Die Presse

Alpenkönig im Trenchcoat am Rummelplat­z

Gutenstein. Die frühere Wiener Volkstheat­er-Direktorin Emmy Werner inszeniert­e Raimund, ein gemischtes Vergnügen. Die Premiere begleitete ein heftiger Wolkenbruc­h. Prinzipali­n Andrea Eckert gefällt als Menschenfr­eundin und -feindin.

- VON BARBARA PETSCH

Positive Kritiken wünschte sich der Bürgermeis­ter von Gutenstein Mittwochab­end vor der Premiere von Raimunds „Alpenkönig und Menschenfe­ind“. Der Wettergott war ungnädig, der Regen trommelte so laut aufs Zeltdach, dass er die Schauspiel­er streckenwe­ise fast übertönte. Ex-Volkstheat­er-Direktorin Emmy Werner hat inszeniert, in ihrer Ära (1988–2005) spielte Gutenstein-Prinzipali­n Andrea Eckert große Rollen, sie war auch als Werners Nachfolger­in im Gespräch. Jetzt ist es anders. Eckert leitet die Sommerspie­le in Raimunds Urlaubsort – und sie gibt den Alpenkönig, ein cooler Detektiv mit Hut und Trenchcoat. Sehr schön, aber warum?

Werner hat Eckert anscheinen­d machen lassen, was diese wollte. Als Rappelkopf­s Doppelgäng­er präsentier­t Eckert eine krasse akrobatisc­he Nummer mit leichten Commedia-dell’Arte-Anklängen, sie rast über die Szene und röhrt. Dabei hat sie diese wunderbare, markante melodische Stimme, weniger wäre hier mehr gewesen.

Zwischen Heiterkeit und Melancholi­e

Katharina Wöppermann stellte einen Rummelplat­z – mit Autodrom und Irrgarten – auf die Bühne. Rechts steht ein Miniglasha­us. Das ist eine sonderbare Idee. Raimunds Original-Zauberspie­l aus dem Jahr 1828 zeigt die Läuterung eines Großstadtf­lüchtlings durch die Natur. Heute würde man sagen, Rappelkopf hat durch mutmaßlich halsbreche­rische Geschäfte und menschlich­e Enttäuschu­ngen einen Burn-out erlitten. Das Stück führt einerseits Maschinent­heater vor, was bei Sommerspie­len schwer zu machen ist, anderersei­ts ist eine mystische Katharsis zu erleben: Handelsman­n Rappelkopf kann sich auch auf dem Land nicht erholen, er schikanier­t seine Familie, seine Bedienstet­en, er flieht in den Wald, kauft einer armen Familie ihre Hütte ab, kann aber seine Paranoia nicht loswerden. Erst durch die tobenden Elemente und die Erscheinun­gen Verstorben­er, seiner Frauen, die er ins Grab brachte, kommt er zur Besinnung – und schließt einen Pakt mit dem Überirdisc­hen.

Es mag ja sein, dass manchen der Schreck in der Geisterbah­n eines Besseren belehrte, aber dieses Bühnenbild wirkt doch eher unfreiwill­ig komisch. Matthias Mamedof als Herr von Rappelkopf kämpft mit der Balance zwischen Komik und Tragik, triumphier­t aber letztlich dank seiner Ausstrahlu­ng und Charakterk­unst. Mit ihren Insze- nierungen (Nestroy, Jelinek) hatte Werner in ihrer Zeit am Volkstheat­er große Erfolge. Auch hier spürt man ihre kundige Hand, etwa für das Liebespaar Malchen und August (Tanja Raunig, Stefan Rosenthal).

Malchen mit kurzen roten Haaren und Brille möchte, bevor August aus Italien heimkehrt, noch schnell ein Löckchen an ihrem Kopf anbringen. Aber hier wird es kein Problem sein, wenn die Frau die Hosen anhat, August ist ein rechtes Weichei. Mit langem roten Rock und Barett vorteilhaf­t kostümiert schnieft Rappelkopf­s Gattin Sophie (Annette Isabella Holzmann) beständig in ihr Taschentuc­h, des Öfteren fällt sie auch in Ohnmacht. „Boze!ˇ Boze!“,ˇ ruft immer wieder das Dienstmädc­hen Lise (Anita Kolbert), „Oh, mein Gott!“ist nicht nur der serbokroat­ische Lieblingss­eufzer. Eduard Wildner ist mit seiner in alle Richtungen gesträubte­n Tonsur und seinen Hochwasser­hosen schon allein optisch eine gediegene Lachnummer.

In die Tiefen des Dieners, der „zwei Jahr in Paris war“, was er jedem und jeder unter die Nase reibt, ist Wildner nicht eingetauch­t, sein Habakuk ist trotzdem recht witzig. In dieser Figur steckt ein beliebter Typus des Altwiener Volkstheat­ers. Raimund veredelte – vor allem sprachlich – den Thaddädl, eine schlichter­e Form des Kasperls, auch hier spielt die Commedia dell’Arte herein.

Die Pointen sitzen, die Musik begeistert

Die österreich­isch-ungarische Monarchie war multikultu­rell, wie man das heute nennt. Die Angehörige­n vieler Nationen – mit slawischer Basis und einem deutschfra­nzösisch-italienisc­hen Überbau – konnten einander nicht besonders leiden, was viel Stoff für – manchmal recht gemeine – Scherze lieferte. Habakuk illustrier­t aber auch das Elend älterer Bedienter, wer rausgeschm­issen wurde, musste unter der Brücke schlafen. Raimunds Bauer als Millionär wird, nachdem er sein Geld verloren hat, zum Aschenmann, ein Todessymbo­l. Das Vanitas-Motiv klingt auch in der Hüttenszen­e an: „So leb denn wohl du stilles Haus“.

Walther Soyka, eine Institutio­n des neuen Wiener Liedes, verfremdet­e äußerst flott, schräg und theatralis­ch Wenzel Müllers Originalmu­sik. Das Publikum fand den Ausflug ins „Regietheat­er“im sehr traditione­llen Gutenstein nicht durchwegs erfreulich. Zur Trachtenka­pelle passt Werners Inszenieru­ng in der Tat nur bedingt. Trotzdem ist sie amüsant, die Pointen sitzen. Auf ihrer Linie, etablierte Profis für ihre Sommerspie­le zu engagieren, sollte Eckert unbedingt bleiben.

 ?? [ Raimundspi­ele Gutenstein/Joachim Kern ] ?? Im Eispalast zum Alpenkönig mischt sich echte Katharsis mit Schimäre. Das Ensemble ergötzt sich an Commedia dell’Arte (zweimal Rappelkopf: Matthias Mamedof und Andrea Eckert, r.).
[ Raimundspi­ele Gutenstein/Joachim Kern ] Im Eispalast zum Alpenkönig mischt sich echte Katharsis mit Schimäre. Das Ensemble ergötzt sich an Commedia dell’Arte (zweimal Rappelkopf: Matthias Mamedof und Andrea Eckert, r.).

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