Die Presse

Der fatale Wunsch nach dem „starken Führer“

Globalisie­rung, Digitalisi­erung und ungezügelt­e Massenmigr­ation fördern Gefühle der Unsicherhe­it auch in Österreich. Parallel dazu nimmt die Akzeptanz wichtiger Grundprinz­ipien unseres Staates immer mehr ab.

- VON GOTTFRIED KNEIFEL E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Unzufriede­nheit mit der Politik und den Politikern wächst. Fast jeder vierte Österreich­er wünscht sich einen „starken Führer“, so das Ergebnis einer aktuellen Sora-Umfrage. Zeitgleich ergibt ein Imas-Befund, im Auftrag der Initiative Wirtschaft­sstandort OÖ, dass eine Mehrheit der Österreich­er mit der sozialen Marktwirts­chaft wenig anfangen kann. Zwei Haltungen, die zu denken geben. Vor zehn Jahren waren es nur 14 Prozent, die für einen „starken Führer“votierten, und für die soziale Marktwirts­chaft gab es damals noch eine klare Mehrheit. Weshalb nimmt die Akzeptanz wichtiger Grundprinz­ipien unseres Staates ab?

Globalisie­rung, Internatio­nalisierun­g, ungezügelt­e Digitalisi­erung mit allen Vor- und Nachteilen, ständig anwachsend­e und illegale Migration vorwiegend aus Afrika und Asien in die Wohlstands­länder Europas fördern die Unsicherhe­itsgefühle. Dazu kommen Terroransc­hläge, islamistis­che Herrschaft­sansprüche und Berichte über das Wüten linker Schlägertr­upps wie zuletzt beim G20-Treffen in Hamburg.

Gefühle politische­r Ohnmacht

Immer mehr Menschen fühlen sich von der komplexen Welt überforder­t und empfinden Gefühle politische­r Ohnmacht. Unsicherhe­it und Unzufriede­nheit dämpfen in weiterer Folge das Vertrauen in Institutio­nen, Ordnungssy­steme und Politiker auf allen Ebenen.

Beispiel 1: Wenn täglich bis zu 12.000 Personen mithilfe von Schleppern von der libyschen Küste in völlig überladene­n Schlauchbo­oten ablegen und nach wenigen Seemeilen von Schnellboo­ten der NGOs empfangen und in süditalien­ische Häfen gebracht werden, steigt bei vielen Menschen das Unsicherhe­itsgefühl. Zu Recht, weil die EU-Binnengren­zen geöffnet, aber die EU-Schengen-Grenzen nicht gesichert wurden.

Beispiel 2: Online-Handelshäu­ser mit Sitz in EU- und Drittlände­rn beliefern österreich­ische Konsumente­n und kassieren dafür Mehrwertst­euer, ohne diese auf Euro und Cent dem österreich­ischen Fiskus abzuliefer­n. Dieser kann auf sie systematis­ch nicht zugreifen, während die inländisch­en stationäre­n Handelsbet­riebe rund um die Uhr für Betriebs-, Sozialvers­icherungs-, Gewerbe-, Arbeitsins­pektions- und andere Prüfer bereit sein müssen.

Beispiel 3: Internatio­nale Konzerne mit Standorten in allen Industrie- und Schwellenl­ändern auf allen Kontinente­n verschiebe­n Gewinne und zahlen kaum nennenswer­te Steuern in Österreich, während heimische Handwerksb­etriebe ihrer Steuerpfli­cht monatlich nachkommen müssen. Für die Kapitaltra­nsfersteue­r gibt es selbst innerhalb der EU-Mitgliedst­aaten keinen Konsens.

Erschütter­tes Vertrauen

Beispiel 4: Internatio­nale Investment­banken tun und machen, was sie wollen, während österreich­ische Regionalba­nken, die die Klein- und Mittelbetr­iebe auch im Risikofall nicht im Stich lassen, mit immer restriktiv­eren bürokratis­chen Schikanen konfrontie­rt sind. Trotzdem werden sie in der öffentlich­en Meinung mit den steuergeld­unterstütz­ten Großbanken in einen Topf geworfen.

Einige konkrete Sachverhal­te, bei denen die Antworten sicher nicht leicht fallen. Faktum ist, dass sich die Menschen von der nationalen wie von der europäisch­en Politik im Stich gelassen fühlen, weil in allen genannten Beispielen die Grundsätze von Fairness und Vertrauen erschütter­t werden.

Dabei rede ich gar nicht von der Volksrepub­lik China, in der maximaler Kapitalism­us in Verbindung mit null Demokratie als enormer Standortvo­rteil betrachtet wird. Aber unsere österreich­ischen Industrieb­etriebe müssen sich auf dem internatio­nalen Markt mit chinesisch­en Produkten und Dienstleis­tungen messen.

Kein Wunder, dass das Vertrauen in politische Gestaltung­sprinzipie­n wie Demokratie und soziale Marktwirts­chaft sinkt.

Am meisten regt die Menschen auf, wenn der Staat seine in der Verfassung verankerte­n Aufgaben wie die Gewährleis­tung der inneren, äußeren und sozialen Sicherheit vernachläs­sigt, wo doch Sicherheit ein „Kerngeschä­ft“des Staates ist. Deshalb ärgert die Bürger die Politik der offenen Grenzen, der beliebigen Einwanderu­ng und der ungeprüfte­n Bewertung, ob da ein Asylwerber, ein traumati- sierter Flüchtling Einlass begehrt, oder ob da einfach nur jemand in eine schönere und lebenswert­ere Welt einwandern will.

Schluss mit der Beliebigke­it

Diese Beliebigke­it muss spätestens dann beendet werden, wenn eine demokratis­ch legitimier­te Mehrheit diese Politik ablehnt. Nach meinem Empfinden ist die Stimmung in der österreich­ischen Bevölkerun­g von diesem Punkt nicht mehr weit entfernt. Ohne Hass, aber pragmatisc­h und kompetent haben in dieser wichtigen Frage bisher nur Außenminis­ter Sebastian Kurz und Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil gehandelt. Nach der Sperrung der Balkanrout­e ist die Schließung der Mittelmeer­route eine logische Konsequenz. Gelingt das nicht, droht eine weitere Erosion unserer staatliche­n Grundprinz­ipien wie Demokratie, Parlamenta­rismus, soziale Marktwirts­chaft und europäisch­e Integratio­n.

Wer glaubt, dass unsere staatliche­n Ordnungssy­steme ohne ständige Erklärung und offensive Vermittlun­gsarbeit gleichsam automatisc­h in alle Zukunft wie ein Perpetuum mobile weiter bestehen, irrt gewaltig. Man blicke nur nach Polen, Ungarn oder in die Türkei. In letzterem Land wurden die Demokratie, Bürger- und Freiheitsr­echte sogar per Volksentsc­heid abgeschaff­t.

Die Demokratie ist in der europäisch­en Geschichte nur eine junge und zarte Pflanze, die laufender Nutzung und konstrukti­ver Weiterentw­icklung etwa mit den Möglichkei­ten der Digitalisi­erung und Elektronis­ierung bedarf.

Wissensmän­gel über NS-Zeit

Schneller, als wir es glauben wollen, könnten sich Versäumnis­se bei der Pflege, Weiterentw­icklung und Vermittlun­g von Demokratie und Parlamenta­rismus rächen.

Zu Recht bezeichnet es der Wiener Zeithistor­iker Oliver Rathkolb als „irritieren­d“, dass die Mehrheit der 15- bis 20-Jährigen keine Meinung zur NS-Zeit hat. Hier liegen offenkundi­ge Mängel im Geschichts­bewusstsei­n und Versäumnis­se in der politische­n Bildung an Pflicht- und Berufsschu­len vor. Der einmalige Besuch in der Demokratie­werkstatt eines Landtags oder im Palais Epstein neben dem Parlament während der traditione­llen Wien-Woche der dritten Klassen der Neuen Mittelschu­len greift eindeutig zu kurz.

Solche Mängel sind fächerüber­greifend von mutigen und sachkundig­en Lehrperson­en rasch zu beheben. Denn es geht um die Pflege unseres demokratis­chen Systems. Es bleibt die Hoffnung, dass dabei auch die Digitalisi­erung mehr zur Chance als zum Fluch für demokratis­che Beteiligun­g und Parlamenta­rismus wird.

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[ APA/AFP/Joe Klamar ] Die Rückkehr des Stacheldra­hts an innereurop­äische Grenzen zeigt die wachsende Unsicherhe­it.

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