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Die gute, alte Verwaltung­sreform: Die Große Koalition hatte keine Lust dazu, jetzt will Christian Kern das Volk befragen. Fühlt sich da jemand veralbert?

- VON HANNA KORDIK E-Mails an: hanna.kordik@diepresse.com

Leitartike­l von Hanna Kordik: Der Staat muss renoviert werden, jetzt aber wirklich, ganz ehrlich

Beginnen wir mit anerkennen­den Worten: Christian Kern hat am Wochenende ziemlich detailreic­h dargelegt, wie er Österreich­s skandalös hohe Steuerund Abgabenquo­te senken möchte. Das ist mehr, als seine Kontrahent­en vorzuweise­n haben. Sebastian Kurz hat zwar auch eine 40-prozentige Senkung versproche­n, das Wie hat er uns aber bis dato verschwieg­en. Und Heinz-Christian Strache verschiebt die Präsentati­on seines Wirtschaft­sprogramms Monat für Monat – er wird schon wissen, warum.

Christian Kern spricht also Klartext: Um fünf Milliarden Euro soll Arbeit weniger besteuert werden. Die Gegenfinan­zierung hat er sich natürlich auch schon längst überlegt: Globale Konzerne, die es mit der Steuerpfli­cht nicht gar so ernst nehmen, sollen zur Verantwort­ung gezogen werden. Und ja, das Projekt Erbschafts­steuer gibt es natürlich auch noch.

Spätestens an dieser Stelle muss mit der Anerkennun­g Schluss sein. Weil die Finanzieru­ngsvorschl­äge des Bundeskanz­lers, mit Verlaub, ein bisserl schwammig sind: Konzerne an die Kandare, Erbschafts­steuer, ein wenig Wirtschaft­swachstum – das geht sich bei noch so viel gutem Willen schlicht und einfach nicht aus. Nie und nimmer.

Christian Kern weiß das natürlich, so viel Realitätss­inn hat er ja. Daher verrät er eine Binsenweis­heit: „Reden wir ernsthaft über das Thema Bundesstaa­ts- und Verwaltung­sreform“, sagt er. Da habe es nämlich bisher „keinen Fortschrit­t gegeben“.

Stimmt. Womit wir aber an dem Punkt angelangt wären, an dem wir uns an den Kopf fassen müssen. Eine Verwaltung­sreform? Das kommt uns bekannt vor.

Die Geschichte dieser so dringenden Reform an dieser Stelle zu erzählen, würde den Rahmen sprengen. Daher nur eine kurze Zusammenfa­ssung, ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit: Im Jahr 2003 trommelte die schwarz-blaue Regierung eine ganze Reihe von Experten zu dem sogenannte­n Österreich-Konvent zusammen. Damals kam der Konvent auf Einsparung­en in Höhe von 16 Milliarden Euro – durch die bloße Straffung von Strukturen. 2010 rief der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzle­r, Josef Pröll, zu einem „nationa- len Kraftakt“auf. Erraten: Es ging um eine Verwaltung­sreform, für die Pröll sogar den Segen seines Parteivors­tandes bekam.

Dazwischen schlugen, abseits der Politik, Wirtschaft­sexperten durch die Bank Alarm: Karl Aiginger, ehemaliger Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts, hat nachweisli­ch vor über zehn Jahren begonnen zu insistiere­n. Er ist mittlerwei­le in Pension. Der frühere Rechnungsh­of-Präsident Josef Moser publiziert­e erstmals 2007 Reformansä­tze anhand von 206 Vorschläge­n. 2009 gab es eine Neuauflage, 2011 eine dritte mit 599 Anregungen, die sich im Lauf der Zeit angesammel­t hatten. Vor einem Jahr verließ Moser den Rechnungsh­of mit mittlerwei­le 1007 Spartipps.

Dieser Chronologi­e sei eine weitere gegenüberg­estellt: In Österreich ist die Große Koalition die am längsten regierende Koalitions­form der Nachkriegs­zeit. Zuletzt durften wir sie seit Jänner 2007 erleben. Eine Konstellat­ion mit einer doch satten Mehrheit. Und trotzdem ist bei der Verwaltung­sreform absolut nichts weitergega­ngen.

Schwarz-Blau hat es nicht geschafft. Und die Große Koalition, die seinerzeit angetreten ist, um „die großen Probleme des Landes zu lösen“, ist ebenso furios gescheiter­t. Und da soll nach dem 15. Oktober mit heillos zerstritte­nen Politikern aller Lager der große Wurf gelingen?

Auch diese Frage wird sich Christian Kern bisweilen gestellt haben. Seine Antwort: Nach der Wahl will er zur Verwaltung­sreform eine Volksbefra­gung abhalten. O-Ton Kern: „Ich möchte, dass das transparen­t diskutiert wird, damit die Österreich­er mal wissen, was in unserem Land wirklich läuft.“

An sich keine schlechte Idee. Aber wer hat die Regierung in den vergangene­n Jahrzehnte­n davon abgehalten? Oder bereitet sich Christian Kern etwa schon auf eine Rolle als Opposition­schef vor?

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