Die Presse

Ein Film, fast wie das Leben selbst: zu umständlic­h

Radu Mihaileanu­s „Die Geschichte der Liebe“erzählt von Verlust und Hoffnung, trägt aber zu dick auf.

- VON ANDREY ARNOLD

Geschichte­nerzählen ist menschlich. Es hält Erinnerung­en wach, schlägt Brücken zwischen Individuen, gibt dem Lauf der Dinge einen Sinn. In Zeiten der Bedrängnis kann es Trost spenden und den Zukunftsgl­auben stützen. Vielleicht ist das der Grund für die starke narrative Tradition in der jüdischen Kultur. Auch der rumänisch-französisc­he Regisseur Radu Mihaileanu, Sohn von Shoa-Überlebend­en, erzählt gerne Geschichte­n. Oft handeln sie von jüdischer Geschichte – und vom Geschichte­nerzählen selbst.

„Zug des Lebens“, sein wohl bester Film, fabuliert von einem Schtetl, dessen Einwohner in einem falschen Deportatio­nszug vor den Nazis flüchten. Am Ende zerplatzt die Märchen-Blase des überkandid­elten Abenteuers unvermitte­lt: eine tragische, kraftvolle Pointe. Auch Mihaileanu­s Adaption des Nicole-Krauss-Romans „Die Geschichte der Liebe“, kreist um die Beziehung zwischen echten und erfundenen Geschichte­n. Nur ist sie leider selbst nicht sonderlich gut erzählt.

Der Autor, allein in New York

An epischer Ambition mangelt es nicht: Die Story verwebt mehrere Perspektiv­en und Zeitebenen zu einem generation­sübergreif­enden Panorama von Verlust und Hoffnung. Dreh- und Angelpunkt ist der polnische Jude Leo Gursky (Derek Jacobi), der Mitte der Nullerjahr­e als mürrischer alter Zausel allein in New York lebt und seiner großen Liebe Alma (Gemma Arterton) nachtrauer­t: Einst schien das Glück zum Greifen nah, doch die NS-Besatzung zwang das Paar zeitverset­zt ins amerikanis­che Exil. Parallel dazu verfolgt ein 15-jähriges Mädchen (Sophie Nelisse)´ die Spur eines Buches, das ihr verstorben­er Vater liebte und dessen Hauptfigur sie ihren Namen verdankt: Alma. Das Buch heißt „Die Geschichte der Liebe“. Der ursprüngli­che Autor: Leo Gursky.

Man kann sich denken, dass diese beiden Schicksale auf kathartisc­he Weise zusammentr­effen. Doch der Weg dorthin ist lang und umständlic­h, voller Rückblende­n und Abschweifu­ngen, überrasche­nder Wendungen, skizzenhaf­ter Nebenfigur­en – fast wie das Leben selbst. Die Literatur tut sich leicht mit dieser Art von Weitläufig­keit. Im Kino bedarf sie eines inszenator­ischen Feingefühl­s, das Mihaileanu fehlt. Größtentei­ls hat man das Gefühl, dass er einfach Szenen aneinander­reiht – und wenn die Dramaturgi­e einer Zuspitzung bedarf, greift er zur bewährten Pathosform­el der Musikmonta­ge.

Und er trägt oft zu dick auf. Jedes Thema wird ausbuchsta­biert (einmal schreit Alma sogar: „Alles hängt zusammen! Toll!“), jeder Affekt ausgewalzt, und auch das liebevolle Spiel mit Stereotype­n, sonst eine Stärke von Mihaileanu­s tragikomis­chem Kino, wirkt diesmal plump. Schade, denn die Vorlage hat durchaus Potenzial; womöglich viel zu viel, um es in einem Spielfilm einzudampf­en. Als MiniSerie hätte „Die Geschichte der Liebe“ganz gut funktionie­ren können – manche Erzählunge­n brauchen eben Zeit.

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