Big Business kapert die Blockchain
Digital. Während die gehypten Kryptowährungen wieder abstürzen, bauen Konzerne und Banken an ihren eigenen Blockchains, um sich die Vorherrschaft über die Zukunftstechnologie zu sichern.
Wien. Die Blockchain ist gekommen, um die Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft neu zu ordnen. Bis die großen Konzerne davon Wind bekommen haben. Heute rittern ITRiesen und etablierte Banken um die Vorherrschaft über die Zukunftstechnologie. Statt mit Bitcoins die Rolle der traditionellen Finanzwirtschaft infrage zu stellen, soll der Algorithmus lieber dabei helfen, Blumen billiger von Kenia nach Rotterdam zu verschiffen, finden sie. Aber wer gewinnt das Spiel um die Technologie der Zukunft?
Das Rennen um die mediale Aufmerksamkeit entscheiden die Newcomer mit den gehypten Kryptowährungen klar für sich. Wie unsicher die Branche aber ist, zeigt der Blick auf den Kurszettel. Seit ihrem Höchststand Anfang Juni stürzten digitale Währungen rund um Bitcoin, Ether und Co. um ein Drittel ab. „Der größte Mehrwert der Blockchain ist nicht die digitale Währung, sondern die Digitalisierung geschäftlicher Netzwerke“, sagt Oliver Gahr zur „Presse“. Der Deutsche arbeitet mit IBM daran, eigene Blockchain-Lösungen für „normale“Firmen zu bauen.
Kurz gefasst ist die Blockchain eine Art offenes Register, in dem die Transaktionen aller Teilnehmer dezentral und fälschungssicher abgespeichert werden. Über sogenannte Smart Contracts können zudem herkömmliche Verträge in Codes übersetzt werden. Damit lassen sich nicht mehr nur digitale Münzen zählen, sondern eine Reihe handfester, realer Probleme lösen.
Ein Frachtpapier und 30 Mann
Der deutsche Maschinenbauer Bosch nutzt die Technologie etwa, um seine originalen Maschinenteile von illegalen Duplikaten unterscheiden zu können. Das ist für Bosch gerade dann wichtig, wenn vermeintliche Kunden Gewährleistungsansprüche an das Unternehmen stellen. Die Sicherheitslabels
wollen den Anschluss an die Zukunftstechnologie Blockchain nicht verpassen und \auen emsig an einer Gegenvariante, um gegen Neuankömmlinge gerüstet zu sein. Das Linux-\asierte Hyperledger ist der \is dato aussichtsreichste Versuch. Hier engagieren sich etwa IBM, SAP, Red Hat, Deutsche Börse und JP Morgan. können zwar weiterhin gefälscht werden, die automatisch digitalisierte „Lebensgeschichte“des Produkts aber nicht. Wird ein Teil in Nordamerika verbaut und taucht wenig später angeblich in Russland auf, kann das Unternehmen davon ausgehen, dass es kein Original ist.
Der Logistikkonzern Maersk nutzt die Blockchain hingegen, um Blumen billiger von Afrika nach Europa zu schicken. Bei jeder Lieferung wechseln die Frachtpapiere rund 30 Mal den Besitzer – das Handling der Dokumente macht allein ein Fünftel der Transportkosten aus. Künftig werden die Papiere in einer gemeinsamen Blockchain für Spediteure, Reedereien, Häfen und Zollbehörden verwaltet – was Milliarden Euro an Kosten spart.
„Alles geht mit realem Geld“
Für all diese Anwendungen sind die herkömmlichen, frei zugänglichen und anonymen Blockchains nur bedingt geeignet. Große Unternehmen trauen ihren Kunden, Partnern und Rivalen zu wenig, um ihre Geschäftsdaten so freiherzig zu teilen. Stattdessen picken sie sich nun die besten Funktionen der jungen Technologie heraus und basteln eigene, private Blockchains, in denen nur ausgewählte Teilnehmer ausgewählte Daten sehen können.
Der wohl größte Versuch, derart kommerzielle Blockchains für die Old Economy zu entwickeln, versteckt sich hinter dem Namen Hyperledger. Neben IBM engagieren sich auch Unternehmen wie SAP oder die Deutsche Börse bei dem Linux-basierten Projekt. Ende Juni kündigten sieben Finanzinstitute von der HSBC bis zur UniCredit an, mit Hyperledger eine eigene Blockchain aufbauen zu wollen, um Kleinunternehmen den Handel im Ausland zu erleichtern. Der Weg zum globalen Standard ist aber auch für Hyperledger weit. So haben sich viele Großbanken dem R3-Konsortium verschrieben. Mit Intel arbeiten sie an einer Blockchain, um Transaktionen zwischen Finanzinstituten zu verbilligen.
Das klingt alles sehr solide und bieder – und das ist durchaus Absicht. „Alles, was man mit einer Kryptowährung machen kann, geht auch mit realem Geld“, sagt Gahr. Nur eben frei von Unsicherheiten und rechtlichen Grauzonen. Für die preisgünstigste Blumenlieferung aus Kenia wird das reichen. Und die große Revolution wird eben noch einmal verschoben.