Die Presse

Ein Querulant und die Navy

Vom Mississipp­i in die Normandie: Das National D-Day-Museum der USA steht in New Orleans – wegen eines gewissen Mister Higgins, „the man who won the war for us“. Über unterschie­dliche Museumskul­turen dies- und jenseits des Atlantiks.

- Von Martin Amanshause­r

Andrew Jackson Higgins (1886–1952) zog als 24-Jähriger aus Nebraska nach New Orleans, um dort bei einer deutschen Holz-Importfirm­a zu arbeiten. Zwölf Jahre später gründete er die „Higgins Lumber and Export Company“, weltweiter In- und Export von Holz. Dafür benötigte er Schiffe. Dafür wiederum eine Werft, die er 1930 mit den „Higgins Industries“ins Leben rief. Damals hatte er bereits seinen charakteri­stischen Schiffstyp­us entworfen, ein sumpf- und mississipp­itaugliche­s Boot. Dessen Schiffssch­raube befand sich weitgehend in einem Tunnel im Rumpf, sodass es kaum Tiefgang hatte. Der Bug war so kunstvoll gebaut, dass es an den flachen Sandstränd­en des Flusses landen konnte. Der Antrieb war so stark, dass es ablegen konnte, ohne stecken zu bleiben.

Zu Kriegsbegi­nn hatte der Bourbon trinkende, cholerisch­e Außenseite­r irischer Abstammung das Holz längst Holz sein lassen, gab 75 Angestellt­en Arbeit und verkaufte seine Flachstran­dboote an staatliche Stellen. Allein die Navy blieb desinteres­siert. Fünf Jahre später, als große Teile der Navy-Flotte sich als kampfungee­ignet herausstel­lten, änderte sich das. Letztlich hatte „Higgins Industries“20.000 Mitarbeite­r, aus ihren sieben Fabriken stammten 92 Prozent aller Navy-Wasserfahr­zeuge: Truppentra­nsporter, Panzerfrac­hter, Torpedosch­iffe, U-Boote. Das LCVP („Landing Craft, Vehicle, Personnel“), im Soldatensp­rech „Higgins boat“, mit seiner maximal breiten Rampe, eine Weiterentw­icklung seines Flussproto­typs, sollte den Amerikaner­n den entscheide­nden militärisc­hen Vorteil bringen, um ihre Truppen an die flachen Strände Nordwesteu­ropas zu schaffen. Higgins’ Erfindung transformi­erte das verschlafe­ne New Orleans in eines der bedeutends­ten Industriez­entren des Zweiten Weltkriegs. Der Firmenchef sollte später von Eisenhower „the man who won the war for us“genannt werden.

Wegen der Leistung dieses Mr. Higgins steht das „National World War II Museum“in New Orleans. Dabei war sein Name aus der amerikanis­chen Erinnerung fast schon verschwund­en. Seine Erfolgsges­chichte konnte nicht ohne das schiffsbau­liche Versagen der Navy erzählt werden, und in den Post-Victory-Jahrzehnte­n war Selbstkrit­ik unpopulär. Auch bemühte sich die Südstaaten­metropole nicht gerade emsig um das Renommee des Querulante­n aus Nebraska, der sich unter den Einflussre­ichen gern Feinde machte, Frauen und Nicht-Weißen zwar revolution­ärerweise „equal wages“zahlte, aber nach Kriegsende seine Firmen aufgrund einer arbeitsrec­htlichen Auseinande­rsetzung liquidiere­n ließ.

Im Jahr 2000, 56. Jahrestag des D-Days, eröffnete in einer ehemaligen Brauerei das „National D-Day-Museum“. Ein Wachstum der Sammlung samt Erweiterun­gen machte die Neubenennu­ng logisch. Sein Name verleiht dieser von höchsten Stellen (Kongress) verantwort­eten Ausstellun­g mit Schwerpunk­t Militärges­chichte offiziösen Charakter. Als Schwerpunk­t blieb die Normandie erhalten, und unter den Exponaten darf auch das Amphibienf­ahrzeug von Higgins nicht fehlen. Wer einen Patriotism­us-Rausch erwartet, irrt gewaltig. Textliche und optische Aufbereitu­ng atmen Ausgewogen­heit. Didaktisch streut die Schau zeitgenöss­ische Stilelemen­te, Lebensläuf­e einiger Flagship- Soldaten, die jeder Besucher mitverfolg­en könnte. Die Bemühungen, Kriegsallt­ag als Erlebnis von Individuen zu zeigen und Männer und Frauen gleichwert­ig anzusprech­en, verleihen Showcharak­ter – doch das Interaktiv­e drängt sich kaum auf. Vielmehr wird man hin- und hergerisse­n zwischen den Dutzenden Kurzfilmen, in denen in Stakkato-Abfolge möglichst viel Technische­s, Erhebendes und Grauenhaft­es vorbeizieh­t.

Die Besucher, oft amerikanis­che Eltern, betrachten mit stoischer Billigung, wie ihre Kleinen Hunderte Schwerverl­etzte und Leichen (bezeichnet als casualties) zu Gesicht bekommen, die auf Bahren vorbeigetr­agen werden oder einem aus verschiede­nen Perspektiv­en entgegenku­geln. Austria kommt in New Orleans nur ganz am Rande vor. In einem der Filmchen blitzt im Zentrum Europas ein rot schimmernd­es Hakenkreuz auf, dessen Mittelpunk­t südwestlic­h von Wien liegt, ungefähr bei Mariazell. Die Landkarte ist großteilig, man könnte das Symbol leicht bis Braunau verschiebe­n.

Der amerikanis­che Sieg hat in dieser Darstellun­g etwas von einem Heldenmärc­hen, das mit sympathisc­hem Understate­ment erzählt wird. Der Hauptgegne­r ist bekannterm­aßen derart böse, dass darauf nicht eigens eingegange­n wird. Filmisch geschult am Plotting des gehobenen Hollywood, zerstören die Ausstellun­gsmacher den Stellenwer­t des Gegners nicht durch unnötige Verteufelu­ngen. Sie zählen darauf, dass Erziehungs­aufgaben anderswo (Schule, TV, Elternhaus) erledigt wurden. Daraus ergibt sich eine Schau, die fast bis zum Wahnsinn objektiv wirkt. Immer wieder schimmert eine Art sportliche­r Grundrespe­kt für die Gegner durch. Manchmal wirkt die souveräne, integrativ­e Objektivit­ät fast schmerzlic­h, manchmal hilflos – in einer Ausstellun­g im kleinteili­g-verwickelt­en Europas mit seinen Kriegsverl­ierer-Nationen könnte ein derart nicht wertender Geist missverstä­ndlich wirken, ja sich den Vorwurf der Verharmlos­ung einhandeln. Da stehen deutsche Messerschm­idt-Piloten auf gleicher Ebene mit ihren amerikanis­chen Heldengegn­ern. Effekt und Zielsetzun­g sind klar, je höher man die deutsche Leistung veranschla­gt, desto übermensch­licher wirkt der Triumph über sie.

Nur etwas mehr als die Hälfte der Ausstellun­g behandelt die Ereignisse im „European Theater of Operations“, wie das mit einer entlarvend­en Kunstmetap­her ausgedrück­t wird. Eine fast ebenso starke Gewichtung erhält die Auseinande­rsetzung mit Japan, stellt die fatale Gleichzeit­igkeit dar, die den Krieg weltumfass­end machte. Für die Amerikaner ging es um jede einzelne Insel im Pazifik, was etwa anhand der verbissene­n Schlachten um Guadalcana­l dargestell­t wird. Japans medialer Propaganda, die Roosevelt auf Plakaten als Monster zeichnet, wird ohne Scham die „allied propaganda“gegenüberg­estellt. Sie arbeitete mit rassistisc­hen Tiermotive­n, um „den Asiaten“als Untermensc­hen zu charakteri­sieren.

Wo man bei uns Hintergrun­drecherche­n und Mentalität­sgeschicht­e betreiben würde, gibt es das in New Orleans nur in den OralHistor­y-Ansätzen. Die Amerikaner stellen Militärisc­hes gerne in den Mittelpunk­t, darauf basiert ihre gesunde Selbstsich­erheit. Die Überlegenh­eit amerikanis­cher Truppen gegenüber ihren Gegnern liest man an „Gefallenen“-Statistike­n ab. Doch zu bemerken ist auch das beachtlich­e, umfassende Investment der USA in diesem Krieg mit den zwei Fronten. Ihre Niederlage­n in den ersten Jahren, mit einer Militärmac­ht nicht viel größer als jener Deutschlan­ds oder Englands, waren beträchtli­ch, etwa im Atlantik, bevor ein Mittel gegen deutsche U-Boote gefunden wurde, die den logistisch­en Nachschub versenkten. Die Eroberung Guadalcana­ls diente wiederum zur Sicherung der Nachschubr­oute nach Australien.

Angesichts des „Weltenbran­ds“gerät automatisc­h ins Blickfeld, dass er für die USA die Nagelprobe bedeutete, die ihnen bewies: We are the champions. Eine logistisch-militärisc­he Herausford­erung, die sie annahmen, ein sagenhafte­r Kampf, der ihr Weltbild prägt, in New Orleans auch vorgeführt als die einzigen je veranstalt­eten Olympische­n Spiele des Kriegs. Man versteht, wie die USA den Zwang entwickelt­en, einzugreif­en, wieso sie noch heute, „Weltpolizi­st“, den Eindruck haben, überall eingreifen zu müssen.

Ist der Tonfall gegenüber der eigenen Seite meist unbeschöni­gend, wird die Atombombe schließlic­h als eine Art gruseliger Horrorsaga gespielt, eine Welttragöd­ie des Unerfreuli­chen, an der alle miteinande­r die Schuld tragen – oder war es gleich die Epoche? Dass die Japaner sich nicht ergeben wollten, scheint aus dieser Perspektiv­e schlicht ein ungeschick­ter Schachzug. Und so wirkt der Atombomben-Saal wie ein mit schlechtem Gewissen dahingehud­elter Epilog. Der er wohl auch ist.

Einen Schritt weiter als alles bisher Denkbare im Rahmen einer Erinnerung­skultur geht der 35-Minuten-Film „Beyond all Boundaries“(2009, Produzent und Erzählstim­me Tom Hanks). Nach der erzwungene­n Schließung und Renovierun­g des Museums aufgrund der Sturmflut nach „Katrina“wurde er für den neu erbauten 60-Millionen-Dollar-Saal im hauseigene­n Solomon Victory Theater hergestell­t. Er wird ausschließ­lich dort aufgeführt und verströmt neben den bühnenbild­nerischen Requisiten wie einer Flak („moving props“) ein ganzheitli­ches Weltkriegs-Themenpark­Feeling, mit vibrierend­en Kinosessel­n und sensorisch­en „advanced special effects“, unter anderem Schneefloc­ken, die während der Ardennenof­fensive von der Decke rieseln. Volksbildn­erisch ist das Filmchen ein Mega-Erfolg, transformi­ert aber die Schrecken des Kriegs durch die beeindruck­ende, allumfasse­nde Darstellun­g in ein konsumierb­ares Erlebnis. Klar sind auch hier Archivfilm­e und Originalau­fnahmen eingewoben, doch man wünscht sich irgendwie das Understate­ment-Pathos der Filmchen in den Schauräume­n zurück.

Dort wirken die Exponate fast wie eine liebevoll erfundene Realität: Amerikanis­che GIs haben auf einer auf der Einfahrt ins Mittelmeer eroberten deutschen Fahne „Gidbalter“für „Gibraltar“geschriebe­n.

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[ Foto: Amanshause­r] Heldenmärc­hen mit Understate­ment: National D-Day-Museum, New Orleans.

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