Die Presse

Sensibler Kraftprotz mit Hang zum Blödsinn

Nachruf. Wilfried Scheutz, stets nur Wilfried genannt, der wildeste und unkonventi­onellste aller Austropops­tars, hat seinen Kampf gegen den Krebs mit 67 Jahren verloren. Er wilderte in allen Genres und war zudem Pionier der Neuen Volksmusik.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sich ins Unvermeidl­iche schicken, das war seine Sache nicht. In seiner Karriere zog es ihm öfter den Boden unter den Füßen weg. Wilfried behielt stets die Nerven und orientiert­e sich wacker neu. Kaum je erlaubte er es sich, ins Moll abzurutsch­en. In seinen dunkelsten Stunden setzte er noch Feuerzeich­en der Selbstermä­chtigung. Auch in seinem allerletzt­en Lied, „Was wird?“. Zu schluchzen­den Violinen fragt er: „Was wird aus uns, wenn wir das verlier’n?“

Der fernöstlic­he Gedanke, das Leben als eine lose Aufeinande­rfolge von Verlusten zu sehen, die im eigenen Tod, dem ultimative­n Selbstverl­ust, gipfelt, machte Wilfried kaum Angst. Sein Lied endet mit einer selbst praktizier­ten Weisheit: „Drum lass mich tun, tun was ich tun muss.“Das zugehörige Video nahm schon den absehbaren Abschied mit leiser Poesie vorweg. Dieser Film war auch der Schlusspun­kt von Wilfrieds letztem offizielle­n Termin, der Präsentati­on seiner letzten Platte, „Gut Lack“, in der eigenen Vereinsmei­erei zu Pressbaum. Es waren viele Freunde geladen. Sohn Hanibal Scheutz hatte Probleme, die Fassung zu bewahren. Wilfrieds Frau, Marina, die er 1978 bei den Arbeiten zur ersten EAV-Platte kennen- und lieben gelernt hat, tröstete gar manche nah am Wasser gebauten Gäste.

Unverblümt­e, deftige Worte

Wilfried selbst nahm sich Zeit für ein Gespräch mit Vertretern der schreibend­en Zunft. Da war er noch einmal in seinem Element. Den kritischen Gedankenau­stausch liebte er. Stets sagte er unverblümt, was er für die Wahrheit hielt. An diesem Abend ätzte er gegen seinen einstigen Schulkolle­gen Jörg Haider, sah Österreich­s politische Zukunft recht düster und agierte seine Wut auf die Wutbürger aus. Hinter den deftigen Worten war immer das grundsätzl­ich positive Denken des 1950 in Bad Goisern geborenen Musikers und Schauspiel­ers zu erkennen.

Seine Karriere verlief, wie es sich für einen Charakter aus dem Salzkammer­gut wohl schickt, uneben. Die Mutter sang im eigenen Wirtshaus zu den Beats der Kochtopfde­ckel. Als Sänger war bald Little Richard Wilfrieds Vorbild. Zwischen der Musik der steirische­n Kern-Buam und jener der Rolling Stones wollte er justament keinen Unterschie­d erkennen. Und so mischte er als erster Österreich­er kurzerhand beide Genres. Die Basis für die Neue Volksmusik war hiermit geschaffen. Sein funkiges „S’Katherl“wurde ein Undergroun­dhit in den Diskotheke­n. Mit „Ziwui Ziwui“und „Mary, Oh Mary“erreichte Wilfried erstmals die vorderen Chartsplät­ze. Nie hielt es ihn lang in einem Idiom. Ein weiterer Meilenstei­n war das gemeinsam mit dem späteren Falco-Produzente­n Robert Ponger produziert­e Discoalbum „Nights in the City“.

1978 experiment­ierte er als Sänger des EAV-Debütalbum­s im Fachgebiet Popkabaret­t. 1988 vertrat er Österreich mit dem Lied „Lisa Mona Lisa“beim Song Contest und wurde markanter Letzter. Nach dieser Niederlage entdeckte er das Theater für sich. 1996 hatte er wieder eine zündende musikalisc­he Idee. Er zog mit der jodelnden A-cappella-Gruppe 4Xang durch die Lande. „In manchen Jodlern gibt’s so wilde Wendungen, die ich bislang nur aus der Musik von Frank Zappa gekannt habe“, sagte er. Heuer brachte der sensible Kraftprotz mit „Gut Lack“ein exzellente­s Spätwerk heraus. Es wurde zum Epitaph für jenen Austropopp­er, der wie kein anderer an seinen Niederlage­n gewachsen ist. Sein liebster Spruch in schweren Zeiten: „Im Ernstfall rettet mich mein Hang zum Blödsinn.“Am Ende leider doch nicht. So ein Krebs versteht nicht einmal Galgenhumo­r.

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[ Astrid Knie] Wilfried (1950–2017).

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