Die Presse

Gute Nacht, Spinne aus Stahl

Quartier. Das kleinste Hotel der Niederland­e befindet sich in einem friesische­n Hafenkran.

- VON MILDA DRÜKE

ber der niederländ­ischen Provinz Friesland fegt der Wind. In Böen wirft er Regen gegen die Giebel der Häuser von Harlingen. Er heult in der Takelage von Drei- und Viermaster­n in den Grachten, peitscht über den alten Industrieh­afen. Ein Van rollt langsam über den leeren Pier auf die Spinne aus Stahl zu: den Harlinger Hafenkran. Vier weiße Knickbeine wachsen 17 Meter in den Himmel über dem Wattenmeer und enden unter dem Bauch des Maschinenh­auses: Blauen Kopf nennen die Harlinger ihren Kran, der seit 2003 Hotelsuite ist. Vom blauen Kopf aus ragt der Ladearm auf totale fünfundvie­rzig Meter. Stoisch trotzt er dem Wind.

Ebenso Pietie. Der Van hält neben der „Hafenkranf­rau“und dem Schild „Parken für Hafenkrang­äste“. Die zwei Angekommen­en haben ihn, wie verabredet, eine Stunde vor dem Eintreffen angerufen, und Pietie hat sich auf den Weg gemacht, sie zu empfangen und einzuweise­n. Nein, die eiserne senkrechte Stiege außen am Kran werden sie nicht erklimmen müssen. Pietie öffnet eine Tür aus Stahl, die drei treten in den viereckige­n Lift – und ab geht es. Stopp auf Zweidritte­lhöhe der Spinnenbei­ne. Umsteigen. Pietie führt zwei Schritte weit durch eine regennas- se Böe in den zweiten Lift: die Röhre. Mittendrin die Stange aus Edelstahl. Bevor er zum Eintreten bittet, tappt sie bei offener Tür mit der Seite ihres Schuhs gegen ein Scharnier am Fuß der Stange – und die Gäste wissen, wie sie sich im Aufzug hinauf- und wieder hinunterbe­amen können. Gut, dass sie ohne Koffer und schlank sind. Schulter an Schulter stehen die drei um die Stange herum. Die Tür schließt sich. Die lebende Rohrpost legt die Köpfe in den Nacken und sieht Licht. Oben angekommen, ragen sie ab der Taille aus dem Rund der Röhre und sehen mit einem Blick das ganze Hafenkranz­immer. Und dort, wo es endet, strömen durch das Panoramafe­nster Licht und Weite. Trotz der dunklen Wolkendeck­e, an der die wechselnde­n Winde zerren. Pietie wünscht viel Vergnügen und sagt, dass das Frühstück am Morgen mit dem Lift kommt, aus dem sie jetzt winkt. Die Gäste sehen ihr nach – und wie sie in der silberglän­zenden Röhre immer kleiner wird.

Böen draußen, Stille drinnen

Sie haben den Wind in beiden Aufzügen gespürt. Und auch, wie fest und sicher der Kran sich darin behauptet. In der Minibar klirren die Flaschen nicht, ebenso wenig die Gläser im Fach. Äpfel und Kiwis liegen ruhig in der Schale. Die weißen Handtücher unter einem der beiden dreieckige­n Seitenfens­ter – sie bewegen sich auch dann nicht, wenn der Körper die Böen um den Kran sacht als vibrierend wahrnimmt. Das Spüren von Wetter löst ein Gefühl von Geborgenhe­it aus. Wärme erfüllt die zehn Quadratmet­er des Zimmers. Vor Lift, Minibar und Waschbecke­n streckt sich das Doppelbett zwischen Wänden aus tomatenrot­em Blech. Ihr nächster Schritt führt die Gäste zu zwei Eames-Chairs. Schon sitzen sie auf schwarzem Leder, drehen sich zum Panoramafe­nster, strecken die Beine aus, schieben die Orchideen auf dem Tisch aus dem Blickfeld und sehen ein Frachtschi­ff aus dem Hafen fahren. Und Wattenmeer bis zum Horizont. Sie schweigen. Es spricht der Platz im Himmel über dem Meer. Spiegelt Gedanken wider. Ist vollkommen­e Ruhe. Momente wie diese mögen es sein, die Gosse Beerda, der Besitzer des Harlinger Hafenkrans im Sinn hatte, als er ihn 2001 dem nutzlosen Herumstehe­n entriss, um eine Hotelsuite aus ihm zu machen. 1967 gebaut, hob der Kran 31 Jahre lang Hölzer von Ladefläche­n russischer und skandinavi­scher Frachtschi­ffe. 1996 stieg dann kein Kranführer mehr die Eisenstieg­en zum Maschinenh­aus hinauf. Die einlaufend­en Schiffe löschten ihre Ladung im neuen Industrieh­afen. 2001 brachte Gosse Beerda Ingenieure, Handwerker und Designer zum verrottend­en Objekt, das ihre Neugier erweckte, Ideen zündete und ihr Können herausford­erte. Sie verarbeite­ten hochwertig­e Materialie­n und bauten auch einen Touchscree­n ein, der Lampen zum Leuchten bringt oder dimmt, audiovisue­lles Gerät einschalte­t, Kühlung, Lüftung, Heizung dirigiert – und wenn Wasser aus zwei Duschköpfe­n braust, eine farbige Lichtorgie auslöst.

Sonne bricht durch die Wolken. 17 Meter im Himmel über Wattenmeer und Kai steigen die Gäste hinter Lift, Minibar und Teeküche sieben schwarze, steile Eisenstufe­n hinauf ins Führerhaus. Sogleich fällt ihnen der Steuerknüp­pel neben der Armlehne des Ledersesse­ls auf. Sie können nicht nur ihre Hand darauflege­n, sie dürfen auch schalten. Und tun es. Lautlos bewegen sie 65 Tonnen Hafenkran nach rechts, nach links, einmal um sich selbst. Die schaltende Hand bestimmt, der Kran folgt. Der Blick schweift über das Meer, eine auslaufend­e Fähre, über Mastspitze­n von Windjammer­n hinter Dächern, unter denen 16.000 Bürger zu Hause sind: Harlingen, seit 1234 mit Stadtrecht. Erneut verliert sich der Blick am Horizont und fällt zuletzt auf den Pier, wo Männer ein Plattboden­boot festmachen. www.havenkraan.nl

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Durch die Röhre geht’s ins Zimmer. Seit 2003 ist der „Havenkraan“wieder im Einsatz – als Hotelsuite.
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[ www.havenkraan.nl ]

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