Die Presse

Gesucht: Eine globale Führung für die Zukunft

Gastkommen­tar. Angesichts der Selbstisol­ierung wesentlich­er Stützen der internatio­nalen Ordnung seit 1945 – USA und Großbritan­nien – braucht die Globalisie­rung einen neuen Ansatz und neue Gestalter. Es geht dabei nicht nur um Wirtschaft.

- VON HAROLD JAMES Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2017 E-Mails an: debatte@diepresse.com

Da im Moment unklar ist, wer in Zukunft eine führende weltpoliti­sche Rolle spielen wird, waren Spannungen beim jüngsten G20-Gipfel in Hamburg unvermeidl­ich. Spannungen hat es dabei seit der Gründung der G20 im Jahr 1999 bei solchen Treffen immer schon gegeben.

2014, auf dem G20-Gipfel in Brisbane etwa, wurde Russland von der internatio­nalen Gemeinscha­ft isoliert. 2017 isolierten sich die USA selbst. Nach seinem polternden Auftritt beim Treffen der G7 in Taormina im Mai hat USPräsiden­t Donald Trump angekündig­t, die USA würden aus dem Pariser Klimaabkom­men von 2015 austreten. Als Antwort darauf haben die übrigen G7-Führer mit Ausnahme der britischen Premiermin­istern, Theresa May, eine Erklärung unterzeich­net, in der sie Trumps Position verurteile­n.

May und Trump im Einklang

Nachdem die USA und Großbritan­nien nach 1945 die Hauptgesta­lter des Systems der Vereinten Nationen und der internatio­nalen Ordnung waren, scheinen sie diesen Trend jetzt umkehren zu wollen. Seit Trumps Wahl und dem Brexit-Referendum vor einem Jahr haben sich beide Länder auf einen widersprüc­hlichen und umstritten­en politische­n Weg begeben, der von Offenheit und Multilater­alismus wegführt.

Beide Länder sind dabei zwar sprunghaft, aber ähnlich vorgegange­n. Tatsächlic­h sahen viele die Brexit-Abstimmung als Vorboten für die Wahl von Trump. Ebenso wie die „Leave“-Kampagne hat sich auch Trump die Ängste der Wähler vor Einwanderu­ng zunutze gemacht. Und ebenso wie die May-Regierung gerät auch Trump zunehmend ins Schwimmen.

In beiden Fällen leiden die Sieger nachträgli­ch unter ihrem umstritten­en Wahlkampf. Und während die Gewinner nun wie Verlierer aussehen, wird der linke Populismus authentisc­h wirkender Politiker wie Senator Bernie Sanders in den USA und Labour-Parteichef Jeremy Corbyn in Großbritan­nien immer populärer.

Auch in ihren außenpolit­ischen Ansichten sind sich die Regierunge­n von Trump und May ähnlich. Beide wollen internatio- nale Abkommen neu aushandeln – etwa im Handelsber­eich; oder, im Fall von Großbritan­nien, im Verhältnis zu Europa. Aber die Grundlage dieser Neuverhand­lungen ist widersprüc­hlich und unklar.

Amerikanis­che und britische Arbeiter machen die Globalisie­rung für Arbeitspla­tzverluste und Ungleichhe­it verantwort­lich und fordern mehr Schutz. Aber die Konsumente­n, vor allem die mit geringen Einkommen, zahlen für Protektion­ismus meist einen hohen Preis. Es gibt viele statistisc­he Belege dafür, dass niedrige Einkommens­gruppen von der Liberalisi­erung des Handels am meisten profitiere­n.

Vor diesem Hintergrun­d werden die Bemühungen, bestehende Verträge zu verändern, wahrschein­lich zu engstirnig­en Übereinkün­ften führen und gewisse Importe stark verteuern. Vergeltung­smaßnahmen anderer Länder drohen dann einen Teufelskre­is des Protektion­ismus und der Deglobalis­ierung auszulösen.

Gefährdete Mechanisme­n

In der Nachkriegs­zeit haben die Länder immer engere Verbindung­en geknüpft. Verwaltung­sbehör- den, multinatio­nale Konzerne und Finanzinst­itutionen haben eine Umgebung geschaffen, die die Zusammenar­beit fördert. Heute allerdings sind die Mechanisme­n der Globalisie­rung gefährdet.

Profession­elle Bürokratie­n – wie der Diplomatis­che Dienst der USA – werden zurückgefa­hren. Immer wieder werden Konzerne und Medien aufgeforde­rt, sich patriotisc­her zu verhalten.

Das Finanzwese­n wird segmentier­t und renational­isiert. SoftPower-Institutio­nen wie Hollywood oder die Universitä­ten werden in Kulturkrie­ge verwickelt. Amerikanis­che und britische Uni- versitäten standen lange weltweit an der Spitze und verstehen sich als globale Institutio­nen mit globaler Verantwort­ung. Drew Faust, die Präsidenti­n der Harvard University, lobt oft die internatio­nale Rolle ihres Instituts, und die Princeton University hat kürzlich ihr Motto von „Im Dienste der Nationen und aller Länder“hin zu „Im Dienste der Nation und der Menschheit“geändert.

Konturen einer neuen Achse

In den letzten Jahren hat diese kosmopolit­ische und globale Ausrichtun­g jedoch einen Rückschlag erlitten. Erinnern wir uns an Mays Worte beim Treffen der Konservati­ven im Oktober 2016: „Wenn man glaubt, Weltbürger zu sein, ist man in Wirklichke­it ein Bürger von nirgendwo. Man versteht dann nicht, was das Wort ,Bürgerscha­ft‘ eigentlich bedeutet.“

Im Zuge dessen, dass sich der Gemeinscha­ftsgeist der Nachkriegs­geist auf dem Rückzug befindet, braucht die alte Globalisie­rung eine neue Führung und einen neuen Ansatz. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass sich China und Europa – vor allem Deutschlan­d – als neue Verteidige­r der Weltordnun­g verstehen. In der Tat stimmen China und Deutschlan­d bei vielen wichtigen Themen zunehmend überein: Beide haben ihre Verpflicht­ung zur Verringeru­ng der Kohlendiox­idemission­en im Rahmen des Pariser Abkommens bekräftigt. Auch gegen den zunehmende­n Handelspro­tektionism­us bildet sich eine klare chinesisch-deutsche Allianz:

Als Chinas Präsident, Xi Jinping, protektion­istische Maßnahmen damit verglich, sich „in einen dunklen Raum einzusperr­en“, lobte die Kanzlerin Angela Merkel seine Worte als „sehr einprägsam“.

Jetzt untersuche­n deutsche Politiker, wie ihr Land anstelle der USA die Globalisie­rung fördern könnte. Aber Deutschlan­d ist einfach zu klein dafür, um als Hegemon aufzutrete­n. Und seine Position innerhalb der Eurozone wird immer noch durch das Erbe der Finanzkris­e von 2008 belastet.

Hinderniss­e für China

Auch China sieht sich im Streben nach globaler Führung mit Hinderniss­en konfrontie­rt. Der Finanzsekt­or des Landes ist immer noch relativ unentwicke­lt und ziemlich krisenanfä­llig. Die Seidenstra­ßen-Initiative wird neue Abhängigke­itsproblem­e schaffen und bestehende Rivalitäte­n in Asien noch verschärfe­n. Als globale Führungsma­cht würde China auch Befürchtun­gen über das Schicksal der Demokratie auslösen. Die Globalisie­rungskriti­ker in den reichen Ländern wollen nicht weniger, sondern mehr Demokratie.

Sicherlich sind einige Voraussetz­ungen für eine neue Art globaler Führung bereits gegeben: China verfügt bereits über hervorrage­nde Universitä­ten. Deutschlan­d hat eine starke Demokratie, die auf föderalen Prinzipien aufbaut und fest in der Vision europäisch­er Integratio­n verankert ist.

Damit ein Rezept aber funktionie­rt, müssen alle Zutaten vorhanden sein. Das amerikanis­che Jahrhunder­t basierte auf starken Institutio­nen, gemeinsame­n Werten und einem lebendigen Kulturlebe­n. Eine Globalisie­rung, bei der es nur um wirtschaft­liche Logik geht, würde niemals funktionie­ren.

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[ Reuters ] Xi Jinping und die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, als die neuen Schrittmac­her der Globalisie­rung?

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