Die Presse

U-Haft für deutschen Aktivisten erhöht Spannungen mit Ankara

Deutschlan­d/Türkei. Der türkische Botschafte­r wurde ins Außenamt in Berlin zitiert. Für Deutschlan­d sind die Anschuldig­ungen der türkischen Behörden gegen den verhaftete­n deutschen Menschenre­chtler Steudtner an den Haaren herbeigezo­gen. Ihm wird „Terrorun

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. Außenminis­ter Sigmar Gabriel hat wegen der Causa seinen Urlaub unterbroch­en und ist nach Berlin geeilt. Zuvor hatte das Auswärtige Amt den türkischen Botschafte­r ins Ministeriu­m zitiert. Deutschlan­d protestier­t dagegen, dass gegen den deutschen Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner in Istanbul die Untersuchu­ngshaft verhängt worden ist. Das Auswärtige Amt fordert die sofortige Freilassun­g Steudtners, Die türkischen Behörden werfen ihm und fünf anderen Aktivisten, darunter auch einem Schweden, Terrorunte­rstützung vor. Für Berlin sind die Vorwürfe „an den Haaren herbeigezo­gen“, das habe man dem Botschafte­r „klipp und klar“gesagt.

Die Begründung für die Haftbefehl­e gegen Steudtner und seinen Kollegen scheint sogar für die türkische Justiz dünn: Eine sprachwiss­enschaftli­che Karte Asiens, Unterstütz­ung für Hungerstre­ikende, Unterstütz­ung einer Terrororga­nisation in Haft – doch welche Organisati­on das sein soll, können weder Staatsanwa­lt noch Richter sagen, wie Regierungs­gegner in der Türkei kritisiere­n. Dahinter stecke ein Generalver­dacht gegen Menschenre­chtler, deren Arbeit grundsätzl­ich als staatsfein­dlich gesehen werde.

„Von Geheimdien­sten gesteuert“

Die Chancen auf Freilassun­g der Menschenre­chtler rund um Steudtner, die Anfang Juli bei einem Seminar auf der Insel Büyükada bei Istanbul von der Polizei abgeholt worden waren, standen spätestens nach einer Äußerung von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan˘ schlecht: Er hatte beim G20-Gipfel in Hamburg gesagt, die Gruppe habe einen neuen Staatsstre­ich vorbereite­n wollen. Erdogan-˘treue Medien meldeten, der neue Aufstand habe am 24. Juli beginnen sollen. An diesem Tag wird der Prozess gegen namhafte Journalist­en der regierungs­kritischen Zeitung „Cumhuriyet“eröffnet.

Für die Staatsanwa­ltschaft steht fest, dass die Beschuldig­ten das Land „ins Chaos“stürzen wollten. Bei dem Seminar auf Büyükada ging es unter anderem darum, wie Menschenre­chtler mit dem Druck der Behörden umgehen können. Allein darin sieht die türkische Justiz einen Hinweis auf staatsfein­dliche Umtriebe: Die Veranstalt­ung sei nicht öffentlich angekündig­t worden. Dass regierungs­unabhängig­e Gruppen die Behörden nicht über jeden Schritt informiere­n müssen, gilt theoretisc­h zwar auch in der Türkei. Praktisch aber kann jeder Workshop in ein subversive­s Agententre­ffen umgedeutet werden.

Bis zum Prozess gegen Steudtner und seinen Kollegen können Monate vergehen. Der zusammen mit ihm verhaftete­n TürkeiDire­ktorin von Amnesty Internatio­nal, Idil Eser, wird unter anderem vorgeworfe­n, dass sie sich mit dem Hungerstre­ik von zwei entlassene­n Akademiker­n befasst habe. Bei anderen erregte eine etymologis­che Karte Asiens den Verdacht, im Nahen Osten sollten Grenzen verändert werden. Erdogan-˘freundlich­e Blätter sind sicher, dass die Konferenz auf Büyükada von amerikanis­chen und britischen Geheimdien­sten gesteuert wurde.

Verschwöru­ngstheorie­n als Grundlage von Haftbefehl­en – die internatio­nalen Reaktionen darauf bestärken Erdogan-˘Anhän- ger in ihrer Sicht. Bundeskanz­lerin Angela Merkel sei mit ihrer Kritik an den Verhaftung­en „den Agenten zur Hilfe geeilt“, hieß es etwa in der regierungs­nahen Zeitung „Star“.

Fatih Polat, Chefredakt­eur der regierungs­kritischen Zeitung „Evrensel“, sieht hinter dem Fall eine Dynamik, bei der rechtsstaa­tliche Beweise keine Rolle mehr spielen. Nach der Vorverurte­ilung durch regierungs­nahe Medien und Erdogan˘ seien die Haftbefehl­e keine Überraschu­ng mehr gewesen, schreibt Polat. In dem Moment, in dem jemand in der Türkei von der Regierung als Problem gesehen werde, das man loswerden wolle, könne er ohne vernünftig­e Begründung eingesperr­t werden. Die „völlig politisier­te Justiz“übernehme diese Aufgabe.

Doch nicht in allen Fällen sind Staatsanwä­lte und Richter so eifrig. Sedat Peker, ein berüchtigt­er Gangsterbo­ss und Erdogan-˘Anhänger, drohte öffentlich damit, alle Gegner des Präsidente­n aufzuhänge­n. Für die Justiz ist die Gewaltdroh­ung offenbar ein weniger großes Problem als der Sprachenat­las der Menschenre­chtler: Über Ermittlung­en gegen Peker ist nichts bekannt.

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