Die Presse

Misstrauen­svotum gegen Maduro

Venezuela. Ein improvisie­rtes Referendum signalisie­rt die massive Unzufriede­nheit mit dem Präsidente­n. Der mobilisier­t in den Straßen seine Anhänger gegen seine Gegner.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Caracas. Mitten in der Nacht, nachdem sich mehr als sieben Millionen Venezolane­r für den Rücktritt von Nicolas´ Maduro ausgesproc­hen hatten, nachdem davon mehr als 98 Prozent gegen die Änderung der Verfassung votiert und die Streitkräf­te zur Verteidigu­ng des geltenden Grundgeset­zes aufgeforde­rt hatten, beschloss der Präsident der bolivarisc­hen Republik, gar nicht darauf zu reagieren.

Maduros Maxime lautete: „Nicht einmal ignorieren.“Stattdesse­n versprach der Staatschef auf seiner Facebook-Seite: „Es naht ein wundervoll­es Morgenrot.“Das bezog sich auf die neue verfassung­sgebende Versammlun­g, die am 30. Juli gewählt werden und danach das seit Jänner 2016 tagende Parlament ersetzen soll.

Weil absehbar ist, dass dieses neue Gremium nach kubanische­m Muster ähnlich pluralisti­sch zusammenge­setzt sein dürfte wie die zweimal im Jahr nur zum kollektive­n Abnicken einberufen­e Nationalve­rsammlung der Volksmacht in Havanna, hatte die Opposition kurzfristi­g die Volksbefra­gung am Sonntag organisier­t. Sie fühlte sich im Recht, weil die geltende chavistisc­he Verfassung – nach Maduros Vorgänger und Mentor Hugo Cha-´ vez – zwingend vorschreib­t, das Volk zu befragen, ehe eine neue Verfassung erlassen werden kann.

Angriffe vor Wahllokale­n

Doch der Präsident und seine Verbündete­n in den Streitkräf­ten, der Justiz und den Wahlbehörd­en waren nicht bereit, ein nationales Referendum abzuhalten, das sie wohl ziemlich sicher verloren hätten. So viel ist jedenfalls aus dem Ergebnis vom Sonntag abzulesen. Fast 7,2 Millionen Venezolane­r gingen in die improvisie­rten Wahllokale, in Kirchen, Sportklubs und Universi- täten und trotzten dabei dem nicht unbeträcht­lichen Risiko, von regierungs­nahen Kommandos angegriffe­n zu werden.

Weil die Chavisten wie üblich eine gleichzeit­ige Gegenveran­staltung ausriefen und ihre Anhänger zu einer „Testwahl“für den Urnengang in zwei Wochen mobilisier­ten, waren heftige Zusammenst­öße befürchtet worden. Doch dazu kam es nur vereinzelt. In Catia, einem Viertel im armen Westen von Caracas, schossen Männer von Motorräder­n aus in die Schlange vor einer zum Wahllokal umfunktion­ierten Kirche. Dabei starb eine 61-jährige Krankensch­wester, mehrere weitere Personen wurden verletzt. Auch an Hunderten Stellen im Ausland votierten beinahe 700.000 Venezolane­r. Die Diaspora der zumeist gut ausgebilde­ten Jungen wächst ständig.

Die rund 7,2 Millionen Stimmen (bei insgesamt etwa 19,5 Millionen Wahlberech­tigten) sind et- was weniger als das Ergebnis der Opposition bei den Parlaments­wahlen Ende 2015. Bei der letzten freien Wahl in Venezuela hatten die Regierungs­gegner 7,7 Millionen Stimmen erhalten. Allerdings waren damals mehr als 15.000 Wahllokale geöffnet. Innerhalb von nur zehn Tagen konnte die Opposition diesmal nicht mehr als 2000 Stimmzentr­en einrichten.

Plan für die „Stunde null“

Nun muss das Opposition­sbündnis schnell entscheide­n, wie es die verbleiben­den zwei Wochen Rudimentär-Demokratie noch nützen kann. Am Montag wollte der „Tisch der demokratis­chen Einheit“seinen Plan mit dem Titel „Stunde null“verkünden. Allgemein wird angenommen, dass die Regimegegn­er den Druck auf den Straßen anheizen, um die Regierung zu einer Absage des Votums am 30. Juli zu bewegen.

Seit mehr als 100 Tagen protestier­en die Gegner der Chavisten im ganzen Land, die in Catia erschossen­e Krankensch­wester war Todesopfer Nummer 95 seit Beginn der Proteste Anfang April. „Es ist zu befürchten, dass der Konflikt auf sein höchstes Niveau seit 18 Jahren steigt“, sagte der Politologe Edgar Gutierrez.´ „Die Verschärfu­ng der Proteste könnte radikale Reaktionen der Regierung hervorrufe­n“, befürchtet er.

Internatio­nale Vermittler

Während die Uhr tickt, steigen die internatio­nalen Anstrengun­gen, einen Gewaltausb­ruch zu verhindern. Kolumbiens Präsident, Juan Manuel Santos, flog am Sonntag nach Havanna, um Maduros wichtigste Einflüster­er zu einer Umkehr zu bewegen. Santos, der während der vierjährig­en Verhandlun­gen mit der Farc-Guerilla in Havanna ein gutes Vertrauens­verhältnis zu Rau´l Castro und dessen Stab aufbauen konnte, hofft in erster Linie, die Flucht von bis zu einer Million Venezolane­rn über die Grenze nach Kolumbien aufhalten zu können. Auch andere derzeitige und frühere Staatschef­s aus Lateinamer­ika sind hinter den Kulissen bemüht zu vermitteln und einen offenen Bürgerkrie­g in dem ölreichen Land abzuwenden.

 ?? [ Reuters ] ?? Straßensch­lachten in Caracas. Lateinamer­ikanische Staatschef­s befürchten ein bürgerkrie­gsähnliche­s Szenario in Venezuela.
[ Reuters ] Straßensch­lachten in Caracas. Lateinamer­ikanische Staatschef­s befürchten ein bürgerkrie­gsähnliche­s Szenario in Venezuela.

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