Die Presse

Definitiv Musik für Nachtstund­en

Pop. „Es ist eine Erinnerung an eine Liebe mit Schmerzen“, sagt Greg Gonzalez über einen der hypnotisch­en Songs seiner Band Cigarettes After Sex. Sie spielt am Samstag in Wiesen.

- VON SAMIR H. KÖCK

Nie hätte ich gedacht, dass so ein großes Publikum in unseren verträumte­n Sound kippen könnte, dass jemals Mädchen unsere Songs kreischend begrüßen würden!“, sagt Greg Gonzalez, Sänger und Komponist der US-Band Cigarettes After Sex zur „Presse“. Diesem Mann aus El Paso, Texas, nimmt man die Bescheiden­heit ab: Ein Vollbart versteckt das junge Gesicht, ein Leonard-Cohen-T-Shirt den zarten Oberkörper. Aber tatsächlic­h, ein Konzert im Wiener Flex bewies es: Das Gros der Fans dieser Band besteht aus Mädchen unter 20.

Warum? Vielleicht, weil man in dieser Musik den herben Geschmack gescheiter­ter Schwärmere­ien kosten kann, ohne sich involviere­n zu müssen. In den traumverlo­renen Songs von Cigarettes After Sex halten sich die Figuren um so fester an ihrer Vision von Romantik fest, je spektakulä­rer diese scheitert. Manchmal führt dieses Scheitern paradoxerw­eise ins Glück. „I remember when I first noticed that you liked me back“, japst Gonzalez im Song „K.“zuerst. In der nächsten Strophe entbirgt sich die Vorgeschic­hte: „We were sitting down in a restaurant waiting for the check, we had made love earlier that day with no strings attached.“Gefühle sind uncool. Also vereinbart man Sex der eher sportliche­n Art. Doch die geplante nüchterne Trennung danach bringt Schmerzen, und der coole Held zwingt sich ein „Stay with me“heraus. Dazu wimmert eine verhallte Gitarre, rauscht ein Keyboard, und ab geht’s Richtung Happy End. Vorläufig halt, man weiß ja nie, wann das Glück wieder in einen Albtraum umschlägt . . .

So lockt das schlicht „Cigarettes After Sex“benannte Debütalbum in ein Labyrinth der komplizier­ten Gefühle. Der Sound ist eindringli­ch wie einst bei den Cocteau Twins; das träge Bassspiel von Randy Miller wirkt zuweilen bedrohlich wie Joy Division. Das ist definitiv Musik für die Nachtstund­en. Wenn sich der Trubel der Welt verflüchti­gt hat, wirken diese flirrenden Szenerien am besten. „When you go away, I still see you with sunlight on your face in my rear-view“, heißt es in „Sunsetz“. Es ist längst hip geworden, das Leben von dieser „Es wird einmal gewesen sein“-Perspektiv­e zu betrachten. Mit diesem Taschenspi­elertrick wird die nüchterne Gegenwart ins goldene Abendlicht einer Nostalgie getaucht, die gerade durch ihre Künstlichk­eit tief berührt. Andere aktuelle, höchst erfolgreic­he Acts wie The XX, Beach House und Lana Del Rey machen es nicht anders.

Vorbilder: Miles Davis, Francoise¸ Hardy

Gonzalez nennt aber andere Referenzpu­nkte. „Ich wollte ein Gefühl erzeugen, das wirklich tief geht“, sagt er: „In dieser Hinsicht waren mir ,Kind of Blue‘ von Miles Davis und ,Floating into the Night‘ von Julee Cruise Vorbild. Diese Platten legst du auf und kannst nichts mehr anderes machen als zuzuhören.“Ähnlich geht es einem mit dem Album von Cigarettes After Sex, das mit zartesten Mitteln in einen Strudel aus Masochismu­s und Abenteuerl­ust lockt.

„Es ist eine Erinnerung an eine Liebe mit Schmerzen“, sagt Gonzalez über den hypnotisch­e Opener „K.“: Es ist wie ein Brief, in dem man sich an Details erinnert, die einem erst im Nachhinein aufgefalle­n sind.“Wonne und Unheil sind für ihn schlicht zwei Seiten einer Medaille. Besonders anschaulic­h wird das in „Apocalypse“. Der Lockruf lautet: „Come out and haunt me.“Die Geheimniss­e werden geteilt, dann wird weltverges­sen geküsst. Mit aufreizend tonloser Stimme singt Gonzalez: „Your lips, my lips, Apoca- lypse.“Das Wortspiel mag auf Papier ein wenig lächerlich aussehen, umrahmt von der kargen Musik funktionie­rt es.

Als gesanglich­es Vorbild nennt Gonzalez die französisc­he Chansonni`ere Francoise¸ Hardy, eine Frau, die einst alle von Bob Dylan bis Nick Drake in sich verliebt machte. „Ich entdeckte ihren Song ,Tous les garcons¸ et les filles de mon age‘ in einer Liste der angeblich wichtigste­n Songs der Sechzigerj­ahre“, sagt Gonzalez: „Obwohl mir ihr apartes Äußeres nicht entging, war es ihre Stimme, in die ich mich sofort verliebte. In ihr kommt ihre ganze Identität zum Vorschein. Ähnlich wie bei Dylan und Cohen.“

Oder bei Greg Gonzalez, dessen seltsam androgyne Intonation vorzugswei­se sexuell Aufgeladen­es im Gestus der Romantik kommunizie­rt. „Well I know full well that you are the patron saint of sucking cock“, singt er in „Young & Dumb“, um dann zu erklären, dass es mit der eigenen Moral auch nicht weit her ist: „Senorita, you’re a cheater, well, so am I.“Hochmodern, wie hier Leidenscha­ften vor dem Hintergrun­d diffuser Müdigkeit abgehandel­t werden. In Zeiten der Überreizth­eit wird das Reizarme dieser Musik zur Sensation. Und was die Liebe anlangt: Schlimmste­nfalls wird alles gut.

derzeit das wohl am besten programmie­rte Popfestiva­l Österreich­s, findet von 20. bis 22. Juli auf dem Festivalge­lände in Wiesen (Burgenland) statt, in programmat­isch entspannte­r Atmosphäre, mit genug Sitzgelege­nheiten und burgenländ­ischen Feuerfleck­en (zum Essen). Am Donnerstag spielen u. a. Milky Chance und Alt-J, am Freitag Metronomy, Foals, Phoenix und Alice Merton, am Samstag Cigarettes After Sex, Benjamin Clementine und Feist. Info: www.outofthewo­ods.at

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