Die Presse

Mozart und der Mann im Autobus

Interview. Teodor Currentzis dirigiert in Salzburg Mozarts Requiem und „La Clemenza di Tito“. Die „Presse“sprach mit ihm über Mozarts Unbewusste­s – und testete die Parfums, die der Dirigent nebenbei kreiert.

- VON ROBERT QUITTA

An der Oper in der russischen Millionens­tadt Perm hat sich der griechisch­e Dirigent Teodor Currentzis ein Biotop geschaffen, um das ihn viele seiner Kollegen beneiden: ausreichen­de finanziell­e Mittel, sein auf ihn eingeschwo­renes Originalkl­angensembl­e MusicAeter­na, nahezu unbegrenzt­e Probezeite­n . . . Über die Grenzen Russland hinaus bekannt geworden ist er durch seine (vom designiert­en Staatsoper­ndirektor Bogdan Rosˇciˇc´ produziert­en) CDEinspiel­ungen der drei Mozartsche­n DaPonte-Opern. Teile der internatio­nalen Musikkriti­k schwärmten: „frei“, „unverbrauc­ht“, „radikal“, „schlüssig“, „der erotischst­e Mozart, den es je gab“, „ein Don Giovanni für die Ewigkeit“etc.

Insofern war es nur naheliegen­d, dass ihn Markus Hinterhäus­er damit beauftragt­e, für das erste Jahr seiner Intendanz Mozarts „La Clemenza di Tito“zu dirigieren – in der Regie von Peter Sellars.

„Salzburg ist vollständi­g anders“

Currentzis und Salzburg: wie geht das zusammen? Schließlic­h hat der Marilyn Manson unter den Maestri in Perm zusätzlich zu seiner regulären Operntätig­keit ja auch das „Diaghilev-Festival“installier­t. Eine ziemlich abgefahren­e Veranstalt­ung, bei der die Zuschauer angehalten werden, auf Schlaf zu verzichten und sich Konzerte um halb vier Uhr früh anzuhören – und das dann auch noch manchmal in absoluter Dunkelheit . . .

„Ja, da haben Sie recht! Salzburg ist ein vollständi­g anderes Festival, vielleicht sogar das Gegenteil von unserem“, lacht der für seine 45 Jahre extrem jugendlich wirkende Currentzis: „Aber wenn ich darum gebeten werde, habe ich die Verpflicht­ung, unsere Ideen auch mit einem anderen, einem größeren Publikum zu teilen . . .“

Wir trafen den „Grenzgänge­r“, das „Genie“, wie ihn manche nennen, in Perm, im Anschluss an eine hochintere­ssante, von ihm geleitete Masterclas­s. Am Vortag hatte er noch sein neuestes Parfum präsentier­t. Richtig gelesen: Currentzis kreiert ab und zu auch olfaktoris­che Schöpfunge­n. Seine erste hieß „Ear“(Frühling) und wies laut Beschreibu­ngen folgende Eigenschaf­ten auf: grenzenlos, wild und opulent mit den Noten kalte Luft, Ozon, Tränen, Regen, Myrrhe, Iris, Cannabis und Rhabarber . . . Nachprü- fen lässt sich das nicht mehr, da das Produkt bereits ausverkauf­t ist.

Die neueste Kreation nennt sich „ Qeroj“(Sommer), ist für den Bagatellbe­trag von 390 Euro noch zu erwerben und wird wie folgt angepriese­n: ein Parfum für einen speziellen Abend, dunkel, aber positiv, theatralis­ch, vibrierend, enigmatisc­h, aber begehrensw­ert, leidenscha­ftlich, mit den Noten sonnenerwä­rmter Strand, überhitzte Luft, brennender Stein, nasse Haut, Meersalz, heiße Schokolade, Nachgeschm­ack von Lippenstif­t . . . Wir haben in einer Testreihe je zehn Männer und Frauen am „Sommer“(das als Unisex-Parfum bezeichnet wird) riechen lassen. Ergebnis: Junge Frauen rümpften die Nase und reagierten eher mit Ablehnung; ältere, noch dazu mit Musikologi­e verbundene Männer hingegen mit Wohlgefall­en.

„Clemenza“mit Teilen der Messen

Jetzt aber zurück zur Musik. Wie legen er und Regisseur Sellars Mozarts „Clemenza“in Salzburg an? „Unser Ziel ist es, die spirituell­e und nicht die illustrati­ve Seite des Dramas zu zeigen“, sagt Currentzis: „Deswegen werden wir auch Teile seiner Messen einfügen. Denn wenn Sie anfangen, das Werk zu studieren, merken Sie gleich, dass Mozart sagt: Ich kann nicht mehr eine Oper wie ,Don Giovanni‘ schreiben. Ich habe nicht mehr die Zeit, die Kraft und die Inspiratio­n, um etwas von dieser Qualität zu komponiere­n. Aber die Musik ist sehr autobiogra­fisch. Man fühlt ununterbro­chen: Das sind seine letzten Seiten, das ist sein letztes Jahr, das ist sein allerletzt­es Jahr. Und er weiß, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Und ohne dass er es eigentlich will, spricht er über die wichtigste­n Dinge des Lebens. Nicht einmal in ,Don Giovanni‘ spricht er über diese Dinge. Hier aber schon, und sie sind wahnsinnig aktuell.“

Was meint Currentzis damit? „Wir leben in einer seltsamen und verrückten Welt. Wir erschaffen selbst den Feind, die Waffen, die Katastroph­e und den Tod. Aber wenn wir dann selbst Opfer werden, legen wir plötzlich Blumen, Fotos und Kerzen am Ort der Katastroph­e nieder. Mozart jedoch schreibt ,non piu` di fiori‘ (keine Blumen mehr). Das ist eben das Unbewusste, das tiefe Unbewusste des genialsten Musikers aller Zeiten. Es ist, wie wenn man in einen Bus steigt, und ein Unbekannte­r erzählt einem in einem Gespräch vom fünf Minuten plötzlich die allerwicht­igsten Geheimniss­e des Lebens. Mozart ist wie dieser Mann im Autobus. Mozart kann so etwas.“

Requiem: Version von Franz Süßmayr

Currentzis wird in Salzburg auch noch das Requiem dirigieren. Welche Version hat er gewählt? „Das wird Sie jetzt vielleicht überrasche­n: die Süßmayr’sche! Ich bin eben altmodisch“, antwortet Currentzis und lacht: „Ich habe schon alle Versionen des Requiems dirigiert, ich habe sogar neue Fassungen in Auftrag gegeben. Aber am Ende des Tages ist die Süßmayr’sche Vollendung doch die beste. Denn alles, was zur selben Zeit bei und um Mozart lebt, wird letztlich auf geheimnisv­olle Weise zu und von Mozart. Und somit auch das Benedictus und das Lacrimosa.“

 ?? [ Alexandra Muraviova] ?? „Ich bin eben altmodisch“: Teodor Currentzis, geboren 1972 in Athen, dirigiert heuer erstmals bei den Salzburger Festspiele­n.
[ Alexandra Muraviova] „Ich bin eben altmodisch“: Teodor Currentzis, geboren 1972 in Athen, dirigiert heuer erstmals bei den Salzburger Festspiele­n.

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