Misstrauensvotum gegen Maduro
Venezuela. Ein improvisiertes Referendum signalisiert die massive Unzufriedenheit mit dem Präsidenten. Der mobilisiert in den Straßen seine Anhänger gegen seine Gegner.
Buenos Aires/Caracas. Mitten in der Nacht, nachdem sich mehr als sieben Millionen Venezolaner für den Rücktritt von Nicolas´ Maduro ausgesprochen hatten, nachdem davon mehr als 98 Prozent gegen die Änderung der Verfassung votiert und die Streitkräfte zur Verteidigung des geltenden Grundgesetzes aufgefordert hatten, beschloss der Präsident der bolivarischen Republik, gar nicht darauf zu reagieren.
Maduros Maxime lautete: „Nicht einmal ignorieren.“Stattdessen versprach der Staatschef auf seiner Facebook-Seite: „Es naht ein wundervolles Morgenrot.“Das bezog sich auf die neue verfassungsgebende Versammlung, die am 30. Juli gewählt werden und danach das seit Jänner 2016 tagende Parlament ersetzen soll.
Weil absehbar ist, dass dieses neue Gremium nach kubanischem Muster ähnlich pluralistisch zusammengesetzt sein dürfte wie die zweimal im Jahr nur zum kollektiven Abnicken einberufene Nationalversammlung der Volksmacht in Havanna, hatte die Opposition kurzfristig die Volksbefragung am Sonntag organisiert. Sie fühlte sich im Recht, weil die geltende chavistische Verfassung – nach Maduros Vorgänger und Mentor Hugo Cha-´ vez – zwingend vorschreibt, das Volk zu befragen, ehe eine neue Verfassung erlassen werden kann.
Angriffe vor Wahllokalen
Doch der Präsident und seine Verbündeten in den Streitkräften, der Justiz und den Wahlbehörden waren nicht bereit, ein nationales Referendum abzuhalten, das sie wohl ziemlich sicher verloren hätten. So viel ist jedenfalls aus dem Ergebnis vom Sonntag abzulesen. Fast 7,2 Millionen Venezolaner gingen in die improvisierten Wahllokale, in Kirchen, Sportklubs und Universi- täten und trotzten dabei dem nicht unbeträchtlichen Risiko, von regierungsnahen Kommandos angegriffen zu werden.
Weil die Chavisten wie üblich eine gleichzeitige Gegenveranstaltung ausriefen und ihre Anhänger zu einer „Testwahl“für den Urnengang in zwei Wochen mobilisierten, waren heftige Zusammenstöße befürchtet worden. Doch dazu kam es nur vereinzelt. In Catia, einem Viertel im armen Westen von Caracas, schossen Männer von Motorrädern aus in die Schlange vor einer zum Wahllokal umfunktionierten Kirche. Dabei starb eine 61-jährige Krankenschwester, mehrere weitere Personen wurden verletzt. Auch an Hunderten Stellen im Ausland votierten beinahe 700.000 Venezolaner. Die Diaspora der zumeist gut ausgebildeten Jungen wächst ständig.
Die rund 7,2 Millionen Stimmen (bei insgesamt etwa 19,5 Millionen Wahlberechtigten) sind et- was weniger als das Ergebnis der Opposition bei den Parlamentswahlen Ende 2015. Bei der letzten freien Wahl in Venezuela hatten die Regierungsgegner 7,7 Millionen Stimmen erhalten. Allerdings waren damals mehr als 15.000 Wahllokale geöffnet. Innerhalb von nur zehn Tagen konnte die Opposition diesmal nicht mehr als 2000 Stimmzentren einrichten.
Plan für die „Stunde null“
Nun muss das Oppositionsbündnis schnell entscheiden, wie es die verbleibenden zwei Wochen Rudimentär-Demokratie noch nützen kann. Am Montag wollte der „Tisch der demokratischen Einheit“seinen Plan mit dem Titel „Stunde null“verkünden. Allgemein wird angenommen, dass die Regimegegner den Druck auf den Straßen anheizen, um die Regierung zu einer Absage des Votums am 30. Juli zu bewegen.
Seit mehr als 100 Tagen protestieren die Gegner der Chavisten im ganzen Land, die in Catia erschossene Krankenschwester war Todesopfer Nummer 95 seit Beginn der Proteste Anfang April. „Es ist zu befürchten, dass der Konflikt auf sein höchstes Niveau seit 18 Jahren steigt“, sagte der Politologe Edgar Gutierrez.´ „Die Verschärfung der Proteste könnte radikale Reaktionen der Regierung hervorrufen“, befürchtet er.
Internationale Vermittler
Während die Uhr tickt, steigen die internationalen Anstrengungen, einen Gewaltausbruch zu verhindern. Kolumbiens Präsident, Juan Manuel Santos, flog am Sonntag nach Havanna, um Maduros wichtigste Einflüsterer zu einer Umkehr zu bewegen. Santos, der während der vierjährigen Verhandlungen mit der Farc-Guerilla in Havanna ein gutes Vertrauensverhältnis zu Rau´l Castro und dessen Stab aufbauen konnte, hofft in erster Linie, die Flucht von bis zu einer Million Venezolanern über die Grenze nach Kolumbien aufhalten zu können. Auch andere derzeitige und frühere Staatschefs aus Lateinamerika sind hinter den Kulissen bemüht zu vermitteln und einen offenen Bürgerkrieg in dem ölreichen Land abzuwenden.