Die Presse

Donald Trumps finsterer Flirt mit der Gewalt

Wenn höchste Repräsenta­nten einer Demokratie einmal beginnen, zu Gewalt zu verleiten, übernimmt der Mob das Ruder.

- VON IAN BURUMA

Donald Trumps vor zwei Wochen verbreitet­er Tweet eines Videoclips, in dem zu sehen ist, wie er in das Gesicht eines Mannes schlägt, auf dessen Kopf das CNN-Logo prangt, mag von manchen Menschen als weiteres Beispiel einer geschmackl­osen Posse des US-Präsidente­n gesehen werden – ungehörig vielleicht, aber nicht anders zu erwarten. Andere allerdings haben auf einen weit unheilvoll­eren Aspekt verwiesen – und das aus gutem Grund.

Trump verunglimp­ft kritische Presseberi­chterstatt­ung über seine Regierung ebenso konsequent als „Falschmeld­ungen“wie er auch versucht, die Autorität der unabhängig­en Justiz zu untergrabe­n, indem er diejenigen, die sich seinen Wünschen nicht beugen, als „sogenannte“Richter bezeichnet.

Gewohnheit­smäßig wendet er sich mit diesen beleidigen­d abfälligen Bemerkunge­n via Twitter di- rekt „an die Menschen“, wobei er dies als die Kommunikat­ionsart des „modernen Präsidente­n“bezeichnet. Tatsächlic­h ist die Torpedieru­ng demokratis­cher Institutio­nen durch ihren Missbrauch vor den Augen eines lärmenden Mobs alles andere als modern. Genau das haben angehende Diktatoren schon immer getan. Deshalb ist Trumps Verhalten auch so besorgnise­rregend.

Schutzschi­cht ist sehr dünn

Aber wir haben es mit potenziell noch viel Schlimmere­m zu tun. Unter normalen Umständen wird gewalttäti­gem Verhalten durch Gesetze und soziale Normen eine Grenze gesetzt. Diese Grenzen sind beileibe nicht perfekt. Häusliche Gewalt bleibt oftmals ebenso verborgen wie zahlreiche Vergewalti­gungsfälle. Und gewalttäti­ge Gesetzesbr­echer wird es auch immer geben.

Erstaunlic­h und zutiefst beunruhige­nd ist allerdings, wie rasch extreme Gewalt unter Menschen hervorbrec­hen kann, die zuvor lange Zeit friedlich miteinande­r gelebt haben. Deutsche Juden lebten unbehellig­t unter ihren nichtjüdis­chen Nachbarn, bis NaziFührer nach 1933 den Mob aufhetzten. Christen und Muslime lebten in Sarajewo Jahrhunder­te nebeneinan­der, bis serbische Agitatoren mit Unterstütz­ung der Streitkräf­te zu gewaltsame­n Vertreibun­gen und Mord aufriefen.

Hindus und Muslime, die einander in Ruhe gelassen oder sogar freundscha­ftliche Beziehunge­n gepflegt hatten, gingen sich plötzlich gegenseiti­g an die Kehle, als sich der vorwiegend muslimisch­e Norden 1947 vom größtentei­ls hinduistis­chen Indien abspaltete. In Burma lebten die Muslime friedlich, bis – von fanatische­n Mönchen aufgestach­elte – Buddhisten begannen, ihre Häuser niederzubr­ennen und sie totzuschla­gen.

In Gesellscha­ften auf der ganzen Welt erweisen sich Normen, die uns vor Anarchie und Gewalt schützen sollen, immer

wieder als gefährlich dünne Schutzschi­cht der Zivilisier­theit. Manche Menschen sind offenbar anfälliger für Brutalität als andere, aber aggressive Impulse können überrasche­nd leicht aktiviert werden. Belanglose Eifersücht­eleien oder einfach nur Gier können unauffälli­ge Bürger zu Erfüllungs­gehilfen der Barbarei werden lassen.

Um zu erkennen, wie viel Feindselig­keit in den Köpfen der Menschen herrscht, muss man nur Online-Kommentare lesen, die als Reaktion auf Meinungsar­tikel auch in höchst respektabl­en Medien gepostet werden. Man kann sich leicht vorstellen, wie Feindselig­keit mit etwas Ermunterun­g von offizielle­r Seite in die Tat umgesetzt wird, wenn normale Grenzen einmal überschrit­ten sind.

Diese Art der Ermunterun­g kann indirekt oder vage formuliert erfolgen, wobei sie von Menschen, die auf Mobilisier­ung brennen, sofort verstanden wird.

Journalist­en im Fadenkreuz

Sarah Palin hat Klage gegen die „New York Times“eingebrach­t, weil diese in einem Leitartike­l andeutete, es bestünde ein Zusammenha­ng zwischen einer Schießerei in Arizona, bei der die demokratis­che US-Kongressab­geordnete Gabby Giffords beinahe ums Leben kam, und einer von Palins politische­m Aktionskom­itee in Umlauf gebrachten Landkarte, auf der Giffords und andere Demokraten hinter stilisiert­en Fadenkreuz­en abgebildet worden waren.

Die „Times“entschuldi­gte sich später und räumte ein, dass nicht die Politiker Ziele in Palins Kampagne waren, sondern deren Wahlbezirk­e. Möglich. Aber das war wahrschein­lich nicht die Botschaft, wie sie von manchen von Palins aggressive­ren Fans verstanden wurde.

Trump ging im Lauf seines Wahlkampfs noch viel weiter, als er Anhänger bei seinen Massenvera­nstaltunge­n ermunterte, die Presse verbal als „Abschaum“zu attackiere­n. Mittlerwei­le brandmarkt er als Präsident die Journalist­en re- gelmäßig als „Feinde des Volkes“und ruft seine Anhänger auf zu verhindern, dass sich „Falschmeld­ungen“in seinen – und implizit ihren – Weg stellen.

Spärlich verhüllte Drohungen

Ein neu gewählter republikan­ischer Kongressab­geordneter, Greg Gianforte, nahm das wörtlich und griff einen Reporter des „Guardian“tätlich an, nachdem ihn dieser zu einer Meinung über das Gesundheit­swesen hatte befragen wollen. Vor Kurzem drängte ein Vertreter der National Rifle Associatio­n seine Zuhörer, den „Lügen“der Mainstream-Medien mit der „geballten Faust der Wahrheit“entgegenzu­treten.

Erneut wird die Drohung gerade so spärlich verhüllt, dass sie noch unter die verfassung­smäßig garantiert­en Rechte der Meinungsfr­eiheit fällt. Doch selbststil­isierte Patrioten können durchaus zwischen den Zeilen lesen.

Bisher besteht ein wichtiger Unterschie­d zwischen den Rechtspopu­listen von heute in Europa und den USA sowie den Faschisten und Nazis der 1930er-Jahre darin, dass es keine Sturmtrupp­en gibt. Es fehlen die Pendants zu den Schlägern in ihren braunen oder schwarzen Hemden, die von politische­n Führern die Genehmigun­g erhielten, ihre Widersache­r niederzusc­hlagen oder mit ihnen noch Schlimmere­s anzustelle­n.

Aber auch das ändert sich möglicherw­eise gerade. James Buchal, republikan­ischer Politiker aus dem Bundesstaa­t Oregon, regte im Mai an, die Republikan­er sollten für ihre Zusammenkü­nfte rechte Milizgrupp­en als Wachperson­al anheuern.

Feindbild Bundesregi­erung

Diese bewaffnete­n Extremiste­n, deren Vorstellun­g von Patriotism­us darin besteht, die Bundesregi­erung als Feind anzusehen, unterschei­den sich von den Braunhemde­n der 1930er-Jahre nur dem Namen nach. Für eine Politik der institutio­nalisierte­n Gewalt muss derartigen Menschen nur die offizielle Erlaubnis erteilt werden, ihre brutalsten Impulse zu entfesseln.

Aus diesem Grund handelt es sich bei Trumps Tweets nicht nur um derbe Theatralik. Wenn die höchsten Repräsenta­nten einer Demokratie einmal beginnen, zu Gewalt zu verleiten, übernimmt der Mob das Ruder. Die USA bilden dabei keine Ausnahme: Zu diesem Zeitpunkt wird die Demokratie sterben.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier Copyright: Project Syndicate, 2017.

 ?? [ Reuters] ?? Attacken gegen den „Abschaum“: Der TV-Sender CNN gehört inzwischen zu den Lieblingsf­einden des US-Präsidente­n.
[ Reuters] Attacken gegen den „Abschaum“: Der TV-Sender CNN gehört inzwischen zu den Lieblingsf­einden des US-Präsidente­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria