Ein Film, fast wie das Leben selbst: zu umständlich
Radu Mihaileanus „Die Geschichte der Liebe“erzählt von Verlust und Hoffnung, trägt aber zu dick auf.
Geschichtenerzählen ist menschlich. Es hält Erinnerungen wach, schlägt Brücken zwischen Individuen, gibt dem Lauf der Dinge einen Sinn. In Zeiten der Bedrängnis kann es Trost spenden und den Zukunftsglauben stützen. Vielleicht ist das der Grund für die starke narrative Tradition in der jüdischen Kultur. Auch der rumänisch-französische Regisseur Radu Mihaileanu, Sohn von Shoa-Überlebenden, erzählt gerne Geschichten. Oft handeln sie von jüdischer Geschichte – und vom Geschichtenerzählen selbst.
„Zug des Lebens“, sein wohl bester Film, fabuliert von einem Schtetl, dessen Einwohner in einem falschen Deportationszug vor den Nazis flüchten. Am Ende zerplatzt die Märchen-Blase des überkandidelten Abenteuers unvermittelt: eine tragische, kraftvolle Pointe. Auch Mihaileanus Adaption des Nicole-Krauss-Romans „Die Geschichte der Liebe“, kreist um die Beziehung zwischen echten und erfundenen Geschichten. Nur ist sie leider selbst nicht sonderlich gut erzählt.
Der Autor, allein in New York
An epischer Ambition mangelt es nicht: Die Story verwebt mehrere Perspektiven und Zeitebenen zu einem generationsübergreifenden Panorama von Verlust und Hoffnung. Dreh- und Angelpunkt ist der polnische Jude Leo Gursky (Derek Jacobi), der Mitte der Nullerjahre als mürrischer alter Zausel allein in New York lebt und seiner großen Liebe Alma (Gemma Arterton) nachtrauert: Einst schien das Glück zum Greifen nah, doch die NS-Besatzung zwang das Paar zeitversetzt ins amerikanische Exil. Parallel dazu verfolgt ein 15-jähriges Mädchen (Sophie Nelisse)´ die Spur eines Buches, das ihr verstorbener Vater liebte und dessen Hauptfigur sie ihren Namen verdankt: Alma. Das Buch heißt „Die Geschichte der Liebe“. Der ursprüngliche Autor: Leo Gursky.
Man kann sich denken, dass diese beiden Schicksale auf kathartische Weise zusammentreffen. Doch der Weg dorthin ist lang und umständlich, voller Rückblenden und Abschweifungen, überraschender Wendungen, skizzenhafter Nebenfiguren – fast wie das Leben selbst. Die Literatur tut sich leicht mit dieser Art von Weitläufigkeit. Im Kino bedarf sie eines inszenatorischen Feingefühls, das Mihaileanu fehlt. Größtenteils hat man das Gefühl, dass er einfach Szenen aneinanderreiht – und wenn die Dramaturgie einer Zuspitzung bedarf, greift er zur bewährten Pathosformel der Musikmontage.
Und er trägt oft zu dick auf. Jedes Thema wird ausbuchstabiert (einmal schreit Alma sogar: „Alles hängt zusammen! Toll!“), jeder Affekt ausgewalzt, und auch das liebevolle Spiel mit Stereotypen, sonst eine Stärke von Mihaileanus tragikomischem Kino, wirkt diesmal plump. Schade, denn die Vorlage hat durchaus Potenzial; womöglich viel zu viel, um es in einem Spielfilm einzudampfen. Als MiniSerie hätte „Die Geschichte der Liebe“ganz gut funktionieren können – manche Erzählungen brauchen eben Zeit.