„Kontrollen lösen keine Probleme“
Kindergärten. Henning Schluß erforscht für die Stadt die Wiener Kindergärten. Eine Definition von islamischen Kindergärten hält er für schwierig. Und zweisprachiges Lernen sei sinnvoll.
Die Presse: Was ist ein islamischer Kindergarten? Henning Schluß: Ja, das ist spannend. Es wird in der öffentlichen Debatte immer über islamische Kindergarten gesprochen, aber je mehr man fragt, was die Kriterien dafür sind, desto weniger konkrete Antworten gibt es.
Was sind die Kriterien? Das ist die Frage. Wird ein islamischer Kindergarten zu einem, wenn mehrheitlich muslimische Kinder hingehen? Da wären eine Menge der städtischen MA10-Kindergärten plötzlich islamisch. Oder ist es einer, der auf Schweinefleisch verzichtet? Auch da nehmen viele auf ihre Klientel Rücksicht. Aber das tun sie auch, wenn viele Kinder Vegetarier sind. Wir haben uns als Forschergruppe entschieden, dass das ein diskursiver Begriff ist. Die Studie wird nicht in der Lage sein zu sagen: „Wir zerschlagen einen gordischen Knoten und präsentieren euch den islamischen Kindergarten.“Die Kriterien für die Definition muss die Politik festgelegen.
Das wird die Stadt Wien nicht freuen. Wenn sie sagt, was die Kriterien sind, dann können wir sagen, wie viele Kindergärten es dazu gibt. Wir können keine politischen Entscheidungen treffen.
Man weiß auch, was katholische Kindergärten sind. Ja, weil sie etwa katholische Träger haben, so etwas gibt es bei den islamischen Kindergärten nicht. Was macht einen Verein zu einem islamischen Verein? Ein Muslim als Vereinsvorsitzender? Ein Handballverein mit einem buddhistischen Vorsitzenden, ist auch kein buddhistischer Verein. Und wenn man jene Kindergärten hernimmt, die sich selbst so bezeichnen, dann ist die Zahl verschwindend gering.
Was wäre eine Lösung? Man könnte zum Beispiel eine Struktur finden, wie bei der katholischen St. Nikolausstiftung oder der Vereinigung katholischer Kindertagesheime, die sagt: „Wir sind ein Dachverband für Kindergärten, die sich als islamisch verstehen.“
Das werden viele nicht gern sehen. Ja, wir erleben eine äußerste Zurückhaltung, wenn es um Religion, besonders den Islam, geht. Gerade das Ausblenden von Religion ist aber gefährlich. Wenn man nicht darüber spricht, öffnet man den Rattenfängern Tür und Tor. Man kommt derzeit nicht drum herum, über Religion zu diskutieren, schon allein wegen ihrer Präsenz in Terrorismus und Radikalisierung.
Haben Sie wirklich so schlimme Dinge gefunden wie in der umstrittenen Vorstudie behauptet? Wir werden die Ergebnisse erst mit dem Abschlussbericht präsentieren. Schon jetzt wird aber deutlich, dass eine wissenschaftliche Studie für plakative Antworten nicht taugt. Damit wir einigermaßen offene Antworten bekommen, brauchen wir ein Vertrauensverhältnis. Das heißt, wir sichern Anonymität zu. Aber das bedeutet auch, dass die Untersuchung freiwillig ist.
Wie viele haben teilgenommen? Für die empirische Umfrage haben wir einen hohen Rücklauf von über 400 Einrichtungen. Aber das heißt auch, dass uns deutlich mehr als die Hälfte nicht zurückgeschrieben haben. Das ist für eine empirische Studie trotzdem eine sehr hohe Rücklaufquote. An Pisa nehmen fünf Prozent der 15-Jährigen teil (sie werden zufällig ausgewählt, Anm.), darauf bauen wir unser Bildungssystem um.
Sie machen auch Gruppendiskussionen und Beobachtungen in Kindergärten. Wie lief das? Bei den Beobachtungen kann man viel weniger vorspielen, als wir anfangs gedacht haben. Weil Kinder nicht simulieren können. Und es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, Beobachtungen mit muslimischen Kollegen durchzuführen, um kulturelle Besonderheiten erklären zu können. Da haben wir viel gelernt.
Woran erkennt man Radikalisierung? Ein Kopftuch allein ist kein Zeichen von Radikalisierung. Man findet die liberalsten, aufgeschlossensten Leute mit Kopftuch, und man findet wirklich beschränkte Leute ohne Kopftuch. Aber das geschulte Auge erkennt, wenn Kinder in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Kindergartendebatte wird immer auch mit jener um Sprachförderung gleichgesetzt. Ja. Die Frage ist, wie man Sprache fördert. Wenn wir sagen, im Kindergarten darf nur Deutsch gesprochen werden, dann gibt es interessante Studien, die sagen: Wenn man verhindert, dass das Kind die eigene Muttersprache gut sprechen kann, dann ist das keine gute Voraussetzung, um Deutsch zu lernen. In Wahrheit ist ein Umdenken notwendig. Man braucht beide Sprachen. Wir haben ja ein interessantes Phänomen. Wenn ein Kind Englisch kann, gefällt uns das. Wenn es Türkisch kann, wird es zum Nachteil für das Kind.