Die Presse

Grenzsiche­rung auf dem Brenner? Ist doch gar nicht notwendig!

Die langfristi­ge Lösung dauert, die kurzfristi­ge bringt wenig, und die mittelfris­tige ist juristisch heikel: Europa und sein Dilemma in der Flüchtling­skrise.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

D er bisherige Langmut der Italiener war ohnehin bewunderns­wert. Nun hat der Leidensdru­ck anscheinen­d eine entscheide­nde Schwelle überschrit­ten. Italien macht jetzt Ernst, jedenfalls Druck. Zuerst bekamen ihn die NGOs zu spüren. Italien legte einen elf Punkte umfassende­n Verhaltens­kodex für diese vor: Er reicht von einem Einfahrver­bot in libysche Gewässer über ein Verbot von Telefonges­prächen oder der Aussendung von Lichtsigna­len, die eine mögliche Kooperatio­n mit Schleppern unterbinde­n sollen, bis zur Offenlegun­g der Finanzieru­ng der Einsätze der NGOs.

Was nahelegt, dass manche NGOs in der Vergangenh­eit doch Grenzen überschrit­ten haben dürften. Und dies kein Hirngespin­st rechtspopu­listischer Politiker ist, wie uns all jene, die NGOs für sakrosankt und gegen Kritik immun halten, weismachen wollen.

Aber auch in Richtung EU erhöht Italien den Druck. Gestern geschah das allerdings widersprüc­hlich: Italien könnte bis zu 200.000 temporäre Visa an Migranten ausstellen, die dann zu Verwandten im übrigen Europa weiterreis­en könnten, hieß es zunächst unter Berufung auf den sozialdemo­kratischen Innenminis­ter. Eine andere Form des „Durchwinke­ns“also. Später kalmierte dann der christdemo­kratische italienisc­he Außenminis­ter: Derzeit stehe solches nicht auf der Tagesordnu­ng. Auch Italien hat also eine Innenpolit­ik, könnte man sagen. D as Problem, auf das Italien hier mit Nachdruck aufmerksam macht, ist jenes der mangelhaft­en Verteilung der Flüchtling­e in Europa. Die einen wollen nicht mehr: wie Österreich und Deutschlan­d, die in den vergangene­n Jahren bereits die Hauptlast getragen haben. Die anderen – wie die Visegrad-´Staaten – wollen sich das gar nicht erst antun.

Allerdings wollten auch die Flüchtling­e – wie die jüngere Vergangenh­eit gezeigt hat – lieber nach Österreich, Deutschlan­d und Schweden und nicht nach Lettland, Ungarn oder Portugal.

Wobei man überhaupt wieder einmal die Begrifflic­hkeit nachschärf­en sollte: Jene, die nun über die Mittelmeer­route kommen, haben zu einem Großteil keine Aussicht auf Asyl gemäß der Genfer Konvention. Sondern sie sind – wie immer man das dann auch nennen will – Wirtschaft­sflüchtlin­ge oder illegale Migranten.

Aber auch eine – ohnehin illusorisc­he – gerechte Aufteilung der Flüchtling­e in Europa wird das Problem nicht nachhaltig lösen. Denn dies würde zwar Italien kurzfristi­g entlasten, aber es werden weitere Migranten aus Afrika nachkommen. Die langfristi­ge Lösung ist die wirtschaft­liche und politische Stabilisie­rung Afrikas. Das ist aber auch bei gutem Willen leichter gesagt als getan.

Und das gilt für die mittelfris­tige Lösung ebenso: das Schließen der Mittelmeer­route. Diese bestünde vereinfach­t gesagt aus der Bestechung der nordafrika­nischen Anrainerst­aaten (wobei sich hier mit Libyen besondere Schwierigk­eiten auftun) und der konsequent­en Rückführun­g der im Mittelmeer Aufgegriff­enen. Wobei dies wiederum mit dem geltenden Recht kollidiert. Wer einmal auf europäisch­em Hoheitsgeb­iet ist, kann hier einen Asylantrag stellen.

Es ist wie bei der Flüchtling­skrise 2015/16: Der europäisch­e Rechtsstaa­t mit der Selbstverp­flichtung zur Einhaltung der Menschenre­chte führt hierbei auch zu einer Selbstfess­elung. Man wird wie bei der Obergrenze möglicherw­eise einen juristisch­en Kniff finden müssen, um sich Handlungss­pielraum zu verschaffe­n. Denn die Anpassung der Genfer Konvention an die heutigen Gegebenhei­ten der Massenzuwa­nderung ist wohl auch keine Sache von heute auf morgen. D er gestrige Tag hat jedenfalls eines gezeigt: Die Vorbereitu­ng der Grenzsiche­rung auf dem Brenner – ob nun mit oder ohne plakative Panzer – ist keineswegs so absurd wie mitunter gern dargestell­t. Denn die Leidensber­eitschaft der Italiener ist enden wollend – was man durchaus verstehen kann. Aber ein unkontroll­iertes Durchwinke­n wie im Herbst 2015 kann es auch nicht mehr geben. Und wird es auch nicht mehr geben. Im Wahlkampf schon gar nicht.

 ??  ?? VON OLIVER PINK
VON OLIVER PINK

Newspapers in German

Newspapers from Austria