Mozart und der Mann im Autobus
Interview. Teodor Currentzis dirigiert in Salzburg Mozarts Requiem und „La Clemenza di Tito“. Die „Presse“sprach mit ihm über Mozarts Unbewusstes – und testete die Parfums, die der Dirigent nebenbei kreiert.
An der Oper in der russischen Millionenstadt Perm hat sich der griechische Dirigent Teodor Currentzis ein Biotop geschaffen, um das ihn viele seiner Kollegen beneiden: ausreichende finanzielle Mittel, sein auf ihn eingeschworenes Originalklangensemble MusicAeterna, nahezu unbegrenzte Probezeiten . . . Über die Grenzen Russland hinaus bekannt geworden ist er durch seine (vom designierten Staatsoperndirektor Bogdan Rosˇciˇc´ produzierten) CDEinspielungen der drei Mozartschen DaPonte-Opern. Teile der internationalen Musikkritik schwärmten: „frei“, „unverbraucht“, „radikal“, „schlüssig“, „der erotischste Mozart, den es je gab“, „ein Don Giovanni für die Ewigkeit“etc.
Insofern war es nur naheliegend, dass ihn Markus Hinterhäuser damit beauftragte, für das erste Jahr seiner Intendanz Mozarts „La Clemenza di Tito“zu dirigieren – in der Regie von Peter Sellars.
„Salzburg ist vollständig anders“
Currentzis und Salzburg: wie geht das zusammen? Schließlich hat der Marilyn Manson unter den Maestri in Perm zusätzlich zu seiner regulären Operntätigkeit ja auch das „Diaghilev-Festival“installiert. Eine ziemlich abgefahrene Veranstaltung, bei der die Zuschauer angehalten werden, auf Schlaf zu verzichten und sich Konzerte um halb vier Uhr früh anzuhören – und das dann auch noch manchmal in absoluter Dunkelheit . . .
„Ja, da haben Sie recht! Salzburg ist ein vollständig anderes Festival, vielleicht sogar das Gegenteil von unserem“, lacht der für seine 45 Jahre extrem jugendlich wirkende Currentzis: „Aber wenn ich darum gebeten werde, habe ich die Verpflichtung, unsere Ideen auch mit einem anderen, einem größeren Publikum zu teilen . . .“
Wir trafen den „Grenzgänger“, das „Genie“, wie ihn manche nennen, in Perm, im Anschluss an eine hochinteressante, von ihm geleitete Masterclass. Am Vortag hatte er noch sein neuestes Parfum präsentiert. Richtig gelesen: Currentzis kreiert ab und zu auch olfaktorische Schöpfungen. Seine erste hieß „Ear“(Frühling) und wies laut Beschreibungen folgende Eigenschaften auf: grenzenlos, wild und opulent mit den Noten kalte Luft, Ozon, Tränen, Regen, Myrrhe, Iris, Cannabis und Rhabarber . . . Nachprü- fen lässt sich das nicht mehr, da das Produkt bereits ausverkauft ist.
Die neueste Kreation nennt sich „ Qeroj“(Sommer), ist für den Bagatellbetrag von 390 Euro noch zu erwerben und wird wie folgt angepriesen: ein Parfum für einen speziellen Abend, dunkel, aber positiv, theatralisch, vibrierend, enigmatisch, aber begehrenswert, leidenschaftlich, mit den Noten sonnenerwärmter Strand, überhitzte Luft, brennender Stein, nasse Haut, Meersalz, heiße Schokolade, Nachgeschmack von Lippenstift . . . Wir haben in einer Testreihe je zehn Männer und Frauen am „Sommer“(das als Unisex-Parfum bezeichnet wird) riechen lassen. Ergebnis: Junge Frauen rümpften die Nase und reagierten eher mit Ablehnung; ältere, noch dazu mit Musikologie verbundene Männer hingegen mit Wohlgefallen.
„Clemenza“mit Teilen der Messen
Jetzt aber zurück zur Musik. Wie legen er und Regisseur Sellars Mozarts „Clemenza“in Salzburg an? „Unser Ziel ist es, die spirituelle und nicht die illustrative Seite des Dramas zu zeigen“, sagt Currentzis: „Deswegen werden wir auch Teile seiner Messen einfügen. Denn wenn Sie anfangen, das Werk zu studieren, merken Sie gleich, dass Mozart sagt: Ich kann nicht mehr eine Oper wie ,Don Giovanni‘ schreiben. Ich habe nicht mehr die Zeit, die Kraft und die Inspiration, um etwas von dieser Qualität zu komponieren. Aber die Musik ist sehr autobiografisch. Man fühlt ununterbrochen: Das sind seine letzten Seiten, das ist sein letztes Jahr, das ist sein allerletztes Jahr. Und er weiß, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Und ohne dass er es eigentlich will, spricht er über die wichtigsten Dinge des Lebens. Nicht einmal in ,Don Giovanni‘ spricht er über diese Dinge. Hier aber schon, und sie sind wahnsinnig aktuell.“
Was meint Currentzis damit? „Wir leben in einer seltsamen und verrückten Welt. Wir erschaffen selbst den Feind, die Waffen, die Katastrophe und den Tod. Aber wenn wir dann selbst Opfer werden, legen wir plötzlich Blumen, Fotos und Kerzen am Ort der Katastrophe nieder. Mozart jedoch schreibt ,non piu` di fiori‘ (keine Blumen mehr). Das ist eben das Unbewusste, das tiefe Unbewusste des genialsten Musikers aller Zeiten. Es ist, wie wenn man in einen Bus steigt, und ein Unbekannter erzählt einem in einem Gespräch vom fünf Minuten plötzlich die allerwichtigsten Geheimnisse des Lebens. Mozart ist wie dieser Mann im Autobus. Mozart kann so etwas.“
Requiem: Version von Franz Süßmayr
Currentzis wird in Salzburg auch noch das Requiem dirigieren. Welche Version hat er gewählt? „Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen: die Süßmayr’sche! Ich bin eben altmodisch“, antwortet Currentzis und lacht: „Ich habe schon alle Versionen des Requiems dirigiert, ich habe sogar neue Fassungen in Auftrag gegeben. Aber am Ende des Tages ist die Süßmayr’sche Vollendung doch die beste. Denn alles, was zur selben Zeit bei und um Mozart lebt, wird letztlich auf geheimnisvolle Weise zu und von Mozart. Und somit auch das Benedictus und das Lacrimosa.“