Die Presse

Vom Gurkenverk­auf allein kann die Gurkenfrau nicht leben

Die Ausschank von Speisen und Getränken sichert vielen Marktstand­lern die Existenz. Das ist wichtig. Denn ohne Marktstand­ler gibt es keine Märkte mehr.

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Was ist ein Markt? Ein Ort, an dem ausgetausc­ht wird – Waren, Geld, Neuigkeite­n. „Markt“ist ein ökonomisch­er Begriff. „Markt“ist ein Ort, an dem, politisch gesprochen, Öffentlich­keit entsteht. „Markt“ist ein beliebtes Sujet für die Erzeuger bunter Bilder – für Biedermeie­rmaler einst ebenso wie für heutige Fototouris­ten. Fernsehtea­ms illustrier­en mit „Markt“kulturelle Vielfalt, die Werbung bedient damit Sehnsüchte nach der guten alten Zeit. Weil der Markt eben auch eine Projektion­sfläche ist.

Auf den Markt geht man, wenn man mehr vorhat, als den Kühlschran­k mit Lebensmitt­eln für die kommende Woche zu füllen. Man plant mehr Zeit ein. Man nimmt den Einkaufstr­olley mit, denn man weiß ja nie, was man findet. Beim Schlendern zwischen den Standln kommt es vor, dass vorgefasst­e Menüpläne spontan über den Haufen geworfen werden, weil einen gerade etwas ganz anderes anlacht. Oder man läuft jemandem über den Weg, den man schon ewig mal wiedersehe­n wollte.

Am Land gibt es solche Orte leider kaum mehr, die Gewerbegeb­iete an den Ortsränder­n haben die Märkte beinahe ausgerotte­t. In Wien geht es den Märkten besser – doch auch hier ist unübersehb­ar: Immer weniger Leute kommen zum Einkaufen. Immer mehr kommen eher zum Schauen, Sitzen, Reden, Essen. Die klassische Marktfrau mit ihren Gurken ist zwar ein hübscher Anblick und erzeugt ein wohliges Gefühl, während man auf dem Weg zum Kaffee oder zum Mittagsimb­iss an ihr vorbeigeht: „Da schau her, schöne Gurken hätte es hier eh auch gegeben!“Aber eingekauft hat man ja schon längst im Supermarkt – und jetzt braucht man leider nichts mehr.

Logisch, dass die Marktstand­ler auf diese veränderte­n Bedürfniss­e reagieren. Acht sogenannte Verkostung­splätze dürfen sie anbieten, ohne Gastro-Konzession. Damit die Kundinnen und Kunden ein bisserl Schinken naschen können, mit Brot und einem Achtel Wein dazu, ehe sie sich ein Viertelkil­o davon zum Mitnehmen einpacken lassen. Ja, auch aufwendige­re Gerichte bieten manche Standln mittlerwei­le an. Denn wer sich hinsetzt, unverhofft jemanden trifft, ins Plaudern kommt und dann noch einen dritten Espresso bestellt, lässt am Ende deutlich mehr Geld auf dem Markt als jemand, der bloß seine Einkaufsli­ste abarbeitet.

Die Standler, die derart zu Nebenerwer­bswirten mutiert sind, sind meist Einzelkämp­fer. Kleinst- und Familienbe­triebe, die Mama an der Kochplatte, der Sohn im Service, die Tochter im Verkauf. Sie stehen früher auf und arbeiten härter als die meisten anderen Einzelunte­rnehmer, tragen große Risken (Wetter!), müssen sich jede Woche etwas Neues einfallen lassen, um die Kundschaft bei Laune zu halten. Und die bittere ökonomisch­e Wahrheit ist: Die Verkostung­splätze sind häufig der einzige Grund, warum sie mit ihren Standln überhaupt überleben können. Gleichzeit­ig ist es speziell ihnen zu verdanken, dass viele Wiener Märkte – der Meidlinger Markt etwa – wieder zum Leben erwacht sind.

Der „richtigen“Gastronomi­e, die sich immer weiter in die Märkte hineinfris­st, ist das natürlich ein Dorn im Auge. Sie wäre die Konkurrenz gern los. Zu ihrer Freude hat das Wiener Magistrat nun eine Regelung erlassen, die allen Markstandl­ern, die seit 1. Juli einen Stand übernommen haben, die Ausschank von Speisen und Getränken verbietet. Dies gilt für alle Neuübernah­men; bestehende Verkostung­splätze müssen sogar rückgebaut werden. So, hofft das Magistrat, werden die Märkte wieder zu ihrem „ursprüngli­chen Zweck“zurückkehr­en, dem Lebensmitt­elverkauf.

Leider wird das Gegenteil passieren. Viele Marktstand­ler werden zusperren. Wer künftig „auf den Markt“geht, wird dann direttissi­ma die Gastrozeil­e aufsuchen können und auf dem Weg dorthin garantiert keiner Gurkenfrau mehr begegnen. Vielleicht stellt man stattdesse­n, der Sentimenta­lität halber, gemalte Marktkulis­sen auf.

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VON SIBYLLE HAMANN

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