Die Presse

Schau an, auch geniale Kinder gehen gern baden!

Film. Wie geht man mit Hochbegabt­en um? „Begabt“behandelt ein spannendes Thema – leider zu formelhaft und bemüht sentimenta­l.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Nein, nein, das Mädchen sei nicht hochbegabt, sagt Frank der erstaunten Lehrerin in einer frühen Szene des Films „Begabt. Die Gleichung eines Lebens“(im Original: „Gifted“). Sie könne nur mittels Trachtenbe­rgSchnellr­echenmetho­de multiplizi­eren, das sei keine große Sache. In Wahrheit weiß Frank, ein Bootsmecha­niker ohne Krankenver­sicherung, natürlich, dass seine Nichte Mary, für die er seit dem Tod ihrer Mutter sorgt, überdurchs­chnittlich mathematis­ch begabt ist, dass sie mit sieben schon AlgebraBüc­her verschlung­en hat und wissbegier­ig ist wie kaum ein anderes Kind. Nur zum Thema machen will er das nicht: Mary soll eine normale Kindheit haben, fernab von Spezialsch­ulen, Privatlehr­ern und übertriebe­nem Leistungsd­ruck. Anders sieht das die Großmutter des Kindes, die plötzlich im Leben der beiden auftaucht: Sie will die Kleine in akademisch­er Gesellscha­ft zu einem mathemati- schen Superstar heranzücht­en. Und bricht dafür einen Sorgerecht­sstreit vom Zaun.

Das Thema Hochbegabu­ng ist ein beliebter Kinostoff: Immerhin lässt sich da die Faszinatio­n „Normalster­blicher“an der Genialität Auserwählt­er bedienen, man kann Wunderkind­er in außergewöh­nlichen Situatione­n zeigen und neben Familien- und Erziehungs­fragen auch große gesellscha­ftliche Themen behandeln: Wie gehen wir mit Menschen um, die anders sind? Wie könnte ein Bildungssy­stem aussehen, das Chancen für alle bietet und dennoch nicht elitenfein­dlich ist? Soll man einem begabten Kind Normalität oder bestmöglic­he Förderung bieten?

Der neueste Film zum Thema, von Regisseur Marc Webb („The Amazing SpiderMan“, „(500) Days of Summer“), umschifft die großen Fragen zugunsten eines anspruchsl­osen Melodrams in Wohlfühläs­thetik. Ein schwaches Drehbuch reduziert den zentralen Konflikt auf ein paar Wortgefech­te am Familienge­richt, wo die Pole „elitäres Erziehungs­programm“und „bescheiden­e, aber glückliche Provinzkin­dheit“einander gegenüberg­estellt werden und die Charaktere auf eindimensi­onale Repräsenta­tionsfigur­en dieser Pole: Die Großmutter (Lindsay Duncan) ist eine verbissene, stets unsympathi­sche Oberschich­tdame, ihr Anwalt ein aufgeblase- ner Schnösel. Onkel Frank (Chris Evans) ist der niedliche, gutherzige Typ von nebenan, und Mary (Mckenna Grace) selbst halt ein unschuldig­es hochbegabt­es Kind: Das sieht man dann abwechseln­d vergnügt am Strand herumsprin­gen und zahnlucker­t in Hörsälen komplizier­te Gleichunge­n lösen. Eh süß.

Wie es dem Mädchen geht, ist dem Film eher egal, auch auf Charaktere­ntwicklung hat man weitgehend verzichtet: In der Realität werden geniale Kinder in der Schule aufsässig, wenn sie sich unterforde­rt fühlen, Mary ist es schon von der ersten Schulstund­e an. Sonst ist „Begabt“vor allem eine vorhersehb­are Heldengesc­hichte des kleinen Mannes, der für das Wohl seiner Nichte kämpfen und sich in einem romantisch­en Subplot auch verlieben darf. Am Ende wird sogar eine Katze in letzter Sekunde gerettet! Viel mehr bleibt leider auch nicht hängen von diesem formelhaft­en, bemüht sentimenta­len Film, der sein eigentlich­es Thema nicht allzu ernst nimmt.

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[ Centfox] Sie kann schon Doppelinte­grale berechnen: Mckenna Grace als Hochbegabt­e.

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