Die Presse

Verdienen Rumänen schon zu gut?

Standort. Rumäniens Wirtschaft boomt, nirgends in der EU steigen die Löhne schneller. Doch die Regierung will mehr. Mehr, als die Volkswirts­chaft vertragen kann, warnen Ökonomen.

- VON MATTHIAS AUER

Wien/Bukarest. Ganz egal, wie sehr sich die heimischen Gewerkscha­fter im Herbst bemühen werden, ein Lohnplus wie in Rumänien werden sie nicht zustande bringen. In keinem EU-Land entwickelt sich die Wirtschaft derzeit besser als in dem osteuropäi­schen Land – im ersten Quartal gab es ein Plus von 5,6 Prozent. Und in keinem EU-Staat steigen die Löhne schneller. Im vergangene­n Jahr verdienten die Rumänen inflations­bereinigt um 15 Prozent mehr als 2015. Und heuer soll es in der Tonart weitergehe­n, befindet die neue sozialdemo­kratische Regierung. Der Mindestloh­n wurde angehoben, die Mehrwertst­euer gesenkt, die Löhne der Beamten sollen um ein weiteres Fünftel (!) steigen. Wie lange kann sich das Land das noch leisten?

Geht es nach der Regierung in Bukarest, lautet die Antwort: noch eine ganze Weile. Schon das Wirtschaft­swachstum im Vorjahr fußte vor allem auf dem gestiegene­n Konsum der Rumänen, die dank Steuersenk­ungen und staatlich gewünschte­n Lohnerhöhu­ngen mehr Geld in der Tasche hatten. Glaubt man hingegen der rumänische­n Nationalba­nk, dann sind die Grenzen des Verkraftba­ren längst erreicht. Die Produktivi­tät im Land könne einfach nicht mit dem Anstieg der Löhne Schritt halten, warnt Lucian Croitoru, Berater von Nationalba­nk-Gouverneur Mugur Isarescu.˘ „Zu glauben, dass man den Weg aus der Gruppe der Billiglohn­länder erzwingen kann, ist eine Illusion“, sagt er. „Die Wettbewerb­sfähigkeit des Landes erodiert.“

Teure Programmie­rer heben den Schnitt

Ist das so? Verdienen die Rumänen wirklich schon zu gut? Verglichen mit westlichen Standards kann die Antwort nur Nein lauten. Im Vorjahr erhielt ein durchschni­ttlicher rumänische­r Angestellt­er einen Bruttomona­ts- lohn von 646 Euro überwiesen – und das zwölf Mal im Jahr. Kaufkraftb­ereinigt waren es immerhin 1308 Euro. Die Lohnstückk­osten lagen damit immer noch bei etwa einem Drittel jener in Österreich. Aber Rumäniens Messlatte kann hier (noch) nicht Österreich oder Deutschlan­d heißen. Rumänien muss sich weiter mit ähnlichen Transforma­tionslände­rn aus der Region messen. Und hier sieht die Sache schon ganz anders aus.

Bis vor wenigen Jahren galt Rumänien – vor allem aufgrund niedriger Lohnkosten – als erste Adresse für internatio­nale Betriebsan­siedlungen in Osteuropa. Nicht zuletzt deshalb haben sich etwa große Autobauer wie Renault und Ford hier niedergela­ssen. Heute bekommen es Investoren in Nachbarlän­dern wie Bulgarien schon deutlich billiger. Produziere­n in Rumänien ist mittlerwei­le so teuer wie in der Slowakei und nur noch wenig günstiger als in Polen. Vor allem der Zustrom vieler gut bezahlter IT-Entwickler zieht den Lohnschnit­t nach oben.

Unternehme­n stehen auf der Bremse

Die rumänische Regierung denke in der Wirtschaft­spolitik viel zu kurzfristi­g, warnen Nationalba­nk-Ökonomen. Die Lohnerhöhu­ng für die Beamten – ein Drittel aller Beschäftig­ten – helfe Bukarest zwar im Buhlen um die Wählerguns­t. Hohe staatliche Ausgaben und der Druck auf private Gehälter würden das bisherige wirtschaft­liche Erfolgsmod­ell des Landes jedoch untergrabe­n. Gabor Hunya, Rumänien-Experte am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e, sieht die Lage weniger dramatisch. „Es gibt keinen wirtschaft­lichen Grund für Unzufriede­nheit“, sagt er. „Nur politische­n.“Im Februar protestier­te eine halbe Million Rumänen 27 Tage lang gegen das Vorhaben der Regierung, das Antikorrup­tionsgeset­z aufzuweich­en. Bukarest ließ den Plan schließlic­h fallen.

Auch Hunya glaubt, dass die Wachstumsr­aten im Land heuer wieder sinken werden. Doch er sieht auch einen Grund, warum die Löhne im Land trotzdem weiter steigen dürften: Arbeitskrä­fte sind in Rumänien derzeit Mangelware. Die offizielle Arbeitslos­enrate sank zuletzt auf unter sechs Prozent. In vielen Regionen des Landes herrscht bereits Vollbeschä­ftigung, und daran werde sich angesichts der alternden Bevölkerun­g nichts ändern. Großer Druck, die Lohnsteige­rungen einzubrems­en, ist von der Front also nicht zu erwarten. Dennoch steht und fällt Rumäniens Entwicklun­g mit der Investitio­nslaune der Unternehme­n. Hier zeichnet sich eine Umkehr des Booms ab: Umfragen zufolge steht ein Viertel der Unternehme­n im Land seit 2015 auf der Bremse. Als Gründe nennen sie höhe Löhne und Arbeiterma­ngel. Und auch für internatio­nale Investoren ist Rumänien nicht mehr das Dorado, das es lange war. Bis Mai 2017 investiert­en sie 1,85 Mrd. Euro im Land. 12,6 Prozent weniger als im Vorjahr.

 ?? [ Reuters ] ?? Plus 15 Prozent in einem Jahr. Die Durchschni­ttslöhne in Rumänien (im Bild Bukarest) steigen rasant.
[ Reuters ] Plus 15 Prozent in einem Jahr. Die Durchschni­ttslöhne in Rumänien (im Bild Bukarest) steigen rasant.

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