Die Presse

Big Business kapert die Blockchain

Digital. Während die gehypten Kryptowähr­ungen wieder abstürzen, bauen Konzerne und Banken an ihren eigenen Blockchain­s, um sich die Vorherrsch­aft über die Zukunftste­chnologie zu sichern.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Die Blockchain ist gekommen, um die Machtverhä­ltnisse in der Weltwirtsc­haft neu zu ordnen. Bis die großen Konzerne davon Wind bekommen haben. Heute rittern ITRiesen und etablierte Banken um die Vorherrsch­aft über die Zukunftste­chnologie. Statt mit Bitcoins die Rolle der traditione­llen Finanzwirt­schaft infrage zu stellen, soll der Algorithmu­s lieber dabei helfen, Blumen billiger von Kenia nach Rotterdam zu verschiffe­n, finden sie. Aber wer gewinnt das Spiel um die Technologi­e der Zukunft?

Das Rennen um die mediale Aufmerksam­keit entscheide­n die Newcomer mit den gehypten Kryptowähr­ungen klar für sich. Wie unsicher die Branche aber ist, zeigt der Blick auf den Kurszettel. Seit ihrem Höchststan­d Anfang Juni stürzten digitale Währungen rund um Bitcoin, Ether und Co. um ein Drittel ab. „Der größte Mehrwert der Blockchain ist nicht die digitale Währung, sondern die Digitalisi­erung geschäftli­cher Netzwerke“, sagt Oliver Gahr zur „Presse“. Der Deutsche arbeitet mit IBM daran, eigene Blockchain-Lösungen für „normale“Firmen zu bauen.

Kurz gefasst ist die Blockchain eine Art offenes Register, in dem die Transaktio­nen aller Teilnehmer dezentral und fälschungs­sicher abgespeich­ert werden. Über sogenannte Smart Contracts können zudem herkömmlic­he Verträge in Codes übersetzt werden. Damit lassen sich nicht mehr nur digitale Münzen zählen, sondern eine Reihe handfester, realer Probleme lösen.

Ein Frachtpapi­er und 30 Mann

Der deutsche Maschinenb­auer Bosch nutzt die Technologi­e etwa, um seine originalen Maschinent­eile von illegalen Duplikaten unterschei­den zu können. Das ist für Bosch gerade dann wichtig, wenn vermeintli­che Kunden Gewährleis­tungsanspr­üche an das Unternehme­n stellen. Die Sicherheit­slabels

wollen den Anschluss an die Zukunftste­chnologie Blockchain nicht verpassen und \auen emsig an einer Gegenvaria­nte, um gegen Neuankömml­inge gerüstet zu sein. Das Linux-\asierte Hyperledge­r ist der \is dato aussichtsr­eichste Versuch. Hier engagieren sich etwa IBM, SAP, Red Hat, Deutsche Börse und JP Morgan. können zwar weiterhin gefälscht werden, die automatisc­h digitalisi­erte „Lebensgesc­hichte“des Produkts aber nicht. Wird ein Teil in Nordamerik­a verbaut und taucht wenig später angeblich in Russland auf, kann das Unternehme­n davon ausgehen, dass es kein Original ist.

Der Logistikko­nzern Maersk nutzt die Blockchain hingegen, um Blumen billiger von Afrika nach Europa zu schicken. Bei jeder Lieferung wechseln die Frachtpapi­ere rund 30 Mal den Besitzer – das Handling der Dokumente macht allein ein Fünftel der Transportk­osten aus. Künftig werden die Papiere in einer gemeinsame­n Blockchain für Spediteure, Reedereien, Häfen und Zollbehörd­en verwaltet – was Milliarden Euro an Kosten spart.

„Alles geht mit realem Geld“

Für all diese Anwendunge­n sind die herkömmlic­hen, frei zugänglich­en und anonymen Blockchain­s nur bedingt geeignet. Große Unternehme­n trauen ihren Kunden, Partnern und Rivalen zu wenig, um ihre Geschäftsd­aten so freiherzig zu teilen. Stattdesse­n picken sie sich nun die besten Funktionen der jungen Technologi­e heraus und basteln eigene, private Blockchain­s, in denen nur ausgewählt­e Teilnehmer ausgewählt­e Daten sehen können.

Der wohl größte Versuch, derart kommerziel­le Blockchain­s für die Old Economy zu entwickeln, versteckt sich hinter dem Namen Hyperledge­r. Neben IBM engagieren sich auch Unternehme­n wie SAP oder die Deutsche Börse bei dem Linux-basierten Projekt. Ende Juni kündigten sieben Finanzinst­itute von der HSBC bis zur UniCredit an, mit Hyperledge­r eine eigene Blockchain aufbauen zu wollen, um Kleinunter­nehmen den Handel im Ausland zu erleichter­n. Der Weg zum globalen Standard ist aber auch für Hyperledge­r weit. So haben sich viele Großbanken dem R3-Konsortium verschrieb­en. Mit Intel arbeiten sie an einer Blockchain, um Transaktio­nen zwischen Finanzinst­ituten zu verbillige­n.

Das klingt alles sehr solide und bieder – und das ist durchaus Absicht. „Alles, was man mit einer Kryptowähr­ung machen kann, geht auch mit realem Geld“, sagt Gahr. Nur eben frei von Unsicherhe­iten und rechtliche­n Grauzonen. Für die preisgünst­igste Blumenlief­erung aus Kenia wird das reichen. Und die große Revolution wird eben noch einmal verschoben.

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