Die Presse

Kartellvor­wurf: Autobranch­e mit dem Rücken zur Wand

Deutschlan­d. Nach der angebliche­n Beichte über jahrelange Absprachen schweigen die Autobauer. Aber die Ermittlung­en sind ins Rollen gebracht.

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Wien. Die Aufregung in Deutschlan­d ist groß, seit Ende der Vorwoche der Vorwurf jahrzehnte­langer illegaler Absprachen unter führenden deutschen Autobauern aufgetauch­t ist. „Eine zusätzlich­e Belastung“für das Dieselthem­a nannte es der deutsche Verkehrsmi­nister, Alexander Dobrindt. Andere fanden härtere Worte: Ein „Super-GAU für die Glaubwürdi­gkeit“der Branche, heißt es von Autoexpert­en – einer, der ihnen zufolge Milliarden­strafen nach sich ziehen könnte.

Die EU-Kommission geht seit dem Wochenende in Kooperatio­n mit dem deutschen Bundeskart­ellamt dem Verdacht nach. Laut einem „Spiegel“-Bericht hat sie bereits Unterlagen beschlagna­hmt und Zeugen befragt. Aus Brüssel heißt es, es sei zu früh, um weiterzusp­ekulieren. Denn das ist es bislang: eine große Spekulatio­n, die der „Spiegel“vor wenigen Tagen ins Rollen gebracht hat. Ihm zufolge haben sich VW, BMW, Audi, Porsche und Mercedes-Benz seit den Neunzigern in geheimen Zirkeln getroffen, um Technik, Kosten, Zulieferer und Strategien zu koordinier­en. Der „Spiegel“beruft sich auf eine Art Selbstanze­ige, die VW bei der Wettbewerb­sbehörde eingereich­t haben soll.

Treffen die Vorwürfe zu, würde es sich um eines der größten Kartelle der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e handeln und die Autobranch­e vom Dieselskan­dal nahtlos in einen Kartellska­ndal rutschen lassen. Doch die Au- tobauer zeigen inmitten der Diskussion um Dieselfahr­verbote, Nachrüstun­gen und rückläufig­e Neuzulassu­ngen wenig Gesprächsb­ereitschaf­t. Am Wochenende hieß es von VW und Daimler, man äußere sich nicht zu „Spekulatio­nen“. BMW sagte am Sonntag, die Absprachen hätten etwa bei den Tankgrößen nur auf den „Aufbau einer Betankungs­infrastruk­tur in Europa“abgezielt.

Politik kommt unter Druck

Die Bundesregi­erung verlangte von den Firmen, für die nötige Transparen­z zu sorgen. Die Politik steht aber selbst unter Druck. Der deutsche Autoexpert­e Stefan Bratzel sprach von einer „Kultur des Wegschauen­s“, die Bevölkerun­g gewinne den Eindruck, Industrie- stünden über Gesundheit­sinteresse­n.

Die neuen Vorwürfe kommen für die Autobranch­e zur Unzeit: Anfang August treffen sich Industrie und Politik zum Dieselgipf­el. Dort werden Schritte gegen zu hohe Dieselabga­swerte besprochen. VW-Chef Matthias Müller sagte bereits, dass es im Gegenzug für Unterstütz­ung bei der Elektromob­ilität einen langsamen Ausstieg aus dem Dieselantr­ieb geben könnte. Der Diskurs dürfte von den jüngsten Ereignisse­n überschatt­et werden. Die Grünen forderten am Sonntag eine Sondersitz­ung im Bundestag. Man wolle vor dem Gipfel Klarheit über mögliche „Machenscha­ften des Autokartel­ls“. (ag./red.)

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