.
In diesem Buch“, schreibt der Autor, „wird zum ersten Mal der Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen. Es handelt sich darum, das Schicksal der Kultur, und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, der westeuropäisch-amerikanischen, in den noch nicht abgelaufenen Stadien zu verfolgen.“So steht es in der Einleitung zu „Der Untergang des Abendlandes“, dessen ersten Teil Oswald Spengler 1917 fertiggestellt hat.
Was vielleicht esoterisch klingen mag, ist für Spengler die Logik der Geschichte, er sieht bei allen Zufällen und Unberechenbarkeiten „eine metaphysische Struktur der historischen Menschheit“. Geschichte als Zyklus, als Wiederholung – ein Ansatz, den auch schon Karl Marx gewählt hatte.
Wer das – mathematisch-philosophische – erste Kapitel „Vom Sinn der Zahlen“überstanden (oder ausgelassen) hat, vor dem entfaltet sich in der Folge ein vom literarischen Stil wie vom zusammengetragenen Wissen her beeindruckendes Panoptikum, das die bisherigen Hochkulturen, jene der Ägypter, der Chinesen, des Islam, der Inder, der Azteken, der Antike und des Abendlandes miteinander in Beziehung setzt und eine Gleichzeitigkeit in den Abläufen postuliert.
Also: Was Mohammed für die arabische Kultur war, das waren die englischen Puritaner für die abendländische. Die Ionik der Antike entspricht dem späteren Barock. Ho- mers „Ilias“und „Odyssee“entsprechen dem „Nibelungenlied“. Napoleon Bonaparte ist nach Spenglers Ansicht der Wiedergänger von Alexander dem Großen. Ein Interregnum kannten fast alle Hochkulturen im ungefähr selben zeitlichen Ablauf, den Absolutismus auch.
Kultur ist nicht gleich Zivilisation
Wobei Spengler zwischen Kultur und Zivilisation unterscheidet. Kultur ist stetige Entwicklung, Zivilisation Stillstand auf hohem Niveau. Die Griechen waren Kultur. Die Römer Zivilisation: „seelenlos, ohne Kunst, rücksichtslos auf reale Erfolge haltend, mit einem sakralen Recht, das die Beziehungen zwischen Göttern und Menschen wie zwischen Privatpersonen regelt“.
Im Abendland vollzieht sich für Spengler der Übergang von der Kultur zur Zivilisation im 19. Jahrhundert. Seither gebe es nichts mehr originär Neues: in der Musik nicht, in der Malerei nicht, in der Architektur nicht, in der Philosophie nicht. „In Chäronea (Sieg der Makedonier über Athen und Theben, Anm.) und bei Leipzig (Völkerschlacht gegen Napoleon, Anm.) wurde zum letzten Male um eine Idee gekämpft. Im ersten punischen Krieg und bei Sedan sind die wirtschaftlichen Momente nicht mehr zu übersehen“, schreibt der Geschichtsphilosoph.
Politisch beginne der Niedergang immer mit einer Überdehnung – mit dem Imperialismus. „So sehr der heutige, noch wenig entwickelte Sozialismus sich gegen die Expansion auflehnt, er wird eines Tages mit der Vehemenz eines Schicksals ihr vornehmster Träger sein“, schrieb er mitten im Ersten Weltkrieg. Auch andere Vorhersagen Spenglers sind eingetroffen – wie jene, dass künftig Weltstädte, bevölkert mit irreligiösen Tatsachenmenschen, dominieren würden. Der Rest würde zur Provinz degradiert und verdorren wie der skandinavische Norden – das ist dann eher nicht eingetreten.
Oswald Spengler, schon als Heranwachsender überaus sensibel, von Lebensangst geprägt, aber von außerordentlicher Begabung, durchlebte immer wieder psychische Krisen. Er dissertierte über die Philosophie des Heraklit, danach unterrichtete er eine Zeit lang – ehe ihm eine kleine Erbschaft ein Leben als Privatgelehrter ermöglichte. Be- einflusst war er vor allem von Goethe und Nietzsche. „Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die Fragestellungen“– so sei er auch an die Arbeit zum „Untergang des Abendlandes“herangegangen.
Was passiert also nach Spenglers Theorie mit dem Abendland, nachdem es ab dem Jahr 2000 seinen Zenit endgültig überschritten hat? In seinen Tabellen, in denen er die verschiedenen Kulturen vergleicht, heißt es dazu in knappen Worten: „Ausbildung des Cäsarismus. Zunehmend primitiver Charakter der politischen Formen. Innerer Zerfall der Nationen in eine formlose Bevölkerung.“Im Text führt er das dann wie folgt aus: „Die Politik von Geist und Geld“, also die Demokratie, würde an Menschen vom „cäsarischen Schlage“zugrunde gehen. Wie im alten Rom. Die Zeit der Demagogen und Diktatoren würde heranbrechen. Hier treffen sich also all jene, die heute vor einem Ende der „liberalen Demokratie“warnen, mit Spengler.
Und dann Dostojewskis Russland
Und was könnte dann die nächste Hochkultur werden? Spengler hatte hier Russland im Auge. „Dem Christentum Dostojewskis gehört das nächste Jahrtausend“, meinte er. Der Kommunismus in Russland sei nur „ein weiterer kulturfremder Westimport“. Eine Form der „Pseudomorphose“, die auch schon Peter der Große dem „Russentum“aufgezwungen habe. Wladimir Putin zitiert übrigens mit Vorliebe Dostojewski – aber das muss jetzt nichts heißen. Zumal man Spenglers Analogien ohnehin eher als intellektuelle Spielerei nehmen sollte.
„Der Untergang des Abendlandes“machte nach Erscheinen jedenfalls großen Eindruck und wurde von den Intellektuellen seiner Zeit heftig und kontroversiell disku- tiert. So war Thomas Mann anfangs überaus angetan vom „Untergang des Abendlandes“, später nannte er das Werk „zukunftsfeindlich“und Spengler einen „Defätisten der Humanität“, zeichnete ihn sogar in der Figur des Dr. Chaim Breisacher in seinem „Doktor Faustus“wenig schmeichelhaft nach.
Vom nationalkonservativen Spengler ließen sich auch die Nazis inspirieren und glaubten in ihrer Hybris, dass sie es sein würden, die ein neues Großreich hervorbringen würden – ihr „tausendjähriges“währte dann allerdings nur zwölf Jahre.
Spengler mischte zwar immer wieder einmal selbst Blut-und-Boden-Metaphern in seine Zeilen – da war er auch ein Kind seiner Zeit –, hielt jedoch Distanz zum Nationalsozialismus und verwahrte sich gegen Vereinnahmungen. Obwohl in früheren Jahren selbst gegen antijüdische Ressentiments nicht gefeit, stieß Spengler vor allem der Antisemitismus der Nazis ab.
Spengler und die Nationalsozialisten
Von ihm stammen auch Zitate wie: Die NSDAP sei „die Organisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuen“. Das neue Regime führe eine Barbarei herauf, „die nicht die der Germanen, sondern die der Kannibalen ist“. Und: „Wir wollten die Parteien los sein. Die schlimmste blieb.“
Denn Demokrat war Spengler keiner. Er sah eher den Adel an der Spitze eines Staates, hatte aber auch eine Affinität zu Benito Mussolini. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er nicht mehr mit. Spengler starb 1936.
Seinen Bestseller „Der Untergang des Abendlandes“schloss Oswald Spengler fatalistisch: „Eine Aufgabe, welche die Notwendigkeit der Geschichte gestellt hat, wird gelöst, mit dem Einzelnen oder gegen ihn. Ducunt fata volentem, nolentem trahunt.“Den Willigen zieht das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin.