„Facebook wirft mit Nebelgranaten“
Gerichtshof der EU. Max Schrems’ Ringen mit Facebook gipfelt in einer Verhandlung vor Europas Höchstrichtern. Ihr Urteil kann bahnbrechende Folgen für Daten- und Verbraucherschutz haben.
Luxemburg. Ist Max Schrems, der österreichische Datenschutzaktivist, ein Verbraucher im Sinne des europäischen Rechts? Und kann er stellvertretend für unzählige andere Verbraucher aus dem In- und Ausland in Wien mit einer Sammelklage gegen den Silicon-ValleyGiganten Facebook vorgehen?
Um diese zwei Fragen drehte sich am Mittwoch die knapp zweieinhalbstündige Verhandlung vor der dritten Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg. Schrems hat Interesse, den umstrittenen Umgang mit Benutzerdaten von Facebook auf Grundlage österreichischen Verbraucherrechts zu klagen, nicht etwa nach irischem oder amerikanischen.
Vom Urteil der Richter wird nicht nur abhängen, ob Facebook vor österreichischen Gerichten mit Schrems und seinen Anwälten über das Grundrecht auf Datenschutz wird streiten müssen. Darüber hinaus hat der Spruch der Richter, mit dem Anfang nächsten Jahres zu rechnen ist, justizpolitisches Gewicht. Denn sollte die Sache zugunsten Schrems ausgehen, wäre das für die EU-Kommission ein Zeichen dafür, dass der Gerichtshof keine grundsätzlichen Bedenken gegen EU-weite Sammelklagen hegt. So etwas gibt es noch nicht. Jegliche Versuche, ein derartiges Rechtsinstrument zur Bündelung gleichartiger Ansprüche überhaupt vorzuschlagen, zerschellten bisher am Lobbying der Industrieverbände.
Signal für EU-Sammelklage
Derzeit, noch bis 15. August, lädt die Kommission die Öffentlichkeit zu Stellungnahmen in der Frage ein, inwiefern Mitgliedstaaten ihre Empfehlung vom Juni 2013 umgesetzt haben, Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadenersatzverfahren einzuführen. Das könnte, gemeinsam mit einem entsprechenden Luxemburger Ur- teil, der Kommission den Rücken stärken, das Projekt der EU-Sammelklage anzupacken.
Schon eine Viertelstunde vor Beginn der Verhandlung war der rund hundert Plätze fassende Saal II im achten Stock des Luxemburger Gerichtsturms bis auf den letzten Sitz gefüllt. Schrems’ Anwalt Herwig Hofmann warf Facebook in seinem eröffnenden Plädoyer vor, „das Zivilverfahrensrecht zur Einschränkung der Meinungsfreiheit“zu missbrauchen, „indem der Verbraucher willkürlich als Gewerbetreibende umgedeutet wird.“
Das Kernargument von Facebook, vertreten durch den Wiener Anwalt Nikolaus Pitkowitz lautet nämlich so: weil Schrems auch eine Facebook-Seite betreibt, auf der er ab und zu entgeltliche Vorträge ankündigte und sein Datenschutzbuch bewarb, sei er kein Verbraucher, sondern gewerblich tätig. Darum könne er sich nicht auf das Privileg berufen, Facebook an seinem heimatlichen Gerichtsstand in Wien zu klagen. Hofmann wies dies damit zurück, dass Schrems erstens schon zuvor ein eigenes, rein privates FacebookProfil angelegt habe und selbst auf seiner aktivistischen Seite in Summe nur 0,2 Promille aller seiner Postings die Vorträge und das Buch betrafen. „Es ist wichtig, dass im Binnenmarkt ein Unternehmen damit rechnen muss, an jedem Ort, wo es tätig ist, geklagt zu werden“, fügte Hofmann hinzu.
Wann wird man Verbraucher?
In dieser Frage – wann wird man Verbraucher im Sinne des Gesetzes, und bleibt man es? – erhielt er Schützenhilfe von Gerhard Kunnert vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, der die Republik vertrat: „Es darf auf keinen Fall passieren, dass in Verbrauchereigenschaft erworbene Ansprüche rückwirkend verloren gehen. Ich glaube, dass die Seite der Beklagten ein bisschen mit Nebelgranaten wirft.“Die Anhörung habe gezeigt, „dass auch Weltkonzerne Emotionen haben können – nämlich die Angst, sich im Verfahren den Argumenten eines Verbrauchers stellen zu müssen.“
Was die zweite Rechtsfrage betrifft, welche der Oberste Gerichtshof den Luxemburger Richtern zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte, legte Muriel Heller seitens der Kommission zumindest eines fest: „Der Kläger könnte gleichgeartete Ansprüche von Verbrauchern einklagen, die ihren Wohnsitz in Österreich haben.“Doch das schien Marek Safjan, dem berichterstattenden Richter, nicht weit genug zu gehen. Seine Fragen legten eine Neigung für die Rechtssicht offen, dass Schrems auch Verbraucher aus anderen Mitgliedstaaten vertreten können solle.
Am 31. Oktober wird Generalanwalt Michal Bobek seinen Schlussantrag vorlegen.