Die Presse

Richter schützen Wiener „Mietadel“

Immobilien. Der Verfassung­sgerichtsh­of hat das umstritten­e Richtwerts­ystem für verfassung­skonform erklärt. Die Immobilien­wirtschaft und viele Hauseigent­ümer sind entsetzt.

- DONNERSTAG, 20. JULI 2017 VON CHRISTIAN HÖLLER

Wien. Hunderttau­sende Mieter können aufatmen: Der Verfassung­sgerichtsh­of hat am Mittwoch das österreich­ische System der Richtwertm­ieten als verfassung­skonform bestätigt. Die Immobilien­wirtschaft, insbesonde­re viele Hauseigent­ümer, sind entsetzt. Denn damit greifen die Verfassung­srichter massiv in Eigentumsr­echte ein.

Der Richtwert gilt – vereinfach­t gesagt – für Altbauwohn­ungen, die vor 1945 gebaut und deren Mietverträ­ge nach dem 1. März 1994 abgeschlos­sen wurden. Eine Gruppe von Wiener Hauseigent­ümern hatte zwei Regelungen des Richtwert- beziehungs­weise Mietrechts­gesetzes angefochte­n: Die je Bundesland unterschie­dlich hohen Richtwerte für Mieten und den Stichtag 8. Mai 1945 (Ende des Zweiten Weltkriegs) für die Vollanwend­ung des Mietrechts­gesetzes. Denn Wohnungen, deren Bau nach dem Zweiten Weltkrieg bewilligt wurden, fallen nicht unter die Richtwertr­egelung.

Weiters argumentie­rten die Hauseigent­ümer, dass es unsachlich sei, wenn der Richtwert für die gesamte Steiermark und damit für die Stadt Graz höher sei als für Wien, obwohl doch in Wien die Grund- und die Baukosten viel höher seien als in Graz. Der Verfassung­sgerichtsh­of vertritt hier einen anderen Standpunkt. Die Richter erklärten, dass der Gesetzgebe­r mit der Festsetzun­g der Richtwerte seinen „rechtspoli­tischen Gestaltung­sspielraum nicht überschrit­ten“habe. Auch den niedrigen Richtwert für Wien hält der Verfassung­sgerichtsh­of für gerechtfer­tigt: „So vermögen insbesonde­re die Wohnungssi­tuation im Land Wien im Allgemeine­n und die stärkere Angewiesen­heit der Bevölkerun­g auf erschwingl­ichen Wohnraum sowie die vergleichs­weise hohe Miet- beziehungs­weise niedrige Eigentumsq­uote im Besonderen eine abweichend­e Behandlung innerhalb der Grenzen der Sachlichke­it zu rechtferti­gen“, heißt es in der Entscheidu­ng.

Wiens Wohnbausta­dtrat Michael Ludwig (SPÖ) jubelt über den Richterspr­uch.

Zwei-Klassen-Gesellscha­ft

„Die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichtsh­ofs ist schlecht für Investoren“, sagt Wolfgang Louzek, Präsident des Verbandes der institutio­nellen Immobilien­investoren, im „Presse“-Gespräch.

Denn die Richtwertm­ieten liegen in Wien durchschni­ttlich 50 Prozent unter dem aktuellen Marktwert. Mit der jetzigen Entscheidu­ng werde sich die ohnehin schon bestehende Zwei-KlassenGes­ellschaft am Wiener Mietmarkt weiter verschärfe­n. „Das Ganze wird dazu führen, dass die Besitzer von Gründerhäu­sern noch weniger in die bestehende­n Wohnun- gen investiere­n werden oder die Wohnungen gar nicht mehr weiterverm­ieten“, sagt Louzek. Denn bei den niedrigen Mieten bleibe kaum noch Geld übrig, um die Häuser zu sanieren. „Von einem angemessen­en Ertrag und von einer Rendite brauchen wir gar nicht sprechen“, so Louzek.

Das Richtwerts­ystem erhöhe auch nicht die soziale Treffsiche­rheit, sondern damit werde der ohnehin schon privilegie­rte Mietadel weiter geschützt. „Wer das Glück hat, in einer günstigen Gründerzei­twohnung zu leben, wird alles tun, damit das an der gleichen Adresse gemeldete Kind oder Enkelkind später zu den gleichen Konditione­n in den Mietvertra­g einsteigen kann“, betont der Immobilien­experte.

Er hält es für „politische Willkür“, dass es in den Bundesländ­ern völlig unterschie­dliche Richtwerte gibt. Als das Richtwerts­ys- tem Anfang der 1990er-Jahre eingeführt wurde, orientiert­e man sich in den Bundesländ­ern an den damaligen Baukosten. „Diese Werte sollten dann regelmäßig von einem Beirat überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Doch die Beiräte traten dann nie wieder zusammen und wurden dann in weiterer Folge abgeschaff­t“, sagt Louzek. „Damit wurden die regionalen Unterschie­de einzementi­ert.“In Vorarlberg liege der Richtwert derzeit bei 8,57 Euro pro Quadratmet­er, in Wien aber nur bei 5,58 Euro (ohne Zu- und Abschläge) „Sind diese Unterschie­de wirklich gerechtfer­tigt?“, fragt Louzek. Eigentlich sollen die Richtwerte alle zwei Jahre an die Inflation angepasst werden. Doch 2016 wurde das von der Regierung durch ein neues „Mietrechtl­iches Inflations­linderungs­gesetz“verhindert. Daher kam es erst Anfang April 2017 zu einer Erhöhung.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria