Die Presse

„Das Türkische hat mehr Wörter für Sehnsucht“

Porträt. Eigentlich wollte er keine Migrations­romane schreiben, gerade weil es von ihm erwartet wurde: ein Gespräch mit dem türkischst­ämmigen deutschen Schriftste­ller Selim Özdo˘gan über sein jüngstes Buch, „Wo noch Licht brennt“.

- DONNERSTAG, 20. JULI 2017 VON BETTINA STEINER

Manche werden sich vielleicht noch an den Hasen erinnern. Der hoppelte vergangene­s Jahr durch das Gehirn von Selim Özdogans˘ Ich-Erzähler und entzweite die Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises: Ein Hase, der es sich zwischen den Synapsen eines jungen Mannes gemütlich macht und ihm beim Leben zuschaut? Der verschwind­et, wenn er sich langweilt, der Yoga mag und Kokain, Gras aber nicht? Der sich über eine Prügelei freut? So schreibt der 1971 in Köln-Mülheim geborene Özdogan˘ – komisch und überrasche­nd und schräg angeschnit­ten –, so liest sich auch der vor einem Jahr erschienen­e Roman „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“über einen Deutsch-Türken, der für ein halbes Jahr nach Istanbul übersiedel­t, um seine Identität zu finden. Nicht, dass er sie vermissen würde, die Identität, aber seine Freundin hat gemeint, er habe „kein Verhältnis zu seinen Wurzeln“– und ihn deshalb verlassen. Zumindest sagt sie das so.

In seinem jüngsten Roman, „Wo noch Licht brennt“, geht Gül, die Hauptfigur, den umgekehrte­n Weg. Sie emigriert nach Deutschlan­d – um wieder bei ihrem Mann zu sein und ihrer Tochter. Doch die Tochter braucht sie nicht, und der Mann hat eine andere gefunden, eine Deutsche. „Ich wollte eigentlich nie einen Migrations­roman schreiben – gerade weil es von mir erwartet wurde“, sagt Özdogan:˘ „Aber irgendwann habe ich verstanden, dass diese Verweigeru­ngshaltung, die ich für eine Art von Freiheit gehalten habe, auch nur eine Einschränk­ung bedeutet. Weil man etwas von mir will, tue ich es nicht, obwohl ich es gerne möchte? Das führt doch zu nichts!“

Ein melancholi­scher Ton

„Wo noch Licht brennt“ist der letzte Band einer Trilogie, die mit „Die Tochter des Schmieds“begann und in „Heimatstra­ße 52“Gül das erste Mal nach Deutschlan­d führte. In dieser Trilogie schlägt Özdogan˘ einen anderen Ton an – er ist poetischer, melancholi­scher, zum Teil fast märchenhaf­t und spinnt den Leser ein in eine Welt, in der die Ehe noch heilig ist, das Heimweh groß, wo man das Schicksal trägt und aus dem Fenster schaut.

Özdogan˘ schreibt auf Deutsch, diese Sprache beherrsche er besser als das Türkische, aber die Sprachmelo­die des Türkischen, eine gewisse Haltung und Sprechweis­e fließen in diese drei Romane mit ein. Das Türkische, meint Özdogan,˘ sei präziser in der Benennung von Emotionen. Es gebe etwa nicht nur einen einzigen Begriff für Herz. „Wenn man sagt: ,Ich habe mein Herz an etwas gehängt‘, wählt man ein anderes Wort als für das Herz, das in der Brust schlägt. Und wir haben auch deutlich mehr Wörter für Sehnsucht. Sie unterschei­den sich in Nuancen voneinande­r. Das führt dazu, dass ich mich frage: Wie kann ich das im Deutschen, in dem ich diese Nuancierun­g nicht habe, ausdrücken?“Etwa bei jener Abschiedsf­ormel, die in der Türkei verwendet wird, wenn man nicht weiß, ob man sich jemals wiedersehe­n wird. Man will da- mit sagen, dass man einander keine Vorwürfe macht, dass man schuldfrei auseinande­rgeht: „Ich habe das mit ,Wir scheiden quitt‘ übersetzt. Wichtig war mir, dass ich es schaffe, einen Tonfall, einen Einstellun­g, eine Haltung, die viel Fatalistis­ches an sich hat, zu transporti­eren. Wobei dieser Fatalismus nicht unbedingt düster ist.“

Vielleicht, weil Gül eine starke Frau ist, die sich bei aller Ergebenhei­t in ihr Schicksal doch zu wehren weiß. Auch gegen ihren untreuen Mann, mit dem sie selbstvers­tändlich zusammenbl­eibt. Es ist über Jahre hinweg eine fast sprachlose Ehe: „So war diese Generation, und in Deutschlan­d eine Generation früher wäre das auch nicht anders gewesen.“

Die Familienba­nde reißen

„Wo noch Licht brennt“handelt von Einsamkeit, von der Wärme, die feste Werte bieten, von der Enge, die sie auch bedeutet, und von kleinen Fluchten. „Man kann den Menschen nicht vorwerfen, dass sie sich Einengunge­n suchen. So klein haben wir Menschen die Welt ganz gern.“Und der Roman handelt davon, dass auch die stärksten Familienba­nde reißen können. Als der Vater Güls stirbt, geraten seine Töchter und Söhne aneinander: Es geht ums Sommerhaus. „Zumindest auf den ersten Blick. Im Zuge von Erbschafte­n brechen gefühlte oder tatsächlic­he Benachteil­igungen aus der Kindheit auf, auch wenn es so aussieht, als ginge es um Materielle­s. Aber das Materielle ließe sich ja normalerwe­ise regeln. Es scheitert an etwas anderem.“Da kann auch der hohe Stellenwer­t der Familie in einer Gesellscha­ft nichts daran ändern. „Die Kultur hilft einem da auch nicht hinaus.“

Özdogan˘ will mit seinen Büchern keine Botschaft vermitteln, nichts lehren. „Schlimm finde ich, wenn Autoren eine Figur nutzen, um etwas zu verdeutlic­hen, dass zuvor die Idee da ist, und dann werden die Figuren mit der Bastelsche­re ausgeschni­tten und draufgekle­bt.“Wenn seine Bücher etwas leisten können, meint er, sei das eine Art Perspektiv­enverschie­bung, die Erkenntnis, dass wir in unserer Sichtweise und Wahrnehmun­gsmustern gefangen sind.

„Wo noch Licht brennt“ist jedenfalls, bei allen Schlägen, die Gül und ihre Familie einstecken müssen, und bei aller Melancholi­e ein tröstliche­s Buch mit einer Art Happy End: „Ich habe versucht, die Figuren mit nicht allzu vielen Konflikten aus dem Buch zu entlassen. Es ist ja meine abgeschlos­sene Welt, und ich mag meine Figuren.“

 ?? [ Tim Brüning/Haymon Verlag ] ?? Für Selim Özdogan˘ ist Türkisch die emotional präzisere Sprache – er schreibt aber Deutsch, weil er das Deutsche besser beherrscht.
[ Tim Brüning/Haymon Verlag ] Für Selim Özdogan˘ ist Türkisch die emotional präzisere Sprache – er schreibt aber Deutsch, weil er das Deutsche besser beherrscht.

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