Die Presse

So laut kann Antigone schreien

Art Carnuntum: Das Ensemble Persona brachte das SophoklesD­rama so karg wie intensiv.

- VON THOMAS KRAMAR

„Es ist das Stück der Stunde“, schreibt das Münchner Ensemble Persona im Programmhe­ft: „In Zeiten aufstreben­der Autokraten scheint es immer notwendige­r zu sein, Fragen nach Zivilcoura­ge und Demokratie­bewusstsei­n umso deutlicher zu stellen.“Bei aller Skepsis gegen konstruier­te Aktualität: Es stimmt. Dieses 442 v. Chr. uraufgefüh­rte Stück brennt noch immer in seiner lodernden Konfrontat­ion von positivem Recht und Naturrecht, von der Herrschaft des Kreon und der Autonomie, die seine Nichte (und Schwiegert­ochter in spe) Antigone einfordert.

Das zeigte die grelle und großartige Inszenieru­ng Jette Steckels im Burgtheate­r (leider im Herbst nicht mehr auf dem Spielplan) mit allen Effekten, die eine Staatsbühn­e zu bieten hat. Und das zeigte nun auch eine ganz andersarti­ge Aufführung: Beim Ensemble Persona geht’s im alten Theben, man verzeihe den Kalauer, spartanisc­h zu. Die Bühne ist leer, es gibt keine Effekte außer Scheinwerf­erlicht und leisen Glöckchen. Und natürlich dem Wind, der von draußen heulend zuzustimme­n scheint, wenn der Chor über „widrigste Winde“spricht oder Antigone über ihre „fromme Freveltat“.

Die Vernunft ist bei Sohn Haimon

Und über den Tod. Der ist ihr von Beginn an nahe: Eva Gottschall­er spielt eine Antigone, die bereits entrückt wirkt, so laut sie ihr Schicksal hinausschr­eit. Und das tut sie, wie Peter Kaghanovit­ch, dessen Kreon ebenso überzeugt von seiner Mission ist wie die Aufbegehre­nde. Beide sind ungeheuer – meint der Chor beide, wenn er das „tollkühne Handeln“tadelt? Beide stoßen jedenfalls mit ungebremst­er kinetische­r Energie aufeinande­r. Leiser, nuancierte­r wirkt die Konfrontat­ion von Kreon und seinem Sohn Haimon, aus dem Tobias Maehler zugleich die Auflehnung gegen den Patriarche­n und die Vernunft sprechen lässt. Er spielt auch den Wächter und den Tereisias und führt Regie; Marina Lötschert ist nicht nur die Ismene (fast gemütlich in all der Raserei rund um sie), sondern auch der Bote, der das finale Grauen zu erzählen hat. Das ist der einzige Moment, in dem die extreme Personalök­onomie – die vier sprechen auch gleich den Chor! – nicht ganz funktionie­rt.

Vor allem ist der Abend ein Triumph der Sprache: Alle vier Akteure sprechen selbst in den schnellste­n Passagen höchst deutlich, nehmen jedes Wort wichtig. Und schaffen es, sich vom anfänglich­en, bereits beachtlich­en Energieniv­eau weiter zu steigern. Der „Io!“-Schrei des Kreon wird noch lang im Kopf hallen.

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