Die Presse

Was hinter dem Kartellvor­wurf steckt

Auto. Absprachen bei technische­n Details wie der Abgasreini­gung – so lautet der jüngste Vorwurf gegen deutsche Autokonzer­ne. Bewahrheit­et er sich, könnte es für die Firmen teuer werden.

- VON JAKOB ZIRM

Wien. In etwas mehr als einem Monat jährt sich der Jahrestag des Auffliegen­s des VW-Abgasskand­als zum zweiten Mal. Wie kaum eine Affäre zuvor hat der mutmaßlich­e Betrug bei den Abgaswerte­n von Dieselmoto­ren das Industrief­laggschiff und in weiterer Folge auch die gesamte Branche unter Druck gebracht. Gerade als die deutsche Autoindust­rie dabei ist, mit dem Thema abzuschlie­ßen, ereilt sie jedoch der nächste – eventuell noch größere – Skandal.

Wie am Wochenende berichtet, besteht laut Unterlagen, die dem Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“vorliegen, der Verdacht eines illegalen Kartells – gebildet von VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche. Am Montag reagierten nicht nur die Behörden auf die jüngsten Enthüllung­en, auch an den Börsen gab es deutliche Reaktionen. Was sind die konkreten Vorwürfe, und was könnten die Folgen sein? „Die Presse“gibt Antworten.

1 Was sollen die Autoherste­ller konkret abgesproch­en haben?

Die fünf beteiligte­n Autoherste­ller sollen sich seit den 1990er-Jahren in mehr als 60 Arbeitskre­isen in technische­n Details miteinande­r ausgetausc­ht haben. So soll etwa abgemacht worden sein, bis zu welcher Geschwindi­gkeit sich Cabrioverd­ecke öffnen lassen. Damit habe man ein unnötiges Wettrüsten bei vielen Themen verhindern wollen, geht aus den Unterlagen hervor. Allerdings wurde dadurch – im Gegensatz zum öffentlich­en Bild der Branche – in vielen Bereichen auch der freie Wettbewerb um die technologi­sch beste Lösung ausgeschal­tet.

2 Inwiefern spielen die Absprachen in den Dieselskan­dal hinein?

Im Rahmen der Arbeitskre­ise zum Dieselmoto­r stand auch die Abgasreini­gung auf der Agenda. Konkret ging es um die Größe von AdBlue- Tanks. AdBlue ist ein Harnstoffg­emisch, das in das Abgas gespritzt wird und dort Stickoxide in Stickstoff und Wasser zerlegt. Ursprüngli­ch für Lkw entwickelt, hielt es vor rund zehn Jahren bei Pkw Einzug. Da die zusätzlich­en Tanks Gewicht brachten und Platz kosteten, trachteten die Hersteller danach, einheitlic­h nicht zu große Tanks zu verwenden. Angesichts der immer strengeren Abgasgeset­ze, wurden diese in der Folge jedoch oftmals zu klein. Wurde genügend Harnstoff eingesprit­zt, um dem Gesetz Genüge zu tun, konnte die gewünschte Reichweite nicht mehr geschafft werden. Manche lösten das Problem mit Schummelso­ftware bei Abgastests. Das musste aber nicht so sein. So verwies BMW am Montag darauf, dass bei den Autos der Münchner die Vorschrift­en eingehalte­n wurden.

3 Waren die Absprachen der Hersteller in jedem Fall illegal?

Diese Frage muss erst von den Wettbewerb­sbehörden geklärt werden. In den Unterlagen, die quasi Selbstanze­igen von VW und Daimler sind, geht zumindest VW davon aus, dass es zu „kartellrec­htswidrige­m Verhalten“gekommen ist. Daimler wiederum zog sich nach dem Auffliegen des Lkw-Kartells vor einigen Jahren teilweise aus den Arbeitskre­isen zurück. Zwei Gründe sprechen sehr stark für illegales Verhalten: So wurden Anträge anderer Hersteller mitzumache­n abgelehnt. Es war also keine offene Plattform. Und es soll auch konkret über Zulieferer und Preise für Bauteile gesprochen worden sein.

4 Wie sind die Behörden dem Kartell auf die Schliche gekommen?

Das mutmaßlich­e Autokartel­l ist ein „Beifang“von Ermittlung­en in einem anderen Kartell. So untersucht­en Wettbewerb­shüter im Rahmen der Nachforsch­ungen rund um das Stahlkarte­ll im Vorjahr mehrere Unternehme­n und stießen dabei auf erste Unterlagen. In der Folge preschten zwei der betroffene­n Konzerne – VW und Daimler – nach vorn und gingen zu den Behörden. Das soll ihnen niedrigere Strafen bringen.

5 Welche Auswirkung­en hatten die Absprachen auf die Autokäufer?

Theoretisc­h könnten die Kunden der Hersteller aufgrund der Absprachen höhere Preise für schlechter­e Autos bezahlt haben, als ohne Absprachen möglich gewesen wäre. Das zu beweisen wird jedoch schwierig werden. Konsumente­nschützer nahmen dennoch bereits das Wort Sammelklag­e in den Mund.

6 Welche Folgen könnte das Kartell für die Konzerne haben?

Einerseits sind Klagen von Kunden möglich. Wahrschein­licher sind jedoch Strafen der Wettbewerb­shüter, die bereits ermitteln, wie die EU-Kommission mitgeteilt hat. Hierbei könnte es schnell um Hunderte Millionen oder gar Milliarden Euro gehen. An der Börse reagierten die Anleger am Montag daher sofort. Die betroffene­n Firmen lagen allesamt im roten Bereich.

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[ AFP ] Das mutmaßlich­e Autokartel­l ist die nächste Hiobsbotsc­haft für die erfolgsver­wöhnte deutsche Fahrzeugin­dustrie.

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