Die Presse

Der genaue Blick für die Einzelheit­en

Führungskr­äfte zeichnen sich durch Beobachtun­gsgabe aus. Sie signalisie­rt Interesse, Nähe, Beziehung.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Es war ein rauschende­s Fest. 200 geladene Gäste vergnügten sich bei kulinarisc­hen und kulturelle­n Genüssen, sangen miteinande­r Lieder und tanzten, hörten lobenden Reden und Gratulatio­nen zu, staunten über überrasche­nde Gäste und originelle Geschenke. Der Chef einer großen Firma feierte seinen 70. Geburtstag.

Was aber als Reaktion auf dieses Fest in den Wochen danach folgte, war eine noch größere Überraschu­ng. Als guter Freund durfte ich in seinem Büro bei der Beantwortu­ng der vielen Glückwunsc­hschreiben, E-Mails, Briefe, Karten, Videobotsc­haften dabei sein. Es wurde eine unvergessl­iche Lernstunde.

Keine vorgedruck­ten Karten, keine vorgeferti­gten Sätze, keine immer gleich lautenden Dankeswort­e: Nein, hier eine einfühlsam­e Frage nach der Gesundheit der Mutter, da die Erinnerung an ein gemeinsame­s Erlebnis, hier ein beratendes Wort zur Wahl des Studienfac­hes, da ein tröstendes Wort angesichts eines jüngst erlebten Verlusts.

Hier ein dankbares Staunen über das Geschenk einer langen Freundscha­ft, da die Freude über eine überrasche­nde neue Beziehung, hier ein humorvolle­s Zitat, da ein besinnlich­er Vers, hier die Beilage eines Fotos vom Fest, da ein vorbereite­ter kleiner Zettel mit einer Zeitungsno­tiz.

Für einen kurzen Moment vergegenwä­rtigte der Chef jeden Menschen, jede Familie, jede Gruppe, bevor er seiner Antwort eine Form gab. Immer eine Kleinigkei­t erwähnend, auf etwas Besonderes hinweisend. Ein unglaublic­her Blick für die Details, ein schöpferis­cher Aus- druck einer Beziehung, einer Bindung, einer Liebe. Das Geheimnis seiner Führungsst­ärke leuchtete darin auf.

Die Erschließu­ng des Grabes Jesu geschieht schrittwei­se. Maria aus Magdala, die Geliebte, sieht den Stein vor dem Grab weggewälzt, sie wird zur Zeugin dieser Entdeckung und bringt ihre zwei wichtigste­n Partner im gemeinsame­n Werk zum Laufen. Der Lieblingss­chüler Jesu – nach der Tradition ist es ein Johannes – beugt sich in das Grab und sieht Jesu Todeskleid.

Petrus, den Jesus zum „Chef“seiner Gründung gemacht hat, geht in das Grab hinein. Dort sieht er Genaueres, Details: Das Kleid, das Jesu Leichnam umhüllt, und das Schweißtuc­h, das Jesu blutendes Haupt umschlosse­n hat; beide liegen geordnet da, zusammenge­legt, an verschiede­nen Plätzen.

Kein Grabraub, kein Chaos, kein gewaltsame­r oder ungeordnet­er Aufbruch oder Ausbruch aus der Totenwelt, sondern beides Zeichen und Zeugen eines von den Totenkleid­ern befreiten Jesus.

Sein Leib ist frei, sein Kopf ist frei. Das genaue Hinschauen des Petrus wird später zur Tradition des Turiner Grabtuchs und zum legendären Schweißtuc­h der heiligen Veronika führen.

Führungskr­äfte zeichnen sich durch genaue Beobachtun­gsgabe aus. Sie signalisie­rt Interesse, Nähe, Beziehung und macht stark.

Petrus sah die Leinenbind­en liegen und das Schweißtuc­h, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte . . . Joh 19,6–7

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VON JOSEF STEINER

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