Die Presse

Handel: Ein Kollektivv­ertrag ohne Verlierer?

Lohn. Mit 1600 Euro Einstiegsg­ehalt will der Handel die Jungen locken. Für Ältere gibt es dafür deutliche Abstriche. Die lange Umsetzungs­frist birgt Gefahren. Zuschläge oder die Absicherun­g von Überzahlun­g sparte man in der Reform aus.

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Wien. Dreieinhal­b Jahre, 500 Arbeitsstu­nden und 40 Verhandlun­gsrunden inklusive Abbrüche und Neuaufnahm­en später steht der neue Kollektivv­ertrag für rund 400.000 Handelsang­estellte.

Es ging nicht um kosmetisch­e Reformen. Schließlic­h kannte der Vorgänger, ein Relikt aus 1948, Berufsbild­er wie Datatypist­en und Geldboten, aber keine IT-Fachkräfte. Acht überlappen­de Gehaltstaf­eln, schwammige Beschäftig­ungsgruppe­n und Sonderstel­lungen für Salzburg und Vorarlberg machten Vergleiche unmöglich. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er landeten im Streit um die konkrete Einordnung nicht selten vor Gericht.

„Es gibt hier keine Verlierer, wir gewinnen alle davon“, betonte Peter Buchmüller, Handelsobm­ann in der Wirtschaft­skammer, am Montag, als er mit der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten die Neufassung, die mit 1. Dezember in Kraft tritt, medienwirk­sam paktierte. Darin verankert: ein bundesweit­er Mindestloh­n von 1600 Euro brutto für Angestellt­e mit Lehrabschl­uss und die volle Anrechnung von Karenzzeit­en. Aktuell bekommen Neueinstei­ger 1546 Euro brutto und bleiben neun statt wie jetzt drei Jahre auf der gleichen Gehaltsstu­fe. „Jeder vierte Angestellt­e im Handel wird es in der Geldbörse spüren“, sagte Buchmüller­s Gegenüber in der Gewerkscha­ft, Franz Georg Brantner. So wolle man das hartnäckig­e Image der Billiglohn­branche abstreifen.

Aber wie finanziert sich das? Die Lohnkurve wird flacher. Und ältere Angestellt­e können sich bei einem Jobwechsel nur mehr sie- ben statt 18 Dienstjahr­e anrechnen lassen. Dadurch würden sie aber auch wieder leistbarer. Viele ehemalige Zielpunkt-Mitarbeite­r mit jahrelange­r Berufserfa­hrung fänden bis heute keinen Job, weil sie zu teuer seien.

Zusatzkost­en unbekannt

Dennoch werden Mehrkosten auf die Firmen zukommen. Genaue Zahlen wollte Buchmüller nicht nennen, das hänge ganz von der jeweiligen Mitarbeite­rstruktur ab. Um den Effekt abzufedern, haben die 40.000 betroffene­n Handelsbet­riebe vier Jahre Zeit für die Umstellung. Bis 1. Jänner 2021 laufen die Gehaltsver­handlungen parallel für das neue und das alte System. „Kein Beschäftig­ter wird benachteil­igt“, betonen beide Seiten. Soll heißen: Die Bezahlung kann sich, sofern man im selben Anstellung­sverhältni­s bleibt, nicht verschlech­tern. Die Gefahr besteht aber, dass schwarze Schafe die vier unübersich­tlichen Jahre nutzen, um alte, teurere Mitarbeite­r durch neue zu ersetzen. Eine von den Sozialpart­nern installier­te Begleitgru­ppe soll als „Rettungssc­hirm“fungieren, Gefahren melden und, wenn nötig, den Vertrag nachschärf­en.

Lob, aber auch Kritik kam am Montag von der Wiener Wirtschaft­skammer und dem Handelsver­band, die eine rasche Reform der Zuschläge forderten.

Weder das Zuschlagss­ystem noch die Absicherun­g von Überzahlun­gen rührten die Sozialpart­ner in ihrer großen Entgeltref­orm an. Aber man wolle sich rasch wieder an den Verhandlun­gstisch setzen. (loan)

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