Die Presse

Polen droht die Justiz-Isolation

Europäisch­e Union. Das teilweise Veto von Präsident Duda gegen den Gerichtsum­bau lässt das Grundprobl­em ungelöst: Die Regierung will eine politisier­te Justiz, deren Urteile in Europa nicht anerkannt würden.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Ein Aufatmen ging am Montag knapp nach zehn Uhr Vormittag durch Europa, als der Präsident Polens, Andrzej Duda, in einer Fernsehans­prache sein Veto gegen zwei der drei umstritten­en Gesetzesen­twürfe zum Umbau des Gerichtswe­sens aussprach. Die beiden Novellen hätten erstens dem Justizmini­ster freie Hand zur Absetzung und Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtsho­f gegeben und zweitens den Landesrich­terrat, der die Unabhängig­keit der Justiz gewährleis­ten soll, unter die politische Kontrolle einer im Parlament bloß von einfacher Mehrheit gestützten Regierung gebracht.

Ergebnis der verklausul­ierten Vorlagen wäre es gewesen, dass Justizmini­ster Zbigniew Ziobro, ein Hardliner vom rechten Rand der nationalko­nservative­n PiS-Partei, in Polens Justiz schrankenl­os politisch gefügige Richter einsetzen und unliebsame hätte entlassen können.

Doch mit Dudas Veto ist die polnische Staatskris­e, in der PiS-Chef Jarosław Kaczyn´ski die Opposition als „Kanaillen“und „Mörder“beflegelt hat, noch lang nicht zu Ende. Denn Duda, ein treuer Gefolgsman­n Kaczyn´skis, hat sein Amtsverstä­ndnis einmal als Umsetzung des Programms der PiS bezeichnet.

Europäisch­e Richter warnen

Zudem hat der Präsident bemerkensw­erterweise den dritten Teil des Justizumba­us der PiS-Regierung nicht beanstande­t. Die Novelle, welche Justizmini­ster Ziobro ab Inkrafttre­ten ein halbes Jahr lang völlig freie Hand beim Entlassen der Präsidente­n unterinsta­nzlicher Gerichte verleiht, dürfte somit in Kraft treten.

Ein Minister, der die Gerichte freihändig auf seine Linie bringen kann: Das ist mit den Grundwerte­n der Europäisch­en Union, deren Mitglied Polen seit 2004 ist, nicht vereinbar. Die Vorhaben der PiS „stellen eine methodisch­e Demolierun­g des Grundrecht­s auf einen unabhängig­en Gerichtsho­f auf eine Weise dar, die bisher noch in keinem demokratis­chen Land gesehen wurde, das zur Europäisch­en Union gehört und in dem Rechtsstaa­tlichkeit herrscht“, mahnte die Europäisch­e Richterver­einigung.

Am Montag sprach Jens Gnisa, der Vorsitzend­e des Deutschen Richterbun­des, eine noch drastische­re Warnung an Warschau aus: Sofern einem Beschuldig­ten in Polen „kein faires, sondern ein von der Regierung beeinfluss­tes politische­s Verfahren droht, liefert die deutsche Justiz ihn im Zweifelsfa­ll eher nicht aus“.

Es geht um die gegenseiti­ge Anerkennun­g von zivil- und strafrecht­lichen Urteilen ebenso wie Fragen des Erb- und Familienre­chts. Seit 2004 gilt der Europäisch­e Haftbefehl, der die grenzübers­chreitende Verfolgung von Verbrecher­n erleichter­t. Er wird immer stärker in Anspruch genommen: 2014 wurden 5480 Verdächtig­e auf diese Weise von einem an ein anderes EU-Land übergeben – dreimal mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Und die Justizzusa­mmenarbeit vertieft sich mehr und mehr: Seit Mai ist die Europäisch­e Ermittlung­sanordnung in Strafsache­n in Kraft. Sie ermöglicht es Justizbehö­rden, grenzübers­chreitend die Aufnahme von Beweismitt­eln anzuordnen.

Ein Freund Polens gegen die PiS

Darum befasst sich die Kommission intensiv mit der Frage, inwiefern Artikel 19 des EUVertrags eine Grundlage für ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren böte. Diese Vorschrift hält fest, dass die nationalen Gerichte die Umsetzung des Unionsrech­ts gewährleis­ten. Ein österreich­ischer, polnischer, italienisc­her Richter ist, wenn er Unionsrech­t anwendet, eben auch EU-Richter.

Die Vorhaben der PiS-Regierung greifen also tief in den Maschinenr­aum der Rechtsgeme­inschaft EU. Morgen, Mittwoch, wird die Kommission entscheide­n, wie sie diesen Eingriff stoppen will – bis hin zur Eröffnung eines Verfahrens zur Aussetzung der polnischen Unionsmitg­liedschaft. Der Mann, der dafür verantwort­lich ist, hegt eine tiefe Verbundenh­eit zu Polen: Frans Timmermans, Vizepräsid­ent der Kommission, ist Sohn eines Mannes, der nur dank der Befreiung der niederländ­ischen Stadt Breda von den Nazis durch alliierte polnische Truppen dem Hungertod entronnen ist.

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[ Reuters ] Seit Tagen wurde auch vor dem Präsidente­npalast in Warschau gegen die umstritten­e Justizrefo­rm der polnischen Regierungs­partei PiS protestier­t.

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