Ein Spagat zwischen Doha und Berlin
Türkei. Präsident Erdo˘gan versucht sich als Vermittler am Golf, während die Regierung die Krise mit Deutschland entschärfen will. Heute findet in Brüssel ein EU/Türkei-Treffen statt.
Wien/Ankara/Berlin. Es wird ein Treffen unter schwierigen Vorbedingungen: Am heutigen Dienstag reisen der türkische Außenminister, Mevlüt C¸avus¸og˘lu, und EU-Minister Ömer C¸elik nach Brüssel, um – nicht nur, aber vor allem – die brachliegenden Beitrittsverhandlungen neu zu sortieren. Schwierig wird das Treffen mit den EU-Spitzen vor allem deswegen, weil die Stimmung zwischen Ankara und Berlin in der vergangenen Woche gekippt ist. Am Wochenende hat zwischen Berlin und München ein Spitzenpolitiker nach dem anderen die härtere Gangart gegenüber der Türkei bestätigt und weitere Maßnahmen gefordert.
So plädierte Volker Kauder, Fraktionschef der Union, dafür, die Beitrittsverhandlungen sowie die Zollunion als Druckmittel einzusetzen, während Finanzminister Wolfgang Schäuble den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan,˘ scharf kritisierte: „Er setzt die jahrhundertelange Partnerschaft zwischen der Türkei und Deutschland aufs Spiel.“
Unmittelbarer Anlass für die neue Türkei-Politik der Bundesregierung war die Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in Istanbul, doch hat sich die bilaterale Krise schon lange vorher angekündigt und aufgeschaukelt. Der von Außenminister Sigmar Gabriel verkündete verschärfte Reisehinweis sowie die Prüfung deutscher Investitionen haben in der Türkei Nervosität ausgelöst, auch wenn AKP-Regierungsvertreter bemüht waren, Gelassenheit zu zeigen. Gabriel erwähnte eine auch von Ankara erstellte Liste mit mehreren Hundert deutschen Unternehmen, denen Terrorismusunterstützung vorgeworfen wird. Eine derartige Liste gebe es nicht, hieß es zunächst in Ankara, aber am Montag zog die türkische Regierung die Liste offiziell zurück. Es handle sich um ein Missverständnis, gegen die ge- nannten 681 deutschen Firmen bzw. Personen werde nicht ermittelt, verlautete nun aus dem Innenministerium in Ankara.
Zahlungen bleiben bestehen
Die Reduzierung oder gar ein Ausfall deutscher beziehungsweise europäischer Investitionen hätte weitreichende Folgen für die Türkei: Im Jahr 2016 lag Deutschland mit 430 Mio. Dollar Direktinvestitionen auf Platz vier, Österreich mit 361 Mio. Dollar auf Platz acht. In den vorderen Rängen befinden sich mit den Niederlanden und Spanien weitere EU-Länder.
Auf Platz sieben reiht sich Katar ein, derzeit Ankaras wichtigster Partner in der Golfregion. Erdogan˘ war am Montag auch in Doha, der Hauptstadt Katars. Zuvor hatte ihn seine Reise nach Saudiarabien und Kuwait geführt. Erdogan˘ will eine Vermittlerrolle in der Golfkrise spielen. Ankara unterstützt ge- meinsam mit Teheran den seit Kurzem isolierten Golfstaat mit Lebensmittellieferungen. Militärisch und wirtschaftlich arbeiten Ankara und Doha zusammen, insbesondere im Hinblick auf die FußballWM in Katar 2022. Als Dank für die türkische Unterstützung kann der Golfstaat Ankara künftig unter die Arme greifen, sollte das Geld knapp werden – davon gehen zumindest türkische Kommentatoren aus. Aber auch Katar, das reichste Land der Welt, kann auf lange Sicht die finanziellen Zuwendungen aus Europa nicht wettmachen.
Noch scheinen die jüngsten Ankündigungen aus Deutschland nicht akut. Das Zurückziehen der ominösen Liste wertet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag zwar als positives Zeichen, die Unsicherheit bleibe jedoch. Was die Zollunion betrifft, zeigt sich der zuständige EU-Kommissar, Johannes Hahn, sicher, dass beide Seiten an einem „Upgrading“interessiert seien. Die Kritik an der Türkei, was Rechtsstaatlichkeit betrifft, bleibe bestehen; aber auch die Vorbeitrittszahlungen, die so lange fließen, solange die Beitrittsverhandlungen laufen.
Die deutsch-türkischen Verstimmungen sind jedoch nicht nur auf EU-Ebene und in wirtschaftlicher Hinsicht virulent, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene: Bei den Deutschtürken hat Außenminister Gabriel am Wochenende um Verständnis für die neue Politik geworben und hat dafür von der Deutsch-Türkischen Gemeinde Zustimmung geerntet. Schwierigkeiten gibt es auch im Militärbereich. Wie schon zuvor in der südtürkischen Basis Incirlik hat Ankara kürzlich den Besuch von deutschen Bundestagsabgeordneten am Militärstützpunkt Konya aufgrund der bilateralen Krise verschoben. Die Nato vermittelt.