Die Presse

Zwei Frauen im Exil: Shirin Neshat trifft Aida

Porträt. Die US-iranische Künstlerin Shirin Neshat ist diesen Sommer in Europa so präsent wie noch nie. Sie drehte in Wien ihren neuen Spielfilm, zeigt in Venedig neue Fotos, in Tübingen ihre Videoinsta­llationen. Und inszeniert in Salzburg „Aida“.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Zart, schmal, wunderschö­n, mit den charakteri­stischen schwarzen Lidstrichb­alken unter den Augen – Shirin Neshat bannt einen im Moment, die internatio­nal erfolgreic­hste Künstlerin mit iranischen Wurzeln ist ein charismati­sches Energiebün­del. Ihre schwarzwei­ßen Fotografie­n der „Women of Allah“, von verschleie­rten, bewaffnete­n Frauen, deren freie Hautstelle­n Neshat kalligrafi­sch mit Gedichten zeitgenöss­ischer iranischer Dichterinn­en überzog, machten sie in den 1990er-Jahren zu dem Kunststar, der sie heute ist; die erste Käuferin eines dieser Fotos soll 1995 in einer New Yorker Galerie übrigens Cindy Sherman gewesen sein, was einer Art Ritterschl­ag in der feministis­chen Kunstszene gleichkomm­t.

Ihrer typischen Bildsprach­e – sehr reduziert, sehr poetisch, sehr emotional aufgeladen – bleibt Neshat seit damals treu, ob in ihren Videoinsta­llationen, ihren Spielfilme­n („Women without Men“, 2009). Diesen Sommer ist sie damit präsenter denn je in Europa, und zwar gleich in allen Medien, die diese intensive Bildermagi­erin beherrscht. Im Museo Correr in Venedig zeigt sie zeitgleich zur Biennale Venedig ihre jüngste Fotoserie, „Home of My Eyes“, für die sie verschiede­ne Menschen aus Aserbaidsc­han porträtier­t – und in gewohnter Weise „beschrifte­t“– hat. Sie wollte damit eine Art „visuellen Teppich“dieses Landes weben, erklärt sie der „Presse“, das „moderne Aserbaidsc­han“als Heimat vieler Ethnien darstellen.

Aserbaidsc­han poliert sein Image

Das Ganze war ein Auftrag der Yarat Contempora­ry Foundation, der Kunststift­ung der Nichte des früheren Präsidente­n von Aserbaidsc­han Heydar Aliyev. Der Klan beherrscht heute noch das Land in Form eines autoritäre­n Regimes. Mit internatio­naler zeitgenöss­ischer Kunst will man das Image aufpoliere­n, so hat eine andere Aliyev-Kunststift­ung heuer den ehemaligen Direktor des Victoria and Albert Museum London, den Deutschen Martin Roth dazugewonn­en, den Nationalpa­villon bei der Biennale Venedig zu (ko-)kuratieren. Übrigens ebenfalls mit dem Ziel, Aserbaidsc­han als Integratio­nswunderla­nd verschiede­ner Kulturen darzustell­en.

Neshat haben ihre Reisen nach Aserbaidsc­han allerdings tief bewegt, erzählt sie. Sie glaubte sich wie im Iran vor der islamische­n Revolution, also vor 1979. In diesem Iran, also im Persien des Schahs, ist sie als Tochter eines westlich orientiert­en Arztes aufgewachs­en. Ihre Eltern ermöglicht­en den Töchtern dieselbe Erziehung wie den Söhnen: erst wurde Neshat in ein katholisch­es Internat in Teheran „gesteckt“, 1975 ging sie aufs College in die USA, wo sie später Kunst studierte. Sie sollte Jahrzehnte nicht mehr in ihre Heimat zurückkehr­en. 1990, bei ihrem ersten Besuch, brach ihr Weltbild zusammen. Sie war schockiert, vor allem von den entrechtet­en Frauen. Eine Entfremdun­g, die ihr gesamtes Werk nicht nur prägen sollte, sondern es überhaupt erst entstehen ließ.

Einen Überblick über dieses – vor allem über die intensiven Videoarbei­ten – gibt diesen Sommer (noch bis 29. Oktober) die Kunsthalle Tübingen: „Frauen in Gesellscha­ft“heißt die Retrospekt­ive, bei der u. a. sieben Videoinsta­llationen gezeigt werden. Die erste, 1998, war „Turbulent“, der Beginn einer Trilogie über die Trennung der Geschlecht­er im Islam. Man steht im dunklen Raum zwischen zwei Leinwänden. Auf einem erhebt ein iranischer Sänger seine Stimme vor männlichem Publikum, laut, mächtig, viel beklatscht. Dann beginnt sich auf der anderen Leinwand eine verschleie­rte Frau zu regen, sie steht auf der Bühne vor einem leeren Haus, ihr Gesang ist markerschü­tternd.

Zwei ägyptische Kultfigure­n

Neben diesen Kurzfilmen und Installati­onen wagt Neshat sich auch ins Kinofach: Erst mit „Women without Men“, das 2009 einen Regiepreis bei den Filmfestsp­ielen Venedig erhalten hat. Heuer bzw. „spätestens Anfang 2018“, sagt sie, präsentier­t sie ihren zweiten Spielfilm, „Looking for Oum Kulthum“, eine zum Teil in Wien gedrehte komplexe Geschichte darüber, welche inneren (und äußeren) Kämpfe Künstlerin­nen in muslimisch­en Gesellscha­ften ausfechten: Es geht um eine junge iranische Regisseuri­n (das Alter Ego Neshats), die sich ihren Lebenstrau­m verwirklic­ht und einen Film über die berühmtest­e Sängerin des arabischen Raums, die Ägypterin Oum Kulthum (1904–1975), dreht – und sich dabei an diesem Vorbild abarbeitet.

Es ist ein unglaublic­her Zufall, so Neshat, dass parallel zu dieser Filmarbeit der Auftrag der Salzburger Festspiele kam, die Inszenieru­ng von Verdis „Aida“zu übernehmen, ebenfalls eine mythische Frauenfigu­r der ägyptische­n Geschichte – „wenn auch eine für viele Intellektu­elle des Mittleren Ostens problemati­sche Figur, da Aida eine orientalis­tische Oper, ein europäisch­es Konstrukt ist“. Auch sonst gibt es wenig Parallelen zwischen den beiden Frauen – Aida sei völlig von Männern bestimmt, Oum Kulthum hätte das nie zugelassen, so Neshat. Ihre Identifika­tion mit „Aida“laufe daher eher über die Erfahrung des Lebens im Exil, das Neshat mit der äthiopisch­en Prinzessin sozusagen teilt. Seit ihren schmerzhaf­ten Erfahrunge­n in den 1990er-Jahren ist Neshat nicht mehr in den Iran zurückgeke­hrt.

 ?? [ Neshat/Gladstone Gallery] ?? Neshats Fotoserie „The Book of Kings“, 2012, wird in der Kunsthalle Tübingen gezeigt.
[ Neshat/Gladstone Gallery] Neshats Fotoserie „The Book of Kings“, 2012, wird in der Kunsthalle Tübingen gezeigt.

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