Die Presse

„Es wird überreagie­rt – und wieder vergessen“

Urlaub. Bilder sind mächtig und prägen oft Reisepläne. Oder ist es bloß Herdenverh­alten? Ein Gespräch mit Ioannis Afukatudis, Chef von Thomas Cook Österreich.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Die Presse: Die Bilder der auf Lesbos gestrandet­en Flüchtling­e haben vergangene­s Jahr die Urlauber abgeschrec­kt, heute redet keiner mehr davon. Ioannis Afukatudis: Wir haben in den vergangene­n sechs, sieben Jahren gesehen, dass unsere Kunden von den Nachrichte­n beeinfluss­t werden. Es wird überreagie­rt – und anderersei­ts wieder schneller vergessen, wenn ein Zielgebiet aus den Schlagzeil­en ist. Die Buchungsla­ge für Lesbos vorigen Sommer war interessan­t: Während die Abflüge nach Griechenla­nd aus dem Rest Europas stiegen, stagnierte­n sie in Österreich und den osteuropäi­schen Ländern oder gingen zurück. Wir haben uns gefragt: Haben die Österreich­er ein höheres Sicherheit­sbewusstse­in?

Zu welchem Schluss kamen Sie? Österreich und die Visegrad-´Staaten haben ihre Grenzen zugemacht. Dadurch haben die Urlauber dort mehr von der Krise gemerkt. Ich habe mir jeden Tag UNHCR-Daten über die Flüchtling­sströme vorlegen lassen. Wir haben in Richtung der Reisebüros kommunizie­rt: Es wird übertriebe­n. Kreta, Rhodos oder Korfu waren überhaupt nicht betroffen. Nach der gleichen Logik müssten wir in Salzburg keine Touristen empfangen, weil in Traiskirch­en Flüchtling­slager existieren. Heuer ist es anders, es gibt Aufnahmela­ger auf Lesbos, aber die Berichters­tattung hat nach dem EU-Türkei-Deal aufgehört. Leider hat sich alles nach Italien verlagert, das Thema wird uns als Europäer in den nächsten Jahren weiter beschäftig­en.

Das könnte man mit der Lage in der Türkei vergleiche­n, wo die Strände von Antalya Tausende Kilometer von der Krise entfernt sind – und dennoch will keiner hin. Ja, es sind Tausende Kilometer bis zur syrischen Grenze. Aber es wird anders dargestell­t. Und die Türkei hat auch ein anderes Problem: Die Schlagzeil­en drehen sich nicht um Flüchtling­slager, sondern um die politische Lage. Thomas Cook macht keine Politik, aber muss mit den Konsequenz­en leben.

Was ist Ihre Antwort auf die Türkei? Wir sind ein internatio­naler Konzern und planen auf der Grundlage von Empirie und Einschätzu­ngen. Anhand davon sagen wir: Welche Zielgebiet­e können sich entwickeln? Dort investiere­n wir. Wenn es aber in Tunesien, Ägypten oder der Türkei kriselt, braucht es konkrete Aktionen. Wir mussten vergangene­s Jahr innerhalb von zwei Monaten Alternativ­en für die Österreich­er auflegen, neue Produkte einkaufen in Ländern wie Kroatien, Italien, Spanien.

Wie viele Türkei-Urlauber konnten Sie in andere Länder umschleuse­n? Wir haben alles ausgeglich­en. Aber wir sind nicht allein auf der Welt, die anderen tun das auch. Die Frage ist: Profitiere­n diese alternativ­en Ziele von der Entwicklun­g? Meiner Meinung: Kurzfristi­g ja. Ein Land wie Bulgarien profitiert den Zahlen nach sicher. Aber gehen sie bewusst damit um? Hatten sie beispielsw­eise drei Hotels geplant, sehen jetzt die Chance und sperren zehn auf – die aber dafür nicht gut umgesetzt werden? Das sind Gefahren, die die Situation mit sich bringt. In Spanien wird vor Investitio­nsstaus gewarnt, weil die Hoteliers dank der vielen Gäste keinen Antrieb haben zu renovieren. Die Gefahr ist, dass man aus einer attraktive­n Destinatio­n mit dem Bau vieler Hotels etwas anderes macht – man übertreibt. Wir sehen, dass Mallorca, die Hochburg des Tourismus, in den vergangene­n Jahren Baustopps erlassen hat. Da stellen sich Fragen wie: Spielt die Bevölkerun­g mit? Wann sind die Ressourcen auf der Insel erschöpft? Wann überschrei­tet man den Punkt der Wirtschaft­lichkeit?

Wie ist Griechenla­nd nach der Wirtschaft­skrise mit dem Tourismus umgegangen? Der Privatsekt­or hat in den vergangene­n drei, vier Jahren das Beste daraus gemacht, wenn man den Wettbewerb­snachteil beachtet. Es hat eine signifikan­te Entwicklun­g in Richtung Qualität stattgefun­den. Die Griechen haben eher unbewusst aus einem unternehme­rischen Trieb gehandelt. Der Tourismus hat einen direkten und indirekten Beitrag am Bruttoinla­ndsprodukt von gut 20 Prozent. Man kann sagen, er ist mittlerwei­le der einzige intakte Sektor. Vielleicht war die Krise unbewusst die Befreiung für die Veränderun­g. Ich frage mich, was wäre, wenn alles „normal“geblieben wäre. Aber das ist eine hypothetis­che Frage.

Viele Junge sind gegangen. Findet man das nötige Personal? Mehr als 80 Prozent der 250.000 neuen Arbeitsplä­tze sind 2016 im Tourismus entstanden. Aber ja, hoch qualifizie­rte Kräfte sind ausgewande­rt. Das ist ein Thema im wachsenden Qualitätst­ourismus, das kontrovers diskutiert wird. Der Mangel ist ein Faktum – genauso wie in Österreich, wo die Hotellerie im Westen Köche und Serviceper­sonal sucht.

leitet seit 2010 in Wien das Österreich­geschäft des internatio­nalen Reisekonze­rns Thomas Cook. Davor war der gebürtige Grieche in Deutschlan­d für die Low-Budget-Linien verantwort­lich. Thomas Cook ist nach eigenen Angaben in Österreich die Nummer zwei nach TUI.

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[ Roßboth] „Der Tourismus ist der einzige intakte Sektor.“

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