Die Presse

Warum Google den Fiskus besiegt

Steuern. In Frankreich bleibt es Google erspart, 1,1 Mrd. Euro nachzuzahl­en. Italien aber schaffte einen Deal. Schelling will die „digitale Betriebsst­ätte“in ganz Europa durchsetze­n.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Frankreich wollte allen zeigen, wie man IT-Giganten zum Steuerzahl­en zwingt – und legte einen Bauchfleck hin. Der Fiskus verlangte von Google, für die Jahre 2005 bis 2010 in Summe 1,1 Mrd. Euro an Steuern nachzuzahl­en. Dazu rasselte vor einem Jahr der damalige Finanzmini­ster Sapin kräftig mit dem Säbel: „Wir werden das volle Programm durchziehe­n.“Sollte heißen: kein schwachbrü­stiger Deal, sondern ein sauberes Gerichtsur­teil. Es liegt nun vor, aber anders als erhofft. Das Verwaltung­sgericht von Paris gab Google recht: Der Suchmaschi­nenkonzern hat keine feste Betriebsst­ätte in Frankreich. Deshalb durfte und darf er seine Werbeeinna­hmen mit französisc­hen Kunden in Irland besteuern, wo er seine Europazent­rale hat. Was ihm einiges erspart: Statt 33 Prozent Unternehme­nssteuern zahlt er nur schlanke 12,5 Prozent. Bis 2020, wenn das besonders schmackhaf­te Steuerspar­modell „Doppeltes irisches Sandwich“ausläuft, sind es sogar weit weniger. Facebook und Apple mundet das auch. Den Finanzmini­stern der übrigen EU-Staaten liegt hingegen schwer im Magen, dass ihnen damit viele Milliarden an Einnahmen entgehen.

Anzeigenke­iler reichen nicht

Aber das Pariser Urteil zeigt: Mit dem Begriff der physischen Betriebsst­ätte, wie er in unseren Rechtsordn­ungen üblich ist, kommt man in der digitalen Welt nicht weit. Google hat in Frankreich nur Anzeigenve­rkäufer, die Geschäfte keilen, also anbahnen. Die Entscheidu­ng, ob es einen Abschluss gibt, wird in Irland getroffen, von wo auch der Vertrag kommt. Dort stehen die Server, dort stellt man die Anzeigen online. Also gibt es nur dort eine Betriebsst­ätte. Deshalb haben Experten schon erwartet, dass sich die Franzosen vor Gericht eine blutige Nase holen (zumindest vorerst, die Regierung überlegt noch, ob sie in die Berufung gehen soll).

Aber haben es nicht die Briten sehr wohl geschafft, Google zur Nachzahlun­g von immerhin 130 Mio. Pfund zu zwingen? Der Fall ist nicht vergleichb­ar: In Großbritan­nien hat der Koloss aus Mountain View auch Programmie­rer am Werken, und gestritten wurde über missbräuch­liche Lizenzzahl­ungen, nicht über Werbeeinna­hmen. Anders in Italien: Rom schloss im Mai mit Google einen Vergleich über 306 Mio. Euro. Das Unternehme­n gestand sogar eine italienisc­he Betriebsst­ätte ein, obwohl es dort wie in Frankreich nur um Anzeigenve­rtrieb geht. Über Unterschie­de lässt sich nur spekuliere­n, weil es kein Gerichtsur­teil mit Begründung­en gibt. War Google bei der Trennung der Aufgabenge­biete unvorsicht­iger? „Offenbar stand viel auf dem Spiel, und Google wollte Rechtssich­erheit haben“, schlussfol­gert Steuerrech­tsexperte Christian Wimpissing­er von Binder Grösswang. Ähnliches vermutet auch Steuerbera­ter Christian Ludwig: Der Deal deute darauf hin, dass „beide Seiten nicht sicher waren, ob sie ihren Standpunkt nachweisen können“. Oder aber es gibt „im nationalen Recht kleine Abweichung­en“bei der Definition der Betriebsst­ätte.

Im Prinzip könnte ja jeder Staat selbst festlegen, was er hier für richtig hält. Aber jeder braucht auch Abkommen mit anderen Staaten, um eine Doppelbest­euerung zu vermeiden. Dafür hat sich als Standard ein Musterabko­mmen der OECD durchgeset­zt, das unser traditione­lles Verständni­s von einer Betriebsst­ätte de facto festschrei­bt.

Neuer Vorstoß aus Österreich

Es sei denn, es kommt zu einem großen Wurf, bei dem viele Staaten ihr Steuerrech­t auf eine neue Grundlage stellen. Eine solche Möglichkei­t, erinnert Wimpissing­er, wäre die „europäisch­e Unternehme­nssteuer“. Beim deutsch-französisc­hen Minigipfel am Donnerstag haben Merkel und Macron diese wieder in Aussicht gestellt: erst eine gemeinsame Bemessungs­grundlage, dann eine Aufteilung der Konzerngew­inne auf die einzelnen Länder nach neuen Regeln. Aber über dieses Konzept diskutiere­n die EU-Staaten schon seit einem Jahrzehnt ergebnislo­s.

Mehr Aussicht auf Erfolg könnte ein aktueller Vorstoß aus Österreich haben: Finanzmini­ster Schelling will den EU-Ratsvorsit­z im zweiten Halbjahr 2018 dafür nutzen, alle Mitgliedst­aaten zu einer „digitalen Be- triebsstät­te“zu überreden (was die SPÖ für Österreich schon länger fordert). Für „fasziniere­nd“hält Steuerrech­tsexperte Claus Staringer von Freshfield­s diese Idee – und warnt zugleich: „Nur in der EU wäre das eine halbe Sache. Der Plan hat nur Sinn, wenn man auch mit wichtigen Drittstaat­en einen Konsens findet“, vor allem mit den USA, der Heimat der Internetgi­ganten. Aber schon im Europäisch­en Rat, wo Steuerfrag­en meist Einstimmig­keit erfordern, ist Widerstand zu erwarten – zumindest von Irland. Denn jedes System, so veraltet es auch sein mag, hat Profiteure, die es nicht aufgeben wollen.

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[ Reuters ] Blick in die Zukunft: Provoziere­n die Steuertric­ks der IT-Giganten die virtuelle Betriebsst­ätte?

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