So laut kann Antigone schreien
Art Carnuntum: Das Ensemble Persona brachte das SophoklesDrama so karg wie intensiv.
„Es ist das Stück der Stunde“, schreibt das Münchner Ensemble Persona im Programmheft: „In Zeiten aufstrebender Autokraten scheint es immer notwendiger zu sein, Fragen nach Zivilcourage und Demokratiebewusstsein umso deutlicher zu stellen.“Bei aller Skepsis gegen konstruierte Aktualität: Es stimmt. Dieses 442 v. Chr. uraufgeführte Stück brennt noch immer in seiner lodernden Konfrontation von positivem Recht und Naturrecht, von der Herrschaft des Kreon und der Autonomie, die seine Nichte (und Schwiegertochter in spe) Antigone einfordert.
Das zeigte die grelle und großartige Inszenierung Jette Steckels im Burgtheater (leider im Herbst nicht mehr auf dem Spielplan) mit allen Effekten, die eine Staatsbühne zu bieten hat. Und das zeigte nun auch eine ganz andersartige Aufführung: Beim Ensemble Persona geht’s im alten Theben, man verzeihe den Kalauer, spartanisch zu. Die Bühne ist leer, es gibt keine Effekte außer Scheinwerferlicht und leisen Glöckchen. Und natürlich dem Wind, der von draußen heulend zuzustimmen scheint, wenn der Chor über „widrigste Winde“spricht oder Antigone über ihre „fromme Freveltat“.
Die Vernunft ist bei Sohn Haimon
Und über den Tod. Der ist ihr von Beginn an nahe: Eva Gottschaller spielt eine Antigone, die bereits entrückt wirkt, so laut sie ihr Schicksal hinausschreit. Und das tut sie, wie Peter Kaghanovitch, dessen Kreon ebenso überzeugt von seiner Mission ist wie die Aufbegehrende. Beide sind ungeheuer – meint der Chor beide, wenn er das „tollkühne Handeln“tadelt? Beide stoßen jedenfalls mit ungebremster kinetischer Energie aufeinander. Leiser, nuancierter wirkt die Konfrontation von Kreon und seinem Sohn Haimon, aus dem Tobias Maehler zugleich die Auflehnung gegen den Patriarchen und die Vernunft sprechen lässt. Er spielt auch den Wächter und den Tereisias und führt Regie; Marina Lötschert ist nicht nur die Ismene (fast gemütlich in all der Raserei rund um sie), sondern auch der Bote, der das finale Grauen zu erzählen hat. Das ist der einzige Moment, in dem die extreme Personalökonomie – die vier sprechen auch gleich den Chor! – nicht ganz funktioniert.
Vor allem ist der Abend ein Triumph der Sprache: Alle vier Akteure sprechen selbst in den schnellsten Passagen höchst deutlich, nehmen jedes Wort wichtig. Und schaffen es, sich vom anfänglichen, bereits beachtlichen Energieniveau weiter zu steigern. Der „Io!“-Schrei des Kreon wird noch lang im Kopf hallen.