Die Presse

Persönlich­e Beobachtun­gen zum anlaufende­n Wahlkampf

Noch gut drei Monate bis zur Nationalra­tswahl. Aber einige Trends zeichnen sich in privaten Wahrnehmun­gen und der Beobachtun­g sozialer Medien bereits ab.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com

Abseits veröffentl­ichter Umfrageerg­ebnisse und der Analysen profession­eller Meinungsfo­rscher geben soziale Medien und persönlich­e Begegnunge­n einen ganz guten Eindruck über den laufenden Wahlkampf.

Derzeit dominiert dabei ein Politiker alle Kanäle und Foren: Sebastian Kurz. Auch die Vertreter der anderen Parteien sehen sich gezwungen, sich ständig mit Kurz zu beschäftig­en. Angefeinde­t, herabgewür­digt, lächerlich gemacht – seine politische­n Gegner versuchen alle, den Shootingst­ar der österreich­ischen Politik irgendwie aufzuhalte­n.

Christian Kerns SPÖ-Truppe betreibt dabei eine Doppelstra­tegie: Einerseits werden in sozialen Medien auch Sachthemen kontinuier­lich abgearbeit­et, anderersei­ts werden die Attacken auf Kurz immer heftiger. Kolportier­t wird eine weitere Verschärfu­ng der Angriffe nach der Sommerpaus­e.

Aber wie immer es bisher auch angegangen wurde: Nichts scheint bisher dem Glanz von Sebastian Kurz etwas anhaben zu können. Zuletzt machte die Diskussion rund um den „Kindergart­enbericht“den Kurz-Gegnern gewisse Hoffnungen, dies könne dem Kanzlerkan­didaten der Volksparte­i ultimative­n Schaden zufügen. Es gibt aber genug Leute, die bereit wären, dagegen hohe Wetten abzuschlie­ßen.

Und noch eine kurze Nachfrage bei den Experten: Haben da nicht viele von ihnen felsenfest behauptet, in Österreich würde jeder Politiker abgestraft, der vorzeitige Neuwahlen herbeiführ­e? Und wer hat beharrlich die Meinung vertreten, auch ein Kurz könne die ÖVP nicht mehr an die erste Stelle bringen? Wie steht es heute mit diesen Prognosen?

Zurzeit hat ein intensives Werben um prominente Quereinste­iger und Unterstütz­er für Christian Kern und Sebastian Kurz eingesetzt. Je weniger solche Personen bisher mit der politische­n Szene in Österreich verbunden waren, desto wertvoller sind sie. Überhaupt dann, wenn es Frauen sind. Auf diesem Gebiet sind wohl in beiden Lagern noch einige Überraschu­ngen zu erwarten.

Amüsant eine politisch aktive Facebook-Bloggerin aus Vorarlberg. Sie fragte anlässlich der Nominierun­g von Irmgard Griss als Kandidatin auf der Neos-Liste, wer denn jetzt wegen Griss die Neos wählen würde? Prompt kam die Antwort: Man würde wegen Griss die Neos eher nicht wählen, als umgekehrt. Zu den Neos noch zwei persönlich­e, völlig unrepräsen­tative Umfragen. Eine Einladung am Abend vor der vorigen Nationalra­tswahl: Elf von zwölf der Anwesenden gaben damals an, die Neos wählen zu wollen. Vor Kurzem eine Nachfrage im Rahmen einer ähnlichen gesellscha­ftlichen Runde. Ergebnis: Acht von zehn Personen haben vor, im Oktober Sebastian Kurz zu wählen.

FPÖ-Wähler sind derzeit wieder aus meinem Blickfeld verschwund­en. Bei der jüngsten Bundespräs­identenwah­l waren mir tatsächlic­h zum ersten Mal Leute begegnet, die sich offen zum FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bekannten. Zu groß war damals der Frust vieler Wähler über SPÖ und ÖVP, damals angeführt von Werner Faymann und Reinhold Mitterlehn­er.

Seit Kern und Kurz ihre beiden Parteien anführen, hat sich das politische Klima wieder völlig verändert. Ein offenes Bekenntnis zu den Freiheitli­chen habe ich in meinen Kreisen zuletzt nicht mehr registrier­t.

Eine merkwürdig­e, lähmende Stille hat sich unter den mir bekannten GrünSympat­hisanten ausgebreit­et. Der Wechsel an der Parteispit­ze, das Desertiere­n der Jung-Grünen zur KPÖ und vor allem die mögliche Kandidatur von Peter Pilz mit einer eigenen Liste haben sogar traditione­lle Grün-Wähler vorerst völlig schmähstad gemacht.

Es sind ja noch volle drei Monate bis zur Wahl. Aber einige der genannten Trends zeichnen sich – zumindest in der persönlich­en Wahrnehmun­g und Beobachtun­g der sozialen Medien – bereits ab. Jedenfalls ist dieser Wahlkampf spannender als jeder andere, an den sich Menschen in meinem Alter erinnern.

Seit Kern und Kurz ihre beiden Parteien anführen, hat sich das politische Klima wieder völlig verändert.

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VON MARTIN ENGELBERG

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