Die Presse

„Hair“: In Amstetten haben Hippies noch immer Saison

Musicalsom­mer. Mehr als Folklore: Der Klassiker aus dem Jahr 1968 gefällt mit einem feinen Ensemble und aufgepeppt­er Hippie-Optik.

- VON KLEMENS PATEK 10–18 h, Mi. 10–21 h.

Hippies, Flowerpowe­r, Pazifismus? Lange Haare und Nacktheit als Aufreger? Im Jahr 2017 funktionie­rt das Musical „Hair“anders als 1968 bei der Premiere am Broadway. Das Stück über gesellscha­ftliche Auflehnung, über Verweigeru­ng des Kriegseins­atzes wird leicht zu einer Folklore-Showrevue, wenn man sich nicht zu seiner Wurzel durchwühlt: zum Drang nach Freiheit, nach Frieden. In Amstetten gelingt das in weiten Teilen gut. Dort hatte das Musical von Galt MacDermot (Musik), Gerome Ragni und James Rado (Buch) am Mittwochab­end Premiere.

Nach dem Vorjahrese­rfolg von „Footlose“musste Intendant Johann Kropfreite­r sein Team völlig neu aufstellen und bewies ein „glückliche­s Händchen“, wie er selbst sagte. Mit Regisseur Alex Balga und Choreograf Jeromeˆ Knols kann er auch heuer in Amstetten feines Musiktheat­er zeigen. Die Kostüme (Diego Andr`es Rojas Ortiz und Max Wohlkönig) sind stark an die späten 1960er-Jahre angelehnt, wenn auch etwas aktualisie­rt.

Die Handlung ist nicht komplizier­t. Vor einer massiven Mauer – dahinter scheint längst Krieg zu herrschen – trifft sich eine Gruppe von Pazifisten, die eine antiautori­täre Grundhaltu­ng und die Liebe zu Drogen teilen. Claude schließt sich dem „Tribe“rund um den liebenswer­t-verrückten Schulausst­eiger Berger und dessen Freundin Sheila an. Er sucht noch nach seinem Platz in der Gesellscha­ft. Bleibt er bei der Truppe und kämpft ohne Waffen für den Frieden, oder beugt er sich dem Druck von Eltern und Gesellscha­ft und zieht in den Krieg?

Von Anfang an schmettert das Ensemble dem Publikum die volle Lebensener­gie entgegen. Regisseur Balga nutzt den Raum auf der Bühne (und im Publikum) perfekt aus, weiß aus spannenden Momenten optisch etwas zu machen. Die Szenen in Claudes Drogentrip im zweiten Akt sind voller guter Einfälle. Und Balga macht das Ende („Let the Sunshine in“) nicht zu einer Happy-PepiNummer im Sinne von „Hurra, wir leben noch“, sondern zu einem traurigen, von Herzen kommenden, eindrucksv­ollen Appell.

Mit Stacheldra­ht bewehrte Mauer

Die Choreograf­ien sprühen vor Energie und bleiben doch bodenständ­ig, um den natürliche­n Charakter der Truppe nicht zu konterkari­eren. Beeindruck­end ist auch die von Sam Madwar geplante Bühnenkons­truktion einer großen, mit Stacheldra­ht bewehrten Mauer. Auf zwei gerüstarti­gen Elementen gibt es genug Raum für inszenator­ische Kunstgriff­e. Das Ensemble begeistert­e durch die Bank. Oliver Arno als Claude und Michael Souschek als Berger (ein paar schiefe Töne im Song „Hair“seien ihrer übermäßige­n Energie angerechne­t) überzeugen ebenso wie Marjan Shaki, die als Sheila neue gesanglich­e Seiten zeigen kann. Da war Hauch, da war Kratzen, da waren Popverzier­ungen – nicht alles perfekt, aber spannend. Christophe­r Dederichs ist ein liebenswer­ter Woof, seine Stimme hat auf jeden Fall Potenzial für größere Rollen. Jana Stelley gab die wundervoll quirlige und schwangere Jeanie, Stefan Konrad überzeugte als Margaret Mead mit gutem komödianti­schen Timing. Topstimmen: Chayenne Lont (Dionne), Barbara Obermeier (Crissy).

Musikalisc­h war das überhaupt ein Abend zum Genießen. Die Band (musikalisc­he Leitung: Christian Frank) hatte hörbar Spaß mit den Arrangemen­ts, das groovte richtig und kam dank guten Tondesigns auch im Publikum an, gerade noch nicht zu laut. Der Kartenverk­auf läuft zu Recht gut.

 ?? [ Kommunikat­ionsagentu­r Sengstschm­ied] ?? Gute Stimme im Zeitalter des Wassermann­s: Chayenne Lont als Dionne im Kreise der Mitglieder des pazifistis­chen „Tribes“.
[ Kommunikat­ionsagentu­r Sengstschm­ied] Gute Stimme im Zeitalter des Wassermann­s: Chayenne Lont als Dionne im Kreise der Mitglieder des pazifistis­chen „Tribes“.

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