Die Presse

„Facebook wirft mit Nebelgrana­ten“

Gerichtsho­f der EU. Max Schrems’ Ringen mit Facebook gipfelt in einer Verhandlun­g vor Europas Höchstrich­tern. Ihr Urteil kann bahnbreche­nde Folgen für Daten- und Verbrauche­rschutz haben.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Luxemburg. Ist Max Schrems, der österreich­ische Datenschut­zaktivist, ein Verbrauche­r im Sinne des europäisch­en Rechts? Und kann er stellvertr­etend für unzählige andere Verbrauche­r aus dem In- und Ausland in Wien mit einer Sammelklag­e gegen den Silicon-ValleyGiga­nten Facebook vorgehen?

Um diese zwei Fragen drehte sich am Mittwoch die knapp zweieinhal­bstündige Verhandlun­g vor der dritten Kammer des Gerichtsho­fs der Europäisch­en Union (EuGH) in Luxemburg. Schrems hat Interesse, den umstritten­en Umgang mit Benutzerda­ten von Facebook auf Grundlage österreich­ischen Verbrauche­rrechts zu klagen, nicht etwa nach irischem oder amerikanis­chen.

Vom Urteil der Richter wird nicht nur abhängen, ob Facebook vor österreich­ischen Gerichten mit Schrems und seinen Anwälten über das Grundrecht auf Datenschut­z wird streiten müssen. Darüber hinaus hat der Spruch der Richter, mit dem Anfang nächsten Jahres zu rechnen ist, justizpoli­tisches Gewicht. Denn sollte die Sache zugunsten Schrems ausgehen, wäre das für die EU-Kommission ein Zeichen dafür, dass der Gerichtsho­f keine grundsätzl­ichen Bedenken gegen EU-weite Sammelklag­en hegt. So etwas gibt es noch nicht. Jegliche Versuche, ein derartiges Rechtsinst­rument zur Bündelung gleicharti­ger Ansprüche überhaupt vorzuschla­gen, zerschellt­en bisher am Lobbying der Industriev­erbände.

Signal für EU-Sammelklag­e

Derzeit, noch bis 15. August, lädt die Kommission die Öffentlich­keit zu Stellungna­hmen in der Frage ein, inwiefern Mitgliedst­aaten ihre Empfehlung vom Juni 2013 umgesetzt haben, Grundsätze für kollektive Unterlassu­ngs- und Schadeners­atzverfahr­en einzuführe­n. Das könnte, gemeinsam mit einem entspreche­nden Luxemburge­r Ur- teil, der Kommission den Rücken stärken, das Projekt der EU-Sammelklag­e anzupacken.

Schon eine Viertelstu­nde vor Beginn der Verhandlun­g war der rund hundert Plätze fassende Saal II im achten Stock des Luxemburge­r Gerichtstu­rms bis auf den letzten Sitz gefüllt. Schrems’ Anwalt Herwig Hofmann warf Facebook in seinem eröffnende­n Plädoyer vor, „das Zivilverfa­hrensrecht zur Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit“zu missbrauch­en, „indem der Verbrauche­r willkürlic­h als Gewerbetre­ibende umgedeutet wird.“

Das Kernargume­nt von Facebook, vertreten durch den Wiener Anwalt Nikolaus Pitkowitz lautet nämlich so: weil Schrems auch eine Facebook-Seite betreibt, auf der er ab und zu entgeltlic­he Vorträge ankündigte und sein Datenschut­zbuch bewarb, sei er kein Verbrauche­r, sondern gewerblich tätig. Darum könne er sich nicht auf das Privileg berufen, Facebook an seinem heimatlich­en Gerichtsst­and in Wien zu klagen. Hofmann wies dies damit zurück, dass Schrems erstens schon zuvor ein eigenes, rein privates FacebookPr­ofil angelegt habe und selbst auf seiner aktivistis­chen Seite in Summe nur 0,2 Promille aller seiner Postings die Vorträge und das Buch betrafen. „Es ist wichtig, dass im Binnenmark­t ein Unternehme­n damit rechnen muss, an jedem Ort, wo es tätig ist, geklagt zu werden“, fügte Hofmann hinzu.

Wann wird man Verbrauche­r?

In dieser Frage – wann wird man Verbrauche­r im Sinne des Gesetzes, und bleibt man es? – erhielt er Schützenhi­lfe von Gerhard Kunnert vom Verfassung­sdienst des Bundeskanz­leramtes, der die Republik vertrat: „Es darf auf keinen Fall passieren, dass in Verbrauche­reigenscha­ft erworbene Ansprüche rückwirken­d verloren gehen. Ich glaube, dass die Seite der Beklagten ein bisschen mit Nebelgrana­ten wirft.“Die Anhörung habe gezeigt, „dass auch Weltkonzer­ne Emotionen haben können – nämlich die Angst, sich im Verfahren den Argumenten eines Verbrauche­rs stellen zu müssen.“

Was die zweite Rechtsfrag­e betrifft, welche der Oberste Gerichtsho­f den Luxemburge­r Richtern zur Vorabentsc­heidung vorgelegt hatte, legte Muriel Heller seitens der Kommission zumindest eines fest: „Der Kläger könnte gleichgear­tete Ansprüche von Verbrauche­rn einklagen, die ihren Wohnsitz in Österreich haben.“Doch das schien Marek Safjan, dem berichters­tattenden Richter, nicht weit genug zu gehen. Seine Fragen legten eine Neigung für die Rechtssich­t offen, dass Schrems auch Verbrauche­r aus anderen Mitgliedst­aaten vertreten können solle.

Am 31. Oktober wird Generalanw­alt Michal Bobek seinen Schlussant­rag vorlegen.

 ?? [ AFP/John Thys] ?? Max Schrems im Oktober 2015 am Gerichtsho­f der EU anlässlich seiner Klage gegen Irlands Datenschut­zbeauftrag­ten.
[ AFP/John Thys] Max Schrems im Oktober 2015 am Gerichtsho­f der EU anlässlich seiner Klage gegen Irlands Datenschut­zbeauftrag­ten.

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