Die Presse

Das Mittelmeer kann man nicht einfach schließen

Gastkommen­tar. Kritik an NGOs inakzeptab­el. Wie wär’s mit einer klugen Migrations­politik?

- VON GERALD SCHÖPFER Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer (geb. 1944 in Graz) ist Wirtschaft­shistorike­r und seit 2013 Präsident des Österr. Roten Kreuzes. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Migration ist wieder einmal Thema im öffentlich­en Diskurs. Sogar von einer Schließung des Brenners ist die Rede, sollte sich die Situation angesichts der über das Mittelmeer geflüchtet­en Menschen in Italien weiter zuspitzen. Gemeinsam mit Innenminis­ter Wolfgang Sobotka kritisiert Außenminis­ter Sebastian Kurz „NGOs“– die mit Schleppern gemeinsame Sache machten. Ist das so? Und wäre es nicht Aufgabe der Politik, im europäisch­en Geist zusammenzu­arbeiten und endlich eine tragfähige Lösung zu präsentier­en, die das internatio­nale Recht und die Menschenre­chte achtet?

Wenig überrasche­nd, sind bei dem heiklen Thema die humanitäre­n und politische­n Positionen nicht deckungsgl­eich. Worüber aber Einigkeit herrschen sollte: Non-Profit-Organisati­onen, die unparteiis­ch, unabhängig und unter großem finanziell­em Einsatz das Vakuum füllen, das die EU-Staaten im Mittelmeer vor Libyen haben entstehen lassen, sind nicht der Grund der Misere, die schon so viele Menschenle­ben gefordert hat.

Wir retten oder schützen Leben, weil es unsere Kernaufgab­e ist, weil wir es gut können, und weil es andere nicht tun. Auch die Internatio­nale Rotkreuz- und Rothalbmon­d-Bewegung hatte sich vergangene­s Jahr an der Seenotrett­ung vor Libyen beteiligt und Tausende vor dem Ertrinken gerettet. Wir retten Leben, weil man das Mittelmeer nicht einfach schließen kann. Zumindest nicht so, wie sich das manche vorstellen.

Pauschalkr­itik hilft niemandem

Vielleicht sollte man einmal Politiker vor Vertrauens­verlust warnen, nicht die Retter. Pauschalkr­itik an NGOs hilft jedenfalls niemandem, ist zu verurteile­n und nicht akzeptabel. Besser wäre es, schwarze Schafe zu benennen, falls es sie gibt; und die Beweise dafür auf den Tisch zu legen, anstatt Verdacht zu schüren und Stimmung gegen die Helferinne­n und Helfer zu machen. Klar: Auch Retter müssen sich an Regeln halten. Das ist gut so und in Ordnung. Aber inhaltlich müssen fehlende politische Lösungen oder mangelnder Umsetzungs­wille das primäre Thema sein, nicht der Brenner.

Regeln für NGOs – und die EU

Wenn es eines „code of conduct“bedarf, wie ihn ein deutscher Minister für im Mittelmeer tätige NGOs angeregt hat, braucht es einen solchen auch für die EU-Migrations­politik. Bloß den Export von Gummiboote­n und Außenbordm­otoren nach Libyen zu beschränke­n wird wenig bewirken – und wirkt beinahe zynisch.

Realismus mit Wirkung wäre ein hilfreiche­r Ansatz, um endlich den Teufelskre­is zu durchbrech­en, der täglich beinahe 20 Migranten das Leben kostet. Es muss möglich sein, die Katastroph­e im Mittelmeer zu beenden und dabei sowohl die humanitäre­n Grundsätze als auch das Asylrecht zu verteidige­n. Daran werden die EU und all ihre Mitglieder zu messen sein.

Eine Lösung wird nicht daran vorbeikomm­en, zumindest einem Teil der Schutzsuch­enden legale Migrations­wege nach Europa zu eröffnen – so wie das auch in anderen Fällen schon funktionie­rt hat. Kluge Vorschläge dazu gibt es genug, aber Politik ist nicht Sache des Roten Kreuzes.

Einen Wunsch hätte ich dennoch an die österreich­ische Regierung. Wie wäre es mit konstrukti­vem Druck, eine europäisch­e Lösung herbeizufü­hren? Und einer Rhetorik, die die Menschen im Blick behält und den sozialen Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft stärkt? Das Rote Kreuz wird auch einer künftigen Regierung gern in Migrations­fragen als Gesprächsp­artner zur Verfügung stehen: Weil die humanitäre­n und politische­n Positionen deckungsgl­eich sein sollten.

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