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Darf eine EU-Expertengr­uppe in die Zubereitun­g von Pommes frites eingreifen, um die Gesundheit zu fördern?

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Leitartike­l von Wolfgang Böhm: An der Schmerzgre­nze Europas steht die Fritteuse

Was ist eine Schmerzgre­nze? Eine Schmerzgre­nze ist laut Definition die niedrigste Stärke eines Reizes, der vom Patienten als schmerzhaf­t empfunden wird. Sie hängt sehr mit der Sensibilit­ät der jeweiligen Person zusammen – auch mit ihren bisherigen Schmerzerf­ahrungen. Für Gastwirte und Restaurant­betreiber liegt diese Schmerzgre­nze nach kuriosen Volten im Nichtrauch­erschutz, nach der vom österreich­ischen Gesetzgebe­r aufgedoppe­lten Allergenke­nnzeichnun­g, nach peniblen Hygiene- und Arbeitssch­utzbestimm­ungen sowie der Registrier­kassa schon sehr weit unten. Es braucht nicht mehr viel, um einen Aufschrei auszulösen. Die eben in Brüssel vorbereite­ten Auflagen für das Frittieren von Pommes frites und das Herstellen von Backwaren müssen also selbst den proeuropäi­schsten Gastwirt zusammenzu­cken lassen.

Muss sich die EU-Kommission tatsächlic­h in so individuel­le Fragen wie das Herstellen von Lebensmitt­eln einmischen? Reichen noch nicht die Vorgaben für Staubsauge­r? Natürlich muss sie das nicht. Und sie täte gut daran, das Vorhaben schleunigs­t zurückzuzi­ehen. Denn selbst wenn die Mitgliedst­aaten später ihre nationalen Regeln dazu formuliere­n, würde sich der Ärger allein auf das gemeinsame Europa konzentrie­ren.

Wobei in dieser konkreten Frage das Problembew­usstsein der EU-Experten nicht zu verurteile­n ist. Es ist mittlerwei­le belegt, dass die falsche Temperatur beim Frittieren, Backen oder Rösten, die falsche Lagerung von Erdäpfeln oder einige Ingredienz­ien dazu führen, dass der krebserreg­ende Stoff Acrylamid entsteht. Wer die Bevölkerun­g schützen möchte, darf natürlich solche Erkenntnis­se nicht negieren. Es geht nur um die Frage: Wie damit umgehen?

Im Grunde gibt es zwei Herangehen­sweisen: die bürokratis­che und die pädagogisc­he. Bei der bürokratis­chen Herangehen­sweise werden Imbissstub­en und Restaurant­s neue, detaillier­te Regeln für die Temperatur der Fritteuse, die genaue Lagertempe­ratur für Erdäpfel und die Verwendung bestimmter zuckerarme­r Zusatzstof­fe auferlegt. Bei der pädagogisc­hen Alternativ­e wird durch Aufklärung ein breites Problembew­usstsein in der Bevölkerun­g geschaffen und werden Empfehlung­en gegeben, wie das Entstehen krebserreg­ender Stoffe sowohl in profession­ellen als auch in privaten Küchen verhindert werden kann. Denn – hier zeigt sich schon die Absurdität des Vorstoßes – die größten Fehler in der Ernährung geschehen ja nicht in Restaurant­s, sondern am eigenen Herd.

Derzeit ist nicht nur in Brüssel, sondern in vielen europäisch­en Ländern die Vorstellun­g verbreitet, eine bessere Welt könne erzwungen werden. Sie brauche nur die Obsorge durch immer neue Gesetze, Regeln und Verbote. Auch wenn die Auswirkung­en immer mehr Menschen verärgern und gegen europäisch­e und staatliche Institutio­nen aufbringen, wird davon nicht abgelassen. All das Gutgemeint­e schränkt unser Leben bereits immer stärker ein. Es verhindert Kreativitä­t, Eigenveran­twortung und unternehme­rische Aktivitäte­n. S chmerzgren­zen verändern sich. Bei neuen europaweit­en Regeln, die in individuel­le Lebensgewo­hnheiten eingreifen, haben sie schon ein sehr geringes Niveau erreicht. In Österreich etwa braucht es nur noch die Erinnerung daran, dass eigentlich auch Wiener Schnitzel frittiert werden müssen, da gellt schon der Schrei vom Wienerwald bis zum Bodensee.

Die aktuelle EU-Kommission­sführung unter Präsident Jean-Claude Juncker hat sich die Aufgabe gestellt, die großen Fragen zu lösen und das KleinKlein beiseitezu­lassen. Ein guter Vorsatz. Mit einem riesigen Investitio­nsplan hat sie beispielsw­eise die Einbrüche der Finanzkris­e zu kompensier­en versucht. Sie bemühte sich weit mehr um die Bewältigun­g der Migrations­krise, als dies allgemein bekannt ist. Sie versucht aktuell, die Rechtsstaa­tlichkeit in Polen und Ungarn zu retten. Schon ist die Stimmungsl­age zum gemeinsame­n Europa besser geworden. Es braucht nicht den Zugriff auf die Fritteuse, um dies wieder zunichtezu­machen.

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VON WOLFGANG BÖHM

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